Neil Young & Crazy Horse: "Colorado"
Reprise Records (Warner) 2019
"So schön haben alte Männer noch nie zusammen gesungen"
09:16 Minuten
Aufgenommen in der dünnen Bergluft: Nach sieben Jahren hat Neil Young wieder ein Album herausgebracht. Seine Begleitband Crazy Horse hat ihm dazu verholfen, dass "Colorado" ein geerdetes Stück Musik geworden ist.
Mathias Mauersberger: Von den alten Helden der Rockmusik ist der Kanadier Neil Young wohl der umtriebigste. Er tourt um die Welt, schreibt Bücher, dreht Filme, kämpft gegen digitale Audioformate mit niedriger Auflösung, eröffnete ein Online-Musikportal und entwickelte ein neues digitales Abspielgerät. Vor allem aber veröffentlicht er in schöner Regelmäßigkeit mit unterschiedlichsten Begleitmusikern neue Alben. Im vergangenen Jahr erschien der Soundtrack zu seinem psychedelischen Western "Paradox", auf dem er sich von seiner ein paar Generationen jüngeren Band Promise Of The Real begleiten ließ. Nun gibt es schon wieder ein neues Album von Neil Young. Es heißt "Colorado". Was macht dieses neue Album so besonders?
Maik Brüggemeyer: Zunächst mal ist "Colorado" nach sieben Jahren das erste Album, das Neil Young mit seiner legendären Begleitband Crazy Horse aufgenommen hat. Allein das ist schon eine kleine Sensation. Denn während der letzten gemeinsamen Tournee 2014 erklärte der zweite Gitarrist Frank Sampedro, er könne sie nicht vorstellen, dass diese Band noch lange durchhalte, weil die Mitglieder einfach in ein Alter kämen, in dem sie die langen, lauten, strapaziösen Konzerte nicht mehr durchhalten könnten.
Und tatsächlich ist Sampedro nun nicht mehr dabei. Er lebt als Farmer auf Hawaii und kann wohl auch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mitspielen. Ersetzt hat ihn Nils Lofgren, den man wohl vor allem als Mitglied von Bruce Springsteens E Street Band kennt. Er ist kein Unbekannter im Neil-Young-Kosmos, Neil Young war ein Entdecker und Mentor für ihn.
Mauersberger: Wie kam es denn zur erneuten Zusammenarbeit mit der Band Crazy Horse?
Brüggemeyer: Crazy Horse sind eine besondere Band in der Karriere von Neil Young. Das sind nicht die virtuosesten Musiker, mit denen Young in seiner langen Karriere musiziert hat, aber sie scheinen die einzigen zu sein, die seiner wilden, rauschhaften Seite wirklich gewachsen sind, die seine raue Energie am besten einfangen können.
Dass sie mit ihm zusammengearbeitet haben, muss wohl eine sehr spontane Angelegenheit gewesen sein. Im vergangenen Jahr haben sie ein paar Konzerte zusammengespielt. Anfang dieses Jahres sind sie in Neil Youngs Geburtsstadt Winnipeg zwei Mal aufgetreten, Mitte April haben sie dann im Studio in the Clouds in den Rock Mountains von Colorado elf Tage lang auf knapp 2800 Höhenmetern gejammt und Songs aufgenommen.
Titel "Pink Moon" war leider schon vergeben
Mauersberger: Hat der Ort eine besondere Bewandtnis?
Brüggemeyer: Das Studio ist nicht weit entfernt vom Wintersportort Telluride, wo Neil Youngs Frau, die Schauspielerin Darryl Hannah, ein Anwesen besitzt. Abgesehen davon scheint das, eine gute Kulisse zu sein. Denn die Aufnahmen wurden für eine Dokumentation mit dem Titel "Mountaintop Sessions" gefilmt. Wobei Nils Lofgren gesagt hat, er habe sich öfter mal ins Sauerstoffzelt begeben müssen, um auf dieser Höhe einen halbwegs klaren Kopf zu bewahren.
Aber ich glaube Young hat die Höhenluft durchaus als quasi bewusstseinsverändernde Substanz eingeplant. Entscheidender noch als der Ort scheint aber gewesen zu sein, dass sie das Album bei Vollmond begonnen haben. Es sollte auch ursprünglich den Titel "Pink Moon" tragen – aber da gibt es schon ein Album von Nick Drake, das so heißt. Young scheint eine besondere Faszination für den Mond zu haben. Er hat neulich in einem Interview gesagt, alles, was bei Vollmond begonnen werde, habe eine gute Chance erfolgreich zu werden.
Mauersberger: Und? Würden Sie sagen, dass das neue Album ein Erfolg ist?
Brüggemeyer: Ich weiß nicht, ob man "Colorado" später zu den Meisterwerken im Young’schen Kanon rechnen wird, dafür fehlen die ganz großen Songs, fehlt das Mythische und Geheimnisvolle, das beispielsweise Songs wie "Cortez The Killer" oder "Powderfinger" einst hatten.
Aber Crazy Horse haben wieder das getan, was sie immer tun: Sie haben Young geerdet und ihn zu seinem wohl fokussiertesten und konzentriertesten Album des Jahrzehnts getragen. Ein Album, auf dem sich natürlich einige epische Gitarrenstücke finden, aber auch ein paar hübsche Folksongs. Alles wird zusammengehalten von den Gesangsharmonien von Crazy Horse. So schön haben alte Männer vermutlich noch nie zusammen gesungen.
Breitseite gegen Trump
Mauersberger: Ist "Colorado" dann also eine reine Nostalgieveranstaltung, auf der alte Freunde noch mal zusammenspielen?
Brüggemeyer: Es gibt dieses Element und es gibt auch ein Lied über einen alten Freund, den Young mit einer neuen Liebe wiedertrifft. Aber die meisten Songs handeln tatsächlich von den Themen der Zeit. Vor allem vom Klimawandel, aber es geht auch um Diversität und eine Breitseite gegen Donald Trump gibt es bei Young auch immer irgendwie.
Young hatte schon früh ein grünes Bewusstsein, die Natur und die nordamerikanische Landschaft sind ein entscheidender Teil seiner Bilderwelt. Eines der neuen Lieder heißt "Green Is Blue" – die grüne Seele hat der Trübsinn befallen, wir haben all die Warnzeichen, die Feuer und die Fluten gesehen, aber wir haben nichts unternommen.
Das fast 14-minütige "She Showed Me Love" ist ein Liebeslied an Mutter Natur und beginnt mit der Zeile: "You might say I’m an old white guy", dann folgt das Geständnis, dass eben diese alten weißen Männer die Wurzel allen Übels sind. "I saw a white guy trying to kill Mother Nature". Und dann brechen irgendwann die Gitarren los.
Mauersberger: Ist "Colorado" also ein dunkles, wütendes Album?
Brüggemeyer: Seltsamerweise nicht. Es ist insgesamt eher ein zärtliches Werk. Gegen Ende überwiegt dann doch der alte Hippie-Traum. In einem Stück, "Eternity", singt er, wie er in einem "house of love" aufwacht, die Vögel singen, die Hunde bellen und die Wildtiere draußen vor dem Fenster frei umherlaufen.
In einem anderen beschwört er einen farbigen Regenbogen, der die USA auszeichne, und den niemand whitewashen könne. Im letzten Song kommt das Album fast zum Stehen und Neil Young flüstert, dass er glaubt, dass wir die globalen Probleme gemeinsam lösen können, auch wenn er uns dann ein bisschen ungläubig fragt: "Why do I believe in you?" Das muss wohl diese Liebe sein.