Mai Thi Nguyen-Kim

"Impfstoffsicherheit eignet sich nicht zum Live-Tickern"

20:59 Minuten
Porträt von Mai Thi Nguyen-Kim.
Mai Thi Nguyen-Kim fordert eine transparente und differenzierte Berichterstattung über Impfstoffe. © Picture Alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Moderation: Marcus Richter und Vera Linß |
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Das Vertrauen in den Impfstoff von AstraZeneca ist gesunken. Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim hält die Medien dafür mitverantwortlich. Sie glaubt: Eine bessere Berichterstattung würde die Impfbereitschaft erhöhen.
Die Debatte um Impfstoffe gegen das Coronavirus verlief zuletzt hitzig, emotional und war von Schnellschüssen geprägt. Nun sehen viele in dem Impfstoff von AstraZeneca einen Impfstoff zweiter Klasse. Wie sollten Medien in der Pandemie berichten?
Zunächst sei es wichtig, dass öffentliche Behörden ausreichend Informationen bieten, sagt die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim. Sie hält aber auch die Medien dafür mitverantwortlich, dass das Vertrauen in den Impfstoff von AstraZeneca gesunken ist:
"Natürlich haben Journalistinnen und Journalisten auch eine Verantwortung. Ich glaube, die wurde in den letzten Wochen und Monaten oft nicht richtig ernst genommen, wenn dann möglichst schnell - Hauptsache brandaktuell - neueste Hinweise in Schlagzeilen rausgehauen wurden. Und dann hat sich alles doch als ein bisschen anders herausgestellt. Die Revision kriegt dann keiner mehr mit. Das schafft natürlich Verunsicherung."

Manche Themen eignen sich nicht für Live-Ticker

In der Debatte habe sie auch das Vertrauen in die Zulassungsbehörden und die Ständige Impfkommission (STIKO) vermisst, sagt Nguyen-Kim. Statt Erkenntnisse abzuwarten sei in den Medien ausdiskutiert worden, ob der Impfstoff sicher sei oder nicht.
"Wissenschaft - wissenschaftliche Erkenntnisse, auch so etwas wie Impfstoffsicherheit - eignet sich nicht zum Live-Tickern."
Das solle jedoch nicht heißen, dass es Aufgabe der Medien – oder von irgendjemand anderes – sei, die Impfbereitschaft der Bevölkerung zu steigern. Allerdings führt gute Berichterstattung nach Meinung von Mai Thi Nguyen-Kim dazu:
"Wenn man ordentlich und korrekt, transparent und differenziert aufklärt, ist eine erhöhte Impfbereitschaft die rationale Folge."

Zu wenig Zeit für wissenschaftliche Grundlagen

Die Wissenschaftsjournalistin wünscht sich eine fundiertere Berichterstattung. Momentan würden die Grundlagen zu wenig erklärt. Für wissenschaftliche "Basics" bleibe in Fernsehsendungen keine Zeit, meint Nguyen-Kim. Das führe dazu, dass zu wenige über Impfstofftestphasen, die Aufgaben der Europäischen Impfstoffbehörde oder die Arbeit des Paul-Ehrlich-Instituts und der STIKO Bescheid wüssten. Ohne dieses Fundament sei es dann wiederum schwierig, die Neuigkeiten einzuordnen.
Unsicherheiten könnten Medien natürlich trotzdem berichten. Wenn man beispielsweise darüber berichte, dass Impfungen mit AstraZeneca wegen Nebenwirkungen ausgesetzt wurden, solle man aber ordentlich erklären, warum.

Berichterstattung über Impfgegner

Eine Kritik an den Medien, die Nguyen-Kim in ihrem Buch "Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit" benennt, ist der Umgang mit Impfgegnern und deren Positionen. 2019 hätten repräsentative Umfragen ergeben, dass knallharte Impfgegner, die aus Prinzip Impfungen ablehnen, maximal drei Prozent der Bevölkerung stellen würden.
Bei den meisten Menschen, die unzureichend geimpft seien, gebe es andere Gründe: Sie hätten nachvollziehbare Fragen, wünschten sich mehr Informationen oder hätten einfach nur einen Impftermin versäumt. Die Berichterstattung vermittle jedoch ein anderes Bild.
"Da sehe ich eine Verantwortung in den Medien, die solche Geschichten von Verschwörungsideologen gerne haben und sich gerne darüber empören – das teilt sich auch ganz gut. Doch dadurch trägt man diese extremen Minderheitenmeinungen überhaupt erst in die Köpfe der Menschen. Und trägt so zu dem Problem bei."
(hte)
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