Maier: Mehr Rechte für Frauen in der katholischen Kirche
Der Politikwissenschaftler und ehemalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Hans Maier, hat die katholische Kirche zu mehr Freiheit und Aufrichtigkeit aufgerufen. Gleichzeitig sprach sich Maier dafür aus, die Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche zu stärken.
Jörg Degenhardt: Es wird gesungen, und es wird gebetet – die Katholiken feiern in Mannheim noch bis morgen ein Glaubensfest, und sie haben offensichtlich Vergnügen daran. Doch es geht nicht nur um die gute Stimmung, die Laien wollen bei ihrem Treffen vor allem über die Probleme ihrer Kirche und über Reformen diskutieren, denn gerade bei den jungen Katholiken wächst der Frust. In den Gemeinden fehlen Priester, und viele Reformbemühungen scheitern am Widerstand aus Rom. Da passt es, dass der Katholikentag in diesem Jahr unter dem vielversprechenden Motto steht: Einen neuen Aufbruch wagen. Ich habe mit dem ehemaligen Präsidenten des Zentralkomitees deutscher Katholiken, dem einstigen bayrischen Kultusminister Hans Maier gesprochen und ihn gefragt, wohin denn die Reise gehen muss.
Hans Maier: Zu mehr Freiheit in der Kirche, vor allem in der Diskussion über strittige Themen. Wir wissen genau, auch bei einem Katholikentag können diese offenen Fragen nicht alle beantwortet werden, aber man soll wenigstens ein Klima der Öffentlichkeit, der Freiheit, der Aufrichtigkeit schaffen, in dem alle Gruppen – und es gibt sehr verschiedene in der Kirche – zu Wort kommen.
Degenhardt: Von wegen Kirchentag und Klima: Der Kölner Kardinal Meisner beklagt mit Blick auf den aktuellen Kirchentag in Mannheim, es fehle die katholische Mitte, bei der man die Verbundenheit und Einheit von Papst, Bischof und Priestern mit dem Volk Gottes spürt. War das früher eigentlich anders?
Maier: Nein, das ist auch ein, glaube ich, unberechtigter und unfreundlicher Vorwurf. Er hat auch gesagt, es hat schon bessere Katholikentage gegeben. Was würde denn Kardinal Meisner sagen, wenn wir mit der gleichen Münze heimzahlten, es hat auch schon bessere Erzbischöfe in Köln gegeben.
Degenhardt: Wenn Sie das Motto loben, einen neuen Aufbruch wagen, verstehen Sie dann auf der anderen Seite, dass viele gerade auch junge Leute von ihrer Kirche enttäuscht sind?
Maier: Ja, das weiß ich, das weiß ich auch als ein Vater von sechs Kindern und als ein Hochschullehrer, der mit vielen jungen Menschen spricht. Ich bringe mein Leben immer auf die Formel: Ich bin als Staatsbürger mit dem Grundgesetz groß geworden und als Kirchenbürger mit dem Zweiten Vatikanum. Das war wirklich eine Ermunterung, ein Blick nach vorn, eine Stimmung des Aufbruchs, und heute hat man manchmal den Eindruck, die Kirche hat Angst – also nicht im Ganzen, aber doch die Kirchenleitung …
Degenhardt: Die Bischöfe.
Maier: Ja, man fürchtet, dass dieses große Geländer Kirche, dieser Ort der Festigkeit und der Orientierung ins Wanken gerät, und darüber vergisst man, dass nur der lebendig bleibt, der sich auch wandelt, und dass auch nur der Halt gibt, der bereit ist, sich selber einmal ein Stück weit infrage zu stellen. Aber auf dem Katholikentag wird so etwas offen diskutiert, und wenn man durch die Stände geht und an den verschiedenen Zelten vorbei und die vielen, vielen Initiativen sieht und die Ehrenamtlichen, dann bekommt man doch den Eindruck, in der Kirche lebt auch Hoffnung und Zuversicht.
Degenhardt: Welche Rolle sollten denn die Laien Ihrer Meinung nach in der Kirche spielen?
Maier: Nun, ohne die Laien könnte die Kirche ja gar nicht mehr ihren Platz in der Öffentlichkeit finden, und gerade in Deutschland beruht ja eigentlich die Stellung der Kirche bis heute auf den Kirchenartikeln der Weimarer Verfassung, die durch die Laien, genau durch den politischen Katholizismus zustande gekommen sind – was übrigens auch den Evangelischen zugute kam, die damals über keine politische ähnliche Vertretung verfügten. Laien durften schon immer in der Kirche vieles tun, was Geistlichen verboten ist – Handel treiben, sich politisch betätigen, eine Familie gründen, Kinder haben –, aber die Laien waren kirchenrechtlich eigentlich immer gedrückt. Es hieß nur, das sind eben die Nichtkleriker. Das Zweite Vatikanum hat zum ersten Mal die Laien als Stand betrachtet und hat formuliert, sie seien berufen, die Kirche an den Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann – nur durch sie. Das ist, glaube ich, doch eine Anerkennung der Laien und darüber kann man sich freuen und daran sollte man auch immer wieder erinnern.
Degenhardt: Ich möchte mal das Rad noch ein wenig weiterdrehen: Katholizismus in der heutigen Zeit, Herr Maier, wie sehr gehören Frauen für Sie dazu, auch vielleicht sogar als Priesterinnen?
Maier: Also das ist eine Frage, die sicher nur weltkirchlich entschieden werden kann, aber ich kann mir persönlich durchaus zum Beispiel eine Ordensfrau vorstellen, die mir die Beichte abnimmt, warum nicht. Also die Kirche muss sich noch daran gewöhnen, Männer und Frauen völlig gleich zu sehen, gleich zu behandeln. Ich will damit nicht für Frauenpriestertum plädieren, aber es wäre schon sehr viel, wenn man ganz selbstverständlich die beiden Hälften der Menschheit gewissermaßen vor Augen hätte bei allen kirchlichen Entscheidungen.
Degenhardt: Und was ist mit der Ökumene? Nach dem von Ihnen erwähnten Konzil gehört sie doch eigentlich mit zur christlichen Mission?
Maier: Das Konzil hat ja ganz generell die Haltung der katholischen Kirche gegenüber der Welt neu definiert. Also wenn ich sehr vereinfache, aus den treulosen, verblendeten, verstockten Juden – so hieß es früher in der Karfreitagsbitte – wurden die älteren Brüder im nach wie vor gültigen ersten Bund aus den häretischen Protestanten – auch so hieß es früher – wurden Brüder im Glauben, wenn auch noch getrennte Brüder, und aus den götzendienerischen Ungläubigen – auch so hieß es früher –, Ungläubigen, die man ihrem Sündenelend entreißen wollte, wurden Menschen, die man achtete und für die man betete. Das Konzil hat einfach eine neue Positionierung, einen neuen Ort der Kirche definiert, und das ist wichtig und daran muss immer wieder erinnert werden.
Degenhardt: Kann man einen neuen Aufbruch wagen mit dem derzeitigen Papst?
Maier: Das muss man sehen. Ich kenne den derzeitigen Papst sehr lange, wir hatten ja eine gemeinsame Dozentenzeit, wir haben auch viel gemeinsam unternommen, sogar ein Buch über Kirche und Demokratie geschrieben, das in viele Sprachen übersetzt ist. Leider haben wir uns über der Frage Schwangerenkonfliktberatung zerstritten. Ich bedauere das sehr, und der Papst neigt ein wenig dazu, nach rückwärts zu blicken. Er ist in einer unbeschädigt katholischen Umwelt aufgewachsen, ich bin dagegen von Anfang an eigentlich konfrontiert worden, schon in der Schule, ja schon im Kindergarten mit Andersgläubigen, auch mit Ungläubigen, das bringt eine andere Haltung mit sich.
Degenhardt: Hans Maier, ehemaliger Präsident des Zentralkomitees deutscher Katholiken zum aktuellen Kirchentag und zu den Problemen und auch zu den Chancen für seine Kirche. Herr Maier, vielen Dank für das Gespräch!
Maier: Ich danke Ihnen, Herr Degenhardt!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr Infos zum Katholikentag auf dradio.de:
Eine zukunftsfähige katholische Kirche? - 98. Deutscher Katholikentag in Mannheim
Hans Maier: Zu mehr Freiheit in der Kirche, vor allem in der Diskussion über strittige Themen. Wir wissen genau, auch bei einem Katholikentag können diese offenen Fragen nicht alle beantwortet werden, aber man soll wenigstens ein Klima der Öffentlichkeit, der Freiheit, der Aufrichtigkeit schaffen, in dem alle Gruppen – und es gibt sehr verschiedene in der Kirche – zu Wort kommen.
Degenhardt: Von wegen Kirchentag und Klima: Der Kölner Kardinal Meisner beklagt mit Blick auf den aktuellen Kirchentag in Mannheim, es fehle die katholische Mitte, bei der man die Verbundenheit und Einheit von Papst, Bischof und Priestern mit dem Volk Gottes spürt. War das früher eigentlich anders?
Maier: Nein, das ist auch ein, glaube ich, unberechtigter und unfreundlicher Vorwurf. Er hat auch gesagt, es hat schon bessere Katholikentage gegeben. Was würde denn Kardinal Meisner sagen, wenn wir mit der gleichen Münze heimzahlten, es hat auch schon bessere Erzbischöfe in Köln gegeben.
Degenhardt: Wenn Sie das Motto loben, einen neuen Aufbruch wagen, verstehen Sie dann auf der anderen Seite, dass viele gerade auch junge Leute von ihrer Kirche enttäuscht sind?
Maier: Ja, das weiß ich, das weiß ich auch als ein Vater von sechs Kindern und als ein Hochschullehrer, der mit vielen jungen Menschen spricht. Ich bringe mein Leben immer auf die Formel: Ich bin als Staatsbürger mit dem Grundgesetz groß geworden und als Kirchenbürger mit dem Zweiten Vatikanum. Das war wirklich eine Ermunterung, ein Blick nach vorn, eine Stimmung des Aufbruchs, und heute hat man manchmal den Eindruck, die Kirche hat Angst – also nicht im Ganzen, aber doch die Kirchenleitung …
Degenhardt: Die Bischöfe.
Maier: Ja, man fürchtet, dass dieses große Geländer Kirche, dieser Ort der Festigkeit und der Orientierung ins Wanken gerät, und darüber vergisst man, dass nur der lebendig bleibt, der sich auch wandelt, und dass auch nur der Halt gibt, der bereit ist, sich selber einmal ein Stück weit infrage zu stellen. Aber auf dem Katholikentag wird so etwas offen diskutiert, und wenn man durch die Stände geht und an den verschiedenen Zelten vorbei und die vielen, vielen Initiativen sieht und die Ehrenamtlichen, dann bekommt man doch den Eindruck, in der Kirche lebt auch Hoffnung und Zuversicht.
Degenhardt: Welche Rolle sollten denn die Laien Ihrer Meinung nach in der Kirche spielen?
Maier: Nun, ohne die Laien könnte die Kirche ja gar nicht mehr ihren Platz in der Öffentlichkeit finden, und gerade in Deutschland beruht ja eigentlich die Stellung der Kirche bis heute auf den Kirchenartikeln der Weimarer Verfassung, die durch die Laien, genau durch den politischen Katholizismus zustande gekommen sind – was übrigens auch den Evangelischen zugute kam, die damals über keine politische ähnliche Vertretung verfügten. Laien durften schon immer in der Kirche vieles tun, was Geistlichen verboten ist – Handel treiben, sich politisch betätigen, eine Familie gründen, Kinder haben –, aber die Laien waren kirchenrechtlich eigentlich immer gedrückt. Es hieß nur, das sind eben die Nichtkleriker. Das Zweite Vatikanum hat zum ersten Mal die Laien als Stand betrachtet und hat formuliert, sie seien berufen, die Kirche an den Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann – nur durch sie. Das ist, glaube ich, doch eine Anerkennung der Laien und darüber kann man sich freuen und daran sollte man auch immer wieder erinnern.
Degenhardt: Ich möchte mal das Rad noch ein wenig weiterdrehen: Katholizismus in der heutigen Zeit, Herr Maier, wie sehr gehören Frauen für Sie dazu, auch vielleicht sogar als Priesterinnen?
Maier: Also das ist eine Frage, die sicher nur weltkirchlich entschieden werden kann, aber ich kann mir persönlich durchaus zum Beispiel eine Ordensfrau vorstellen, die mir die Beichte abnimmt, warum nicht. Also die Kirche muss sich noch daran gewöhnen, Männer und Frauen völlig gleich zu sehen, gleich zu behandeln. Ich will damit nicht für Frauenpriestertum plädieren, aber es wäre schon sehr viel, wenn man ganz selbstverständlich die beiden Hälften der Menschheit gewissermaßen vor Augen hätte bei allen kirchlichen Entscheidungen.
Degenhardt: Und was ist mit der Ökumene? Nach dem von Ihnen erwähnten Konzil gehört sie doch eigentlich mit zur christlichen Mission?
Maier: Das Konzil hat ja ganz generell die Haltung der katholischen Kirche gegenüber der Welt neu definiert. Also wenn ich sehr vereinfache, aus den treulosen, verblendeten, verstockten Juden – so hieß es früher in der Karfreitagsbitte – wurden die älteren Brüder im nach wie vor gültigen ersten Bund aus den häretischen Protestanten – auch so hieß es früher – wurden Brüder im Glauben, wenn auch noch getrennte Brüder, und aus den götzendienerischen Ungläubigen – auch so hieß es früher –, Ungläubigen, die man ihrem Sündenelend entreißen wollte, wurden Menschen, die man achtete und für die man betete. Das Konzil hat einfach eine neue Positionierung, einen neuen Ort der Kirche definiert, und das ist wichtig und daran muss immer wieder erinnert werden.
Degenhardt: Kann man einen neuen Aufbruch wagen mit dem derzeitigen Papst?
Maier: Das muss man sehen. Ich kenne den derzeitigen Papst sehr lange, wir hatten ja eine gemeinsame Dozentenzeit, wir haben auch viel gemeinsam unternommen, sogar ein Buch über Kirche und Demokratie geschrieben, das in viele Sprachen übersetzt ist. Leider haben wir uns über der Frage Schwangerenkonfliktberatung zerstritten. Ich bedauere das sehr, und der Papst neigt ein wenig dazu, nach rückwärts zu blicken. Er ist in einer unbeschädigt katholischen Umwelt aufgewachsen, ich bin dagegen von Anfang an eigentlich konfrontiert worden, schon in der Schule, ja schon im Kindergarten mit Andersgläubigen, auch mit Ungläubigen, das bringt eine andere Haltung mit sich.
Degenhardt: Hans Maier, ehemaliger Präsident des Zentralkomitees deutscher Katholiken zum aktuellen Kirchentag und zu den Problemen und auch zu den Chancen für seine Kirche. Herr Maier, vielen Dank für das Gespräch!
Maier: Ich danke Ihnen, Herr Degenhardt!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr Infos zum Katholikentag auf dradio.de:
Eine zukunftsfähige katholische Kirche? - 98. Deutscher Katholikentag in Mannheim