Mainstream-Kino-Charts

Tritte gegen den guten Geschmack

Mark Wahlberg als John und Amanda Seyfried als Samantha Jackson in einer Szene der Kino-Komödie "Ted 2" (undatierte Aufnahme).
Unterhaltung mit Message: der Kinofilm Ted 2 © picture alliance / dpa / Universal Pictures
Hartwig Tegeler |
Trotz aller Kiffer- und Spermawitze: Seth MacFarlanes Film "Ted 2" ist irgendwie auch ein gelungenes Plädoyer für die Andersartigkeit. Und auch die anderen Filme aus den Top Five der Mainstream-Charts bieten mehr als bloßes Popkorn-Kino.
"Und hier habe ich doch noch irgendwo ein paar Hollywood-Blockbuster. Mel Gibson. – Nein, nein, so was nicht. – Lieber Arthaus? – Ich bin etwas überfordert, ich weiß gar nicht, wofür ich mich entscheiden soll. Die meisten Klassiker kenn ich mittlerweile auswendig. Aber welche von den neuen Filmen hier sind denn wirklich lohnenswert?"
Welche Filme sind lohnenswert? Was für eine Frage! Eine allerdings, die der Regisseur Jafar Panahi in seinem wunderbaren politischen Roadmovie "Taxi Teheran" stellt. Ich fresse übrigens einen Besen, wenn dieser Film es in irgendwelche Top Five schafft. Der Regisseur Jafar Panahi in der Rolle des Taxifahrers, der mit digitalen Kameras auf dem Armaturenbrett seine Fahrgäste aufnimmt, und so ein intensives, komplexes und mitunter auch respektlos komisches Bild des Mullah-Systems rund fünf Jahre nach der Grünen Revolution zeichnet.
"Taxi Teheran" behauptet vollkommen überzeugend die Kraft des Kinos, ein Kino, das trotz der Bedingungen von Zensur und Unterdrückung seine ungeheure menschliche Energie zeigt. Dies ist auch ein Film, der uns ein wunderbares Credo zum Kino liefert, wenn der Regisseur, der 20 Jahre Berufsverbot hat, auf die Frage, was denn nun gutes Kino sei, antwortet:
"Jeder Film lohnt sich erst mal gesehen zu werden. Alles anderes kommt natürlich auf den Geschmack an."
Ein Satz, gesagt von jemanden, dem jede Arroganz abgeht. Also geht es darum, in jedem Film das Lohnende zu entdecken. Wow! Das ist eine Aufgabe, die hat es in sich. Doch, wie sagt der Volksmund? "Versuch macht kluch!" Antreten zum Selbstversuch also: Die Kifferkomödie …
Platz 5: "Ted 2" von Seth MacFarlane
… um den Teddy und seinen Mark-Wahlberg-Kumpel.
"Tammy Lynn und ich bekommen bald ein Baby. – Warte, warte, warte. Und wie habt ihr das gem...? – Das ist das Ding, wir brauchen einen Samenspender."
Wie hier Seth MacFarlane durch all den pubertären Sperma- und Kifferwitze hindurch es schafft, ein Plädoyer für die Andersartigkeit hinzukriegen: alle Achtung. Wie – gut, kurz die Top-Five-Chronologie, hier gegen den Strich gebürstet, weil, eben noch ...
Platz 5 ...
... jetzt schon ...
"Oh. Uh. Bä. Bä. Bah."
Platz 1: "Minions" von Pierre Coffin und Kyle Balda
"Oh. Uh. Bä. Bä. Bah."
… also, wie Coffin und Balda mit ihrem Animationsfilm über die Minions, die kleinen gelben Helfer der Bösewichter der Welt, heftige Tritte gegen den guten Geschmack und die politische Korrektheit verteilt, verpackt in einem Strudel von Ideen und Absurdität, das kann einen schon voller Hingabe an Jafir Panahis Satz denken lassen:
"Jeder Film lohnt sich erst mal gesehen zu werden."
Ein Satz übrigens, der in seiner Liebe zum Kino und in der Empathie gegenüber seinen Geschichten sehr zu dem erlösenden Satz von Süddeutsche-Kinomann Tobias Kniebe passt. Der hat nämlich die Häme, mit der die Filmkritikerschar vor kurzem Ryan Goslings Regiedebüt überschüttete mit dem Satz kommentiert: "Manchmal schämt man sich, Teil dieses Berufsstandes zu sein." D'accord!
"Und vergesst nicht: Wenn euch irgendwas jagt, lauft!"
Da das Leben aber so wunderbar widersprüchlich ist wie das Kino und seine Rezeption, muss ich gleichzeitig konstatieren, dass ich bei ...
Platz 4: "Jurassic World" von Colin Trevorrow
... wie auch …
"Ich komme wieder! – Was?"
… bei ...
Platz 3: "Terminator: Genesis" von Alan Taylor
... nichts finde, was meinen geschmacklichen Widerstand auflösen würde. Wenn Schwarzenegger sich selbst recycelt, wenn in der Dino-Saga die Logiklöcher so groß wie eine Tyrannosaurus-Rex sind, okay, okay ...
"Jeder Film lohnt sich erst mal gesehen zu werden."
Aber dann doch wieder mit dem Zusatz:
"Alles anderes kommt natürlich auf den Geschmack an."
Platz 2 hingegen auf der Mainstream-Charts-Skala …
"Unknown User" von Lewan Gabriadze
erzählt eine Geschichte aus unserer Zeit, unserer Kommunikations-Zeit. Ein Film, der ganz auf dem Computerbildschirm spielt und von den Freunden einer jungen Frau erzählt, die sich wegen Internet-Mobbing umbrachte. Diese Freunde werden nun ihrerseits Ziel eines tödlichen Abzählreim-Spiels.
"Wer ist das? - Ich habe versucht, den rauszuschmeißen. - Die Störung hat gerade geschrieben. - Wer macht das? - Das ist Lauras Account. - Wer hackt den Account von einer Toten."
Big Data, Internet-Junkies, Multi Tasking, Facebook, Text-Messages - alles das fließt in diese Genre-Geschichte ein, die etwas vom Lebensgefühl der Kids erzählt und davon, wie sie als Cyborgs mit den Neuen Medien umgehen. Für die allerdings das Attribut "neu" natürlich lachhaft ist. Von einem bestimmten Alter an muss man sich diesem Film aussetzen, aber das ist auch gut so. Ja, Herr Panahi, Recht haben Sie.
"Jeder Film lohnt sich erst mal gesehen zu werden."
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