Der "Insektenburger" ist ethisch problematisch
Bei der Suche nach der ethisch, politisch oder sonstwie korrekten Nahrung wird im Netz inzwischen häufig der Insektenburger empfohlen. Doch es gibt Bedenken: Wo bleibt da das Tierwohl? Udo Pollmer ist gespannt, wie die Motten- und Läusesaga weitergeht.
Der "Zukunftsmarkt Insekten" lockt Investoren auf den Plan. Denn der "Snack der Zukunft" sei der Insektenburger. Während auf Ernährungskongressen die Wellen der Begeisterung für den neuen Megatrend hochschlagen, schlägt einem im Internet die Nachricht auf den Magen, ein argloser Kunde habe in seinen Pommes oder Nuggets wahlweise Käfer, Würmer oder Spinnen entdeckt. Er sei nun bis ans Ende seiner Tage traumatisiert und erwarte von der Fastfood-Kette eine satte Entschädigung. Zugleich schwappt eine Flut der Empörung durchs Netz, ob des armens Tierchens, das völlig unschuldig einen grausamen Tod erlitten habe.
Was schließen wir daraus? Irgendwie scheint es sich doch noch nicht rumgesprochen zu haben, welche Genüsse dem passionierten Pizza-Esser durch dankbaren Verzicht auf Mehlwürmer, Wasserwanzen und Skorpione bisher entgehen. Als Kompromiss werden nun die Leckereien, die in Terrarien lebendig an Echsen und Lurche verfüttert werden, für den Endverbraucher fein vermahlen, um schließlich in Form eines Pausenriegels ins Süßwarenregal zu gelangen – denn Mehlwürmer und Maden schenken ja Kraft und Fitness.
Dabei sind viele gesundheits- und umweltbewusste Verbraucher längst daran gewöhnt: Wenn sich früher im Biogetreide Mehlmotten und Kornkäfer tummelten, wurden die Krabbeltiere nicht mit Chemie vergiftet, sondern erst mit einem Käfersieb müllerisch entfernt und dann das Korn, in dem sich noch die Gelege befanden und die geschlüpften Maden sich dick und drall fraßen, in der Flockenmaschine zerquetscht. Damals war der Biokunde noch seiner Zeit voraus.
Erheblicher empirischer Forschungsbedarf
Waren Insekten in Obst und Gemüse früher nicht völlig normale Zugaben? Der Blumenkohl kam nach dem Putzen ins Salzwasser. Das Kleinvieh versuchte verzweifelt das rettende Ufer am Schüsselrand zu erreichen, sofern es nicht ersoff. Vieles wurde einfach mitgegessen. Äpfel ohne Würmer sind eine Errungenschaft des modernen Pflanzenschutzes.
Vor wenigen Wochen fand in Berlin ein Insekten-Symposium statt, ausgerichtet vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Dort diskutierten Experten über die brennenden Fragen der Ernährung: Zum Beispiel über das Tierwohl von Insekten. Empfinden die Krabbler Schmerzen? Haben sie vielleicht Angst vor dem Tod? "Ethiker" fordern, es möge doch bitte jede Art, jeder Wurm, jeder Käfer, jeder Schädling auf seine individuelle Reaktion untersucht werden. Am besten, wir studieren gleich deren Lebensträume.
"Tierwohl bei Insekten zu berücksichtigen, erfordert erheblichen empirischen und ethischen Forschungsbedarf", ließ ein Ethiker auf dem Kongress verlauten, denn die "ethische Bedeutsamkeit des Tierwohls ist unstrittig, solange Insekten nicht als bloße Sachen (miss)verstanden werden" – also: Wenn Sie die Mücken, die an der Windschutzscheibe kleben, einfach so runterkratzen, dann ist das kein lästiger Schmutz sondern es sind Tiere, deren Wohl Ihnen am Herzen liegen sollte. Aus "Ehrfurcht vor dem Leben" wäre vermutlich das Beten eines Rosenkranzes angemessener.
Harte Zeiten für Schädlingsbekämpfer
Den Schädlingsbekämpfern stehen harte Zeiten bevor. Denn Pestizide sind noch nicht auf die Vorgaben der Ethiker ausgelegt. Bisher ging es darum, die Ernten zu sichern, jetzt treten die Bedürfnisse der Blattläuse in den Vordergrund. Wie wäre es, erst mal ein paar Psychopharmaka zu versprühen, bevor man ihnen mit der Giftspritze zu Leibe rückt? In Lagerhäusern und Silos werden Mehlmotten mittlerweile mit Kohlendioxid betäubt und ins Jenseits expediert. Allerdings ist diese Praxis unter Tierfreunden umstritten, weil damit auch Geflügel und Schweine am Schlachthof erst betäubt und dann getötet werden.
Wir dürfen gespannt sein, wie die Motten- und Läusesaga weitergeht. Eins ist jetzt schon sicher: Es werden Heerscharen von Experten benötigt, um das Seelenleben von Sechsbeinern zu erforschen, damit wir ethisch korrekte Pausenriegel und köstliche Käferburger bekommen. Einfach kaltherzig in eine verwurmte Himbeere zu beißen, ist ein Zeichen mangelnden Respektes vor dem Leben. Mahlzeit!
Literatur
Winterer A: Insektenburger: Igitt – oder nachhaltiger Snack der Zukunft? Utopia 13. März 2016
Potthast T: Insekten als Lebens- und Futtermittel – Ethische Aspekte einschließlich Tierschutz. Symposium "Insekten als Lebens- und Futtermittel" Bundesamt für Risikobewertung, Berlin, 24. Mai 2016
Corinth HG, Reichmuth C: Carbon Dioxide under Atmospheric and High Pressure. Journal für Kulturpflanzen 2013; 65: 94-98
Wasala L et al: Transfer of Escherichia coli O157:H7 to spinach by house flies, Musca domestica (Diptera: Muscidae). Phytopathology. 2013; 103: 373-380
Pava-Ripoll M et al: Detection of foodborne bacterial pathogens from individual filth flies. Journal of Visualized Experiments 2015; 96: e52372
Aster EL von: Insekten als Futterlieferanten "Fliegen kann man nicht schlachten". Deutschlandradio Studio 9, Beitrag vom 24.05.2016
Pollmer U: Insekten satt für’s Klima. Deutschlandradio Mahlzeit, Beitrag vom 01.06.2013