Verjüngung fürs ergraute Kabarett
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Stephan Denzer hat die Satire beim ZDF mit der "Heute-Show" und der "Anstalt" auf Erfolgskurs gebracht. Nun will er das renommierte, aber angestaubte Mainzer "Unterhaus" zum Mekka für experimentelle Comedy machen – und politisch bleiben.
"Team Lustig" hieß die Abteilung Kabarett und Comedy beim ZDF intern. Und "Onkel Lustig" derjenige, der sie von 2006 an erfolgreich führte: Stephan Denzer. Später brachte er zusätzlich die Satire bei 3Sat und ZDFneo nach vorn. Mit neuen Formaten und Köpfen wie Welke, von Wagner, Pufpaff und Böhmermann erschloss er der öffentlich-rechtlichen Anstalt neues Publikum.
Ist Denzer wahnsinnig, diesen Traumjob fürs unterfinanzierte "Unterhaus" in Mainz mit 50.000 Zuschauern im Jahr aufzugeben?
"Wahrscheinlich lautet die Antwort auf diese Frage: ja", sagt er. "Aber irgendwo war ich an einem Gipfel angelangt und habe mir die Frage gestellt: Will ich auf diesem Gipfel einfach nur die schöne Aussicht genießen oder wieder einen neuen Berg erklimmen? Das Unterhaus, obwohl es so im Keller liegt, ist ein großer Berg von Arbeit."
Das treue Publikum bewahren
Den Generationenabriss aufhalten, so formuliert Denzer die Hauptaufgabe, eine neue junge Satiregemeinschaft zu erschließen, und zwar für die Bühne und fürs Publikum. Das "Unterhaus im Unterhaus" als kleiner Saal soll sich noch konsequenter als Labor und Sprungbrett für innovative 20- und 30-Jährige etablieren. Christin Henkel, Jahrgang 1984, war mit ihrem klavier-kabarettistischen Chanson hier.
"Wir sind jetzt erwachsen, komm lass uns Fahrradhelme tragen! Wir sind jetzt erwachsen", sang Henkel bei der Kabarett-Bundesliga im kleinen Unterhaus. "Ein Meer von Pusteblumen" spottete sie dann mit Blick von oben auf die mehrheitlich grau- bis silberhaarigen Köpfe.
Kichern im Publikum. Die mit ihrem Kabarettkeller erwachsen gewordenen Zuschauer ertragen einiges. An Treue kaum zu überbieten, wie eine Zuschauerin erläutert: "Wir waren Studenten, im Jahr 1977 war Mathias Richling das erste Mal im Mainzer Unterhaus, seitdem verfolgen wir fast jedes Programm."
Ohne Politik geht es nicht
Ohne das Stammpublikum über 50 kann das Unterhaus nicht überleben. Aber allein mit ihm hat es keine Zukunft. Das ist der Spagat, den der ausgebildete Comedian und Yogatrainer Stephan Denzer als neuer Frontmann bringen muss: improvisierte Sketche und Poetry-Slams auf die Bühne zu holen, um junge Leute vom YouTube-Comedy-Angebot loszueisen; gleichzeitig die auf scharfe Politsatire und Komik alter Schule gepolten Älteren nicht zu verschrecken.
Das Rückgrat des Programms bleibt politisches Kabarett, verspricht Denzer. Doch Humor mit Haltung muss nicht alt aussehen, findet der Unterhaus-Geschäftsführer und Programmchef in Personalunion mit Verweis auf Nico Semsrott.
"Das ist mein Name, an sich erstmal langweilig, aber mit den Initialen liege ich voll im europäischen Trend", so stellte sich Semsrott vor, als er vor drei Jahren den Deutschen Kleinkunstpreis im Mainzer Unterhaus bekam. Der 33-jährige Berufsdeprimierte und selbsternannte Demotivationstrainer ist derzeit EU-Abgeordneter für "Die Partei".
"Da ist ein junger Typ, der macht Comedy, so nennen es die meisten, die ist so hoch politisch und so haltungsstark wie kaum was anderes", sagt Denzer über Semsrott und fügt als weiteres Beispiel die Mittzwanzigerin Hazel Brugger an. Hochkaräter, die ihren Wert kennen und ihre Internetpräsenz nicht ans bedürftige Unterhaus verschenken, das weiß dessen neuer Leiter.
"Aber ich kann Nachwuchsleute ans Unterhaus binden und mit denen so schöne Formen entwickeln, dass ich die Rechte daran habe und durch die gemeinsame Eigenentwicklung und das gemeinsame Kreieren dann wieder Inhalte ins Netz gestellt werden können."
Auch den Weg ins Internet finden
Wie er an die ganz jungen Begabten rankommt? Kein Problem für einen, der als Gastdozent in Köln und Potsdam-Babelsberg Seminare als "Crashkurse für Humor" geleitet hat. Satire und Sitcoms, also Situationskomödien, stehen jetzt für die Universität Mainz auf seiner Agenda:
"Es kann sein, dass von diesen Seminaren irgendwo mal fünf, sechs Leute hängen bleiben. Dann wäre das toll, dann habe ich eine Comedy-Community, eine Schreib-Community, die über Jahre entwickelt werden kann. Das ist die Nachwuchsarbeit, die ich da anstrebe."
Kommen deren Ergebnisse auf die Bühne, so hofft Stephan Denzer, spricht sich das unter Studierenden und jungen Improvisationstheaterfans rum. Verkauft das Unterhaus dann noch Karten in hippen Cafés, tritt bei Facebook, Twitter und Instagram auf, sollte das für eine erste Anti-Falten-Kur reichen.