Peter Leonhard Braun ist Autor, Regisseur und ein Pionier des "akustischen Films". Er war von 1974 bis 1994 Leiter der Feature-Abteilung des SFB.
Wie Peter Leonhard Braun das Kriegsende erlebte
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"Befreit? Nein, erlöst!" – So hat ein heute 91 Jahre alter Mann als Teenager das Ende des Zweiten Weltkriegs in Berlin erlebt. Peter Leonhard Braun, jahrzehntelang einer der profiliertesten deutschen Radiomenschen, erinnert sich.
Peter Leonhard Braun war vier Jahre alt, als Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler der Weimarer Republik ernannte. Er war zehn, als der Zweite Weltkrieg begann und 14, als er gemeinsam mit seiner ganzen Berliner Schulklasse zum Bau von Panzergräben nach Polen abkommandiert wurde.
Im bitterkalten Januar 1945 erhielt Peter Leonhard Braun den Befehl, sich beim Volkssturm in Posen zu melden. Er desertierte und floh zu seiner Mutter nach Berlin, in die Knesebeckstraße, wo er als Sohn von Kneipenwirten aufgewachsen war.
"Gewalt, an jedem Haus, an jeder Ecke"
"Die Frage für mich war, bevor ich in die Knesebeckstraße einbog, steht das Haus noch? Das stand", erzählt er. "Ich war sozusagen ein lebender Eiszapfen, tiefgefroren. Und meine Mutter nahm mich sofort in ihr Bett. Sehr praktisch. Und die einzige Methode, um mich langsam wieder aufzuwärmen. Aber ich war Deserteur. Und das war für meine Mutter völlig ok. Mein Kumpel - die Mutter traute sich das nicht. Sie schickte ihn nach Posen zum Volkssturm zurück. Der kam nie wieder. Die Angst müssen Sie sich vorstellen der Menschen. Dieser Druck. Diese Gewalt. An jedem Haus, an jeder Ecke."
Peter Leonhard Braun erinnert sich genau an den Moment, als im April 1945 russische Soldaten die Knesebeckstraße im Westen Berlins erreichten. Inzwischen war er 16 Jahre alt geworden.
"Und dann kamen die russischen Panzer um die Ecke", erzählt er. "Die T 34, unglaublich primitive Fahrzeuge, Panzer, aber unseren eigenen Panzern, den Tigern und Leoparden insofern überlegen, weil sie primitiver waren. Und die hielten nun bei uns in der Straße und meine Mutter und ich hatten eins gemacht, um nicht erkennen zu lassen, dass wir eine Kneipe sind. Wir hatten unsere ganzen Reklameschilder zerschlagen, wo drauf stand ‚Pilsener Urquell‘ oder ‚Berliner Kindl‘ und die Jalousien runtergelassen, damit man nicht sofort sagt: ‚Wunderbar, Kneipe, alle rein‘."
"Die entsetzlichste Nacht meines Lebens"
Am 1. Mai, dem letzten Kriegstag in Berlin, versuchte ein russischer Soldat, seine Mutter zu vergewaltigen.
"Aber, Kneipenwirtin, meine Mutter war mit so viel Besoffenen umgegangen", sagt Peter Leonhard Braun. "Sie hatte offenbar dem Russen einen gewaltigen Stoß vor die Brust versetzt und kam in den Hausflur gerannt. Ich nahm meine Mutter in Empfang und jonglierte sie sofort in den nächsten Kellereingang. Da war ich zu Hause.
Und so lancierte ich meine Mutter durch den Keller bis zu einer Treppe, wo wir nach oben kommen konnten - bis zum Dach. Und ich setzte meine Mutter hinter einem Schornstein oben auf dem Dach ab und ich ging wieder runter und holte meine Schwester. Da saßen wir drei, der Rest einer Familie und die Nacht kam. Und das war die entsetzlichste Nacht meines Lebens.
Die Russen gingen die Stiegen hoch, traten überall die Türen ein und vergewaltigten die Frauen. Und du konntest jetzt prima auf dem Dach hören, wie die Frauen schrien. Erste Etage, zweite Etage, Berliner Miethaus mit vier Etagen. Und ich saß oben - und keiner stieg mehr die Stiege aufs Dach raus. Und am Morgen, wir saßen noch zwei, drei Stunden auf dem Dach, hatten die Russen offenbar einen Marschbefehl bekommen und mussten mit ihren Panzern aus unserer Straße abziehen."
"Erlöst! Der Krieg ist aus! Das war das große Gefühl"
Am 2. Mai 1945 unterzeichnete der Kampfkommandant von Berlin, Helmuth Weidling, die Kapitulation – fünf Tage, bevor Generaloberst Alfred Jodl im französischen Reims die Kapitulation für alle deutschen Streitkräfte unterschrieb.
"Ja und, was empfindest du dann? Dich befreit? Nein: Erlöst! Erlöst. Der Krieg ist aus! Das war das große Gefühl. Natürlich stehen uns schreckliche Sachen bevor, aber der Krieg ist aus. Das war das Tolle. Das war so lange, dieser Krieg. Man dachte noch nicht mal, dass der aufhört. War aus."