Major Marcel Bohnert ist Offizier im Generalstab, Leiter des Bereichs Neue Medien, war in Auslandseinsätzen im Kosovo und in Afghanistan. Dort 2011/2012 Kompaniechef einer Kampfeinheit in Kundus, Distrikt Chahar Darreh. Er befaßt sich als Autor seit Jahren mit dem Selbstverständnis der Streitkräfte; war 2014 Mitherausgeber des unter Soldaten vielbeachteten Sammelbandes "Armee im Aufbruch". 2017 veröffentlichte er das Buch "Innere Führung auf dem Prüfstand: Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz"
"Wir sind das Stiefkind der Nation"
Die Bundeswehr ist in den Schlagzeilen - zum Beispiel wegen ihres fehlenden Nachwuchses oder wegen der Mängel ihrer Ausrüstung. Bundeswehr-Major Marcel Bohnert spricht über berechtigte Kritik und warum deutsche Soldaten sich oft als " Stiefkind der Nation" fühlen.
Deutschlandfunk Kultur: Marcel Bohnert ist Offizier im Generalstab der Bundeswehr, Leiter des Bereichs neue Medien dort. Major Bohnert war im Einsatz im Kosovo und auch in Kundus, also Afghanistan, dort 2011, 2012 Kompaniechef einer Kampfeinheit, ist auch ausgebildeter UN-Beobachter und Autor. Er schreibt Bücher über die Bundeswehr und die Soldaten. Guten Tag, Herr Bohnert.
Marcel Bohnert: Schönen guten Tag, Frau Durak.
Deutschlandfunk Kultur: Ihr Marschgepäck für unser Gespräch wiegt ziemlich schwer. Und Sie haben es noch nicht einmal selbst gepackt. Nehmen Sie es trotzdem auf?
Marcel Bohnert: Ja, natürlich. Sonst würde ich ja hier nicht sitzen und mit Ihnen sprechen.
Deutschlandfunk Kultur: Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Bundestages zum Zustand der Truppe steckt da zum Beispiel drin. Und dieser Bericht ist, wie wir ja letzte Woche gehört haben, ziemlich niederschmetternd. Die sehr kurze Kurzfassung geht in etwa so: Ausrüstung mangelhaft, Personal zu wenig, Einsatzfähigkeit nur bedingt, Wertschätzung sinkt. Und diese Woche hat ein Bericht der Bundeswehr selbst für den Verteidigungsausschuss des Bundestages die Probleme bei der materiellen Einsatzbereitschaft der Truppe bestätigt.
Herr Bohnert, das hängt alles eigentlich jedem Soldaten an, wenn man mit ihm, wie wir jetzt, über die Bundeswehr spricht. Ich habe aber eines ausgelassen, die Motivation. Wie steht es denn mit der angesichts dieser Lage bei Ihnen?
Marcel Bohnert: Bei mir selbst ist die Motivation natürlich nach wie vor hoch, weil ich meine, dass das natürlich Probleme sind, die uns derzeit in der sicherheitspolitischen Lage, die nicht einfach ist auf der Welt, das wissen Sie, bedrängen. Wir sprechen ja heute unter anderem auch, um diese Probleme auf den Tisch zu bringen und auch gesamtgesellschaftlich ein Verständnis dafür zu wecken, dass wir Lösungen brauchen.
"Der Wehrbeauftragte ist der Anwalt der Soldaten"
Deutschlandfunk Kultur: Sie sind motiviert, viele andere Soldaten auch. Also, alles eigentlich ohne Problem?
Marcel Bohnert: Das kann man so natürlich auch nicht sagen. Sie hatten jetzt gerade den Wehrbeauftragtenbericht angesprochen. Man muss natürlich wissen, der Wehrbeauftragte ist der Anwalt der Soldaten. So nennen wir den bei uns. Das bedeutet, seine Aufgabe ist es Missstände anzuprangern, die Soldaten ihm – ich sage mal – zutragen. Das tun sie in Gesprächen. Der Wehrbeauftragte reist sehr viel. Und das tun sie auch mit Eingaben, die sie an ihn verfassen. Und er fokussiert natürlich auf die Probleme.
Sein Bericht ist ein ganz wichtiger Indikator für die Stimmung in der Truppe. Man muss natürlich schon sagen, dass es immer gerade an der militärischen Basis, was so die Auftragslast, die Ansprüche und die Forderungen an die Soldaten angeht, natürlich rumort.
Deutschlandfunk Kultur: Auftragslast meint immer die vielen Einsätze und Aufträge. 13 oder 14 Auslandseinsätze sind es ja jetzt.
Marcel Bohnert: Also, nicht nur die Einsätze. Das ist natürlich dann sozusagen an einem Extrem des Soldatenberufes da, wo es dann in den Resultaten oder den Bilanzen besonders scharf wird oder wo diese Probleme sich besonders bemerkbar machen, wo sie besonders gravierend werden und besondere Auswirkungen haben. Aber wir haben 179.000 Soldaten und knapp 60.000 zivile Mitarbeiter. Vieles davon beschäftigt natürlich auch diejenigen, die im Inland ihren Dienst hier leisten.
Deutschlandfunk Kultur: Und im Einsatz sind 3.500/ 3.600 Soldaten.
Marcel Bohnert: Genau. Es sind ungefähr 3.500/ 3.600. Man muss sagen, dass dieselbe Anzahl von Soldaten in etwa immer in der Einsatzvorbereitung gebunden ist und die Hälfte oder nochmal genau diese Anzahl an Soldaten in der Einsatznachbereitung, so dass man immer einen relativ großen Personalkörper hat, der direkt mit Einsätzen beschäftigt und befasst ist.
Deutschlandfunk Kultur: Da kommen dann gleich noch drauf. Ich habe noch eine Frage zu den Wehrberichten. Nervt Sie das nicht oder ist Ihnen das nicht peinlich, wenn die halbe Republik ein paar Tage lang über fehlende lange Unterhosen spricht und vielleicht auch lacht, wie dieser Tage? Da geht es um den deutschen Beitrag zur schnellen Eingreiftruppe der Nato im kommenden Jahr, wo es noch an vielem anderen fehlt, nicht nur an Winterbekleidung. Ist Ihnen das irgendwie peinlich?
Marcel Bohnert: Na, wenn Sie fragen, wie das auf mich wirkt, dann ist es natürlich nicht so, dass ich mich über so was freue. Das erweckt bei mir so ein bisschen verschiedene Assoziationen. Auf der einen Seite macht mich das natürlich betroffen insbesondere, weil das eben über die Leistung, die die Soldaten an der Basis, also, vor allem in den Auslandseinsätzen, erbringen, weil das über diese Leistung hinweg täuscht.
"Grundgefühl, dass die Medien sich so ein bisschen auf uns eingeschossen haben"
Der Dienst ist fordernd. Ich kenne sehr, sehr viele Soldatinnen und Soldaten, die das sehr aufopfernd machen. Und denen wird man natürlich mit solchen Meldungen einfach nicht gerecht. Denn die Truppe ist schon sehr, sehr bemüht, dass sie trotz dieser Rahmenbedingungen ihren Auftrag bestmöglich erfüllt.
Dazu kommt natürlich auch noch so was wie das Grundgefühl, das in der Bundeswehr sehr viele haben, dass die Medien sich so ein bisschen auf uns eingeschossen haben und auch einen Gefallen daran finden, die Bundeswehr so als Pflegefall darzustellen.
Deutschlandfunk Kultur: Woran machen Sie das fest?
Marcel Bohnert: Weil jede noch so kleine Verfehlung, die Sie vielleicht bei anderen Arbeitgebern in derselben Größenordnung auch haben, oder bei ähnlichen Problemen das Ganze immer relativ zügig versucht wird, zu einem Skandal aufzubauschen.
Deutschlandfunk Kultur: Ist die Bundeswehr also ein Arbeitgeber wie jeder andere?
Marcel Bohnert: Das ist eine ganz grundlegende Frage, die ich mit Nein beantworten würde. Ich weiß nicht, ob wir darauf noch im Laufe des Gespräches auch nochmal kommen. Der Vergleich zur zivilen Arbeitswelt wird aber sehr häufig gezogen. Also, das glaube ich nicht. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass in dieser Größenordnung es einfach eine statistische Wahrscheinlichkeit ist, dass bestimmte Dinge auch in der Bundeswehr, weil dort Menschen tätig sind, auch ein bisschen schief laufen und nicht immer hundertprozentig gerade.
Deutschlandfunk Kultur: Wir sprechen ja jetzt in dieser Sendung Tacheles darüber, welche Bundeswehr braucht Deutschland und was ist sie uns wert. Einiges haben Sie schon angesprochen. Was Sie uns wert ist, kann man ja an den traurigen Berichten ablesen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes Wüstner hatte ja geätzt, als der Wehrbericht vorgelegt wurde: "Schafft doch gleich die Bundeswehr ab." Denn seine Gretchenfrage an die Politik, die lautet: Soll Deutschland einsatzbereite Streitkräfte haben oder nicht. Wenn ja, gebt uns das notwendige Geld. Sorgt für Ausrüstung, Personal usw. Wenn ihr das nicht wollt oder könnt, dann löst uns doch auf. – Das ist ziemlich drastisch.
"Entweder wir machen es richtig oder wir können es sein lassen"
Marcel Bohnert: Ja, das ist von André Wüstner, dem Vorsitzenden Bundeswehrverbands ziemlich drastisch formuliert, natürlich polemisch. Das Ganze war als Weckruf gedacht. Da gehe ich sehr deutlich von aus. Und André Wüstner trägt natürlich auch die Meinung der Mitglieder des Deutschen Bundeswehrverbandes hier in die Öffentlichkeit.
Dieser Bundeswehrverband hat um die 200.000 Mitglieder, vorrangig Soldaten, aber auch zivile Mitarbeiter. Und diese Stimmung, die auch der Wehrbeauftragtenbericht so ein bisschen widerspiegelt, wird in diesem Satz sehr, sehr deutlich. Also, natürlich will er das nicht. Das kann er nicht wollen als Vorsitzender des Bundeswehrverbandes. Aber er sagt halt sehr klar: Passt auf, entweder wir machen es richtig und ihr gebt uns genau das, was wir brauchen. Oder wir können es dann auch am Ende sein lassen.
Deutschlandfunk Kultur: Und Sie möchten nicht, dass die Medien darüber berichten, weil Sie eben sagten, die Medien bauschen viel auf?
Marcel Bohnert: Ja doch, natürlich möchte ich, dass die Medien das auch aufgreifen. Genau das möchte ich. Ich möchte aber da auch eine sachliche Debatte, in der unter anderem auch Soldaten zu Wort kommen und in der vielleicht auch mal positive Dinge berichtet werden.
Nun ist es ja kein Geheimnis, dass ein Mediengesetz lautet, dass bad news good news sind, also, dass natürlich Nachrichten, die sehr, sehr positiv sind, jetzt bei der Zuhörerschaft nicht auf besonders großen Widerhall treffen, sondern dass das eher so ein bisschen durch rauscht. Und sobald irgendwas Außergewöhnliches, was Besonderes passiert, hat man halt die Aufmerksamkeit des Publikums. Von daher ist klar, dass die Medien sozusagen auf diese Dinge fokussieren. Aber ich denke, man kann das sachlicher und einfach nicht auf dem Rücken der Soldaten diskutieren.
"Was uns vor allem gefehlt hat, ist der Rückhalt der Bevölkerung"
Deutschlandfunk Kultur: Dann machen wir es anhand Ihres Afghanistaneinsatzes etwas konkreter. 2011, 2012 war das. Was die Lage der Bundeswehr betrifft, das war vor Jahren schon ziemlich schlecht. Also, die Berichte der Wehrbeauftragten, die ähneln sich. Hat denn Ihrer Kompanie im Kundus-Einsatz irgend etwas gefehlt? Oder was hat Ihnen gefehlt?
Marcel Bohnert: Also, was uns vor allem gefehlt hat, ist der Rückhalt der Bevölkerung. Das klingt jetzt vielleicht etwas pathetisch, aber wir hatten nicht das Gefühl, dass das, was wir da tun, in dieser Form auch in der deutschen Öffentlichkeit bekannt war oder auf – ich sage mal – breite Akzeptanz oder Unterstützung gestoßen ist.
Ehrlicherweise war es 2011 schon so, dass sehr, sehr viel gutes Material und gute Ausrüstung vor Ort war. Die Bundeswehr ist 2002 in diesen Einsatz das erste Mal mit einem größeren Kontingent gegangen. Und das Ganze hat als – ich sage mal – humanitäre Stabilisierungsmission begonnen. Wir sind winkend durch Kabul gefahren und haben uns als bewaffnete THWler gesehen oder Sozialarbeiter und wurden auch in der Öffentlichkeit genauso dargestellt.
Nun war es aber so, dass ab 2006 spätestens das Ganze sukzessive in einen Kampfeinsatz übergegangen ist und 2008, 2009, 2010 und 2011 die Bundeswehr dort in massive Gefechte, Anschläge usw. verwickelt wurde. Das war den Soldaten vor Ort sehr, sehr klar. Das ist aber von der Politik in dieser Form nicht in die Öffentlichkeit kommuniziert worden. Und in der Öffentlichkeit wurde es nicht wahrgenommen.
"Einsatzbedingt ums Leben gekommenen Soldaten"
Auch dieses Gefühl hatten wir 2011 noch. Es war so, dass es einige – ich nenne es mal – Paukenschläge gab, die die Öffentlichkeit so ein bisschen wachgerüttelt haben. Wir hatten Ende 2009 das Kundus-Bombardement.
Deutschlandfunk Kultur: Mit Oberst Klein.
Marcel Bohnert: Genau, dem damaligen Oberst Georg Klein, wo sozusagen in der Öffentlichkeit das erste Mal die Frage aufkam: Was in Gottes Namen machen eigentlich unsere Soldaten da? Wir hatten dann ein Jahr später oder im Jahr darauf im April das Karfreitagsgefecht mit drei gefallenen und etlichen verwundeten deutschen Soldaten, wo das zweite Mal diese Frage doch sehr deutlich in der Öffentlichkeit diskutiert wurde und, auch das muss man sagen, unter dem damaligen Verteidigungsminister Guttenberg auch offensiv in die Öffentlichkeit getragen wurde.
Aber auch da war die Aufmerksamkeitsspanne doch relativ gering. Und das generelle Wissen um die Einsätze oder das Interesse daran, das erkenne ich in der Bevölkerung nicht und erkenne ich auch heute noch nicht.
Deutschlandfunk Kultur: Wir müssen auch mal daran erinnern, weil das jetzt fast normal ist, so bitter wie das klingt, dass der Verteidigungsminister zu Guttenberg der erste Politiker dieser Ebene war, der von "Krieg" gesprochen hat. – Wie wichtig war das für Sie und Ihre Soldaten?
Marcel Bohnert: Das war uns Soldaten sehr, sehr wichtig. Das kann man nicht nur an diesem einen Wort festmachen, wo es ja terminologische Debatten gab, die juristisch begründet sein mögen, die aber bei den Soldaten an der Basis einfach nur großes Kopfschütteln hervorgerufen haben. Wir sprechen heute von Gefallenen wie selbstverständlich. Wir haben aber zu Beginn des Afghanistaneinsatzes von "einsatzbedingt ums Leben gekommenen Soldaten" gesprochen. Das war euphemistisch. Man hat dort einfach diesen Begriff nicht nutzen wollen, hatte Angst, dass die Gesellschaft, die natürlich ein bisschen pazifistisch orientiert ist, da nicht positiv drauf reagiert. Also, es ist per se nichts Positives, aber es war eben auch nicht die Wahrheit. Und das war uns schon sehr, sehr wichtig.
"Man fühlt sich in Deutschland mit dem Militär relativ unbehaglich"
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben im Grunde die drei Akteure angesprochen: die Bundeswehr, die Politik und die Bevölkerung. – Was stimmt nicht zwischen diesen dreien, wenn es diese fehlende Akzeptanz gibt bei der Bevölkerung und die fehlenden Mittel bei der Politik und die Enttäuschung bei den Soldaten? Was stimmt da nicht zwischen den dreien?
Marcel Bohnert: Was stimmt da nicht? Ich zitiere an so einer Stelle oder bei so einer Frage immer gern den damaligen Verteidigungsminister de Maiziere, der mal gesagt hat: "Wir leben in einer zutiefst pazifistischen Gesellschaft mit einer Grundskepsis gegenüber allem Militärischen." Dieser Satz ist meiner Ansicht nach so die Wurzel dieser ganzen Problematik, die wir dort zwischen Bundeswehr, Gesellschaft und Politik haben. Man fühlt sich generell in Deutschland mit dem Militär relativ unbehaglich.
Es gibt natürlich Gründe dafür. Wenn wir in unsere Geschichte schauen, nach Ende des Zweiten Weltkrieges war sehr, sehr klar, dass wir in dieser Form, wie das im Zweiten Weltkrieg passiert ist, in keiner Art und Weise mehr das Militär einsetzen wollen.
Man hat dann im Zuge der Wiederbewaffnungsdebatte nach dem Zweiten Weltkrieg sehr lange überlegt, wie man eigentlich unseren Alliierten und der Bevölkerung klarmachen kann, dass wir nichtsdestotrotz wieder Streitkräfte benötigen. Und man hat dort eine Führungsphilosophie entworfen, die wir innere Führung nennen. In dieser Führungsphilosophie hat man eben sehr, sehr klar versucht, die Armee ganz klar in der Mitte der Gesellschaft zu positionieren, ihr keinerlei Sonderstatus zu geben und zu sagen, also der Soldatenberuf ist ein ganz normaler Beruf so wie jeder andere auch. Es ist egal, ob Sie Bäcker oder Fleischer oder Friseur sind oder Soldat, wir sind alle gleich. Vor allem ist das eine Armee für den Frieden. Es geht hier nicht darum, irgendwie auf Krieg ausgerichtet zu sein, sondern es war eben eine Abschreckungsarmee, die sich zwar auf den Ernstfall vorbereitet, aber dieser Ernstfall wird so in dieser Form nicht kommen.
Bundeswehrreform nach dem Ende des Kalten Krieges
Deutschlandfunk Kultur: Major Bohnert, aber der Ernstfall tritt doch in kleinen Schritten jetzt in den Auslandseinsätzen, in denen, die es gibt, und die vielleicht noch kommen werden, immer wieder ein. Also, das hat sich doch grundlegend geändert.
Marcel Bohnert: Das hat sich meiner Ansicht nach grundlegend geändert seit Ende des Kalten Krieges. Da haben wir tatsächlich eine Zeitenwende erlebt, die das Gesicht unserer Streitkräfte, der Bundeswehr, fundamental verändert hat. Wir haben nicht nur nach der Wende die NVA eingegliedert. Wir haben alle Karrierewege für Frauen geöffnet. Wir haben umstrukturiert, reformiert, transformiert. Wir haben Standorte geschlossen. Wir haben unsere Truppen reduziert, also die Bundeswehr verkleinert. Wir haben die Wehrpflicht ausgesetzt.
Diese Faktoren führen insgesamt dazu, dass die Bundeswehr auch aus der Fläche verschwunden ist und viele Menschen im Prinzip keine Soldaten mehr kennen. Darüber hinaus sind wir seit über 25 Jahren in teilweise sehr intensiven Auslandseinsätzen, die meiner Ansicht nach das, was wir uns in den 50er Jahren mal überlegt haben, in dieser Form nicht einfach weiterführen lassen können.
Deutschlandfunk Kultur: Sie, Major Bohnert, und all die anderen Soldaten haben geschworen und schwören es immer wieder, "der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen". Das ist ein Zitat. – Und Sie sind sich nicht mehr sicher, dass das deutsche Volk das auch noch so will?
Marcel Bohnert: Also, erstmal muss man sagen, dass ich als Soldat auf Zeit oder als Berufssoldat das tatsächlich geschworen habe, aber freiwillig Wehrdienstleistende das nicht schwören, sondern nur geloben. Das ist sozusagen schon in der moralischen Verpflichtung noch ein kleiner Unterschied.
Nichtsdestotrotz, der damalige Verteidigungsminister Peter Struck hatte mal gesagt, "die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt". Für diesen Satz ist er sehr kritisiert worden, aber er macht eben deutlich, dass wir irgendwann mal Anfang der 90er unsere Verpflichtung auch darin gesehen haben, weltweit in Krisen und Konflikte zu intervenieren, um dort ja Menschenrechte einfach weltweit auch sicherzustellen.
"Wir können als Bundeswehr nicht für alles verantwortlich sein"
Deutschlandfunk Kultur: Wie das ausgegangen ist, Entschuldigung, das sehen wir jetzt in Afghanistan. Ich weiß gar nicht. Kundus, Ihr einstiger Standort, ist der noch Militärstandort der internationalen Truppen oder sind da auch schon die Taliban? Also, Afghanistan wird erschüttert von Angriffen von Taliban-Manövern. Also, das ist doch verloren.
Marcel Bohnert: Also, einen ganz klaren Einblick in das, was derzeit in Kundus und Afghanistan los ist, habe ich jetzt nicht. Das ist auch, glaube ich, relativ diffus, was in den Medien gemeldet wird. Nichtsdestotrotz, wir brauchen uns hier auch nicht gegenseitig irgendwie in die Taschen zu lügen, sage ich mal. Es ist schon so, dass die Taliban natürlich große Gebiete und auch Räume, in denen die Bundeswehr Fuß gefasst hat, inzwischen wieder in ihrer Hand haben.
Aber da sage ich auch: Okay, da sprechen wir beide jetzt drüber. Das ist schön. Aber das kann am Ende ja nicht die Verantwortung des Militärs sein, sondern die Verantwortung des Militärs sehe ich ganz klar da drin, ein Zeitfenster zu schaffen, in dem wir ein sicheres und stabiles Umfeld generieren, in dem dann andere Akteure entwicklungspolitisch, politisch, ich weiß nicht, in der Zusammenarbeit mit der Zivilbevölkerung eine Regierung stabilisieren. Das Militär ist dazu nicht in der Lage, über mehrere Jahre oder Jahrzehnte, wie es in Afghanistan inzwischen der Fall ist, so ein Land zu stabilisieren. Wir können da nur einen Beitrag im vernetzten Ansatz (leisten), so nennen wir das, mit anderen Regierungsressorts, mit anderen Regierungsorganisationen, auch Nichtregierungsorganisationen dort ein Land zu stabilisieren. Aber wir können als Bundeswehr nicht für alles verantwortlich sein.
Deutschlandfunk Kultur: Das ist auch nicht die Absicht dieser Sendung Tacheles, in der Major Marcel Bohnert Gast ist, Offizier im Generalstab der Bundeswehr. Und wir sprechen über die vielen Facetten folgender Fragen: Welche Bundeswehr braucht Deutschland und was ist sie uns wert?
Major Bohnert, zurück nochmal zum Einsatz oder den Einsatzerfahrungen, die Sie ja auch weitergeben auch in Büchern, in Vorträgen, in Seminaren und, und, und. – Ich spitze es mal zu: Kämpft es sich denn besser oder leichter, wenn man sich der gesellschaftlichen Unterstützung aus der Heimat sicherer wäre? Ist das ein Trost, wenn man verletzt wird?
"Der Soldatenberuf ist ein sehr emotionaler Beruf"
Marcel Bohnert: Nach meiner Erfahrung: Ja. Das mag man schwer verstehen. Und es ist auch nicht so richtig greifbar.
Deutschlandfunk Kultur: Können Sie es uns erklären?
Marcel Bohnert: Schwierig. Ich kann es versuchen. Der Soldatenberuf ist meiner Ansicht nach ein sehr emotionaler Beruf. Er wird ja auch oft verglichen mit der Feuerwehr, mit der Polizei. Und dann wird gefragt, warum man sich eigentlich als Soldaten so einen Sonderstatus dann irgendwie herausnehmen möchte. Dann sage ich immer nur: Naja, die unmittelbare Verbindung zu unserer Bevölkerung und der Sicherheit in Deutschland, die ist bei der Polizei und bei der Feuerwehr vielleicht irgendwie noch klarer. Aber bei Soldaten, die in wirklich weit entfernten Ländern, im Prinzip abgekoppelt von der Gesellschaft, ihre Aufträge erfüllen, da ist diese Distanz einfach da. Und die Motivation rührt unter anderem auch daraus, dass ich weiß, ich werde von zu Hause unterstützt. Man denkt an mich. Man rüstet mich entsprechend aus. Das, was ich hier leiste, wird in der Öffentlichkeit klar dargestellt. Und ich schöpfe daraus Kraft.
Deutschlandfunk Kultur: Ich habe noch nie gehört, dass der Soldatenberuf ein emotionaler Beruf ist. Das aus Ihrem Munde zu hören, das ist wirklich interessant. Wir haben eigentlich eher das Bild der starken Männer und Frauen inzwischen, der Kämpfer, der harten Kerle. Da bleiben selbst mir jetzt ein bisschen die Worte weg.
Marcel Bohnert: Genau. Da möchte ich jetzt auch nicht falsch verstanden werden. Das heißt nicht, dass wir hier alle ganz emotional sind und uns im Kreis fassen und irgendwie alle lieb zueinander wären. So meine ich das nicht.
Wenn ich nach der Motivation von Soldaten schaue, dann ist es doch oft so, dass sie damit irgendwie einen Sinn verbinden und einen höheren Wert und nicht das, was wir Anfangs der Diskussion hier schon mal hatten, dass der Soldatenberuf ein Beruf wie jeder andere ist. Wir pendeln in der Bundeswehr zwischen zwei Polen, was dieses – ich nenne es mal – Berufsverständnis oder soldatisches Verständnis angeht. Die wurden mal von einem Wissenschaftler beschrieben als Athen und Sparta. Wir haben also auf der einen Seite Soldaten oder ein Soldatenbild, das für ein weltoffenes Gemeinschaftswesen steht, wo wir für Grundwerte eintreten, Demokratie, Menschenwürde, Gleichheit und Solidarität usw. Das ist sozusagen die eine Seite, die auch mit unserer offiziellen Führungskultur sehr gut kompatibel ist.
Auf der anderen Seite haben wir das spartanische Bild, wo wir sagen: Sparta steht symbolisch für eine umweltverschossene Kriegergesellschaft, hohe Kampfmoral, militärhandwerkliche Professionalität, zeitlose soldatische Tugenden, primär auf den Kampf orientiert usw. Und das sind die Pole, zwischen denen das soldatische Selbstverständnis wankt oder pendelt.
Je mehr Sie sich diesem Bereich Sparta annähern, desto mehr wird das emotionalisiert. Desto eher dienen Soldaten dort Dingen, die jetzt nicht so klar greifbar sind. Kampfmoral, das ist etwas, was man jetzt schwer definieren kann, was immer wieder versucht wird, wenn man sagt, okay, es gibt irgendwas, was diese Soldaten motiviert, der Zusammenhalt, der Korpsgeist, die Kameradschaft. Das lässt sich halt nicht so mit einem Papier irgendwie abbacken. Und das ist sehr emotionalisiert.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben eingangs unseres Gesprächs beklagt, dass Medien sich immer nur das Negative rauspicken würden. Die Medien sind ja in gewissem Sinne auch Transporteure von Botschaften. Also, das Bild über die Bundeswehr, über die Soldaten, den Soldatenalltag, den Einsatz, das wird ja vermittelt meist über Medien in die breitere Bevölkerung – es sei denn, man hat Angehörige bei der Bundeswehr und interessiert sich sowieso dafür. Aber Sie wollen ja die Breite der Bevölkerung haben.
Deutschlandfunk Kultur: Ich habe mir Ihre YouTube-Serie angeguckt "Die Rekruten". Die ist schon ausgelaufen, aber da wird Rekrutenalltag beschrieben für junge Leute. Nachwuchsarbeit ist ja auch Ihr Ding. Und als ich die gesehen habe, habe ich mir gedacht, das kenne ich aber auch noch anders. Also, da wird ziemlich einfach und ohne Probleme gezeigt, wie Rekrutenalltag sein soll. Das war dann auch später der Vorwurf von Bundeswehrsoldaten, die das gesehen haben und kritisiert haben.
Also, es geht um die Vermittlung des Bildes der Bundeswehr. Ich kann mich auch entsinnen an den Slogan: "Wir.Dienen.Deutschland." Das war ziemlich eindeutig als Werbung, ziemlich eindeutig, ziemlich klar. Und da gab's nichts zu deuteln. – Was tun Sie denn für die Nachwuchsarbeit?
Marcel Bohnert:Da muss ich jetzt mal sehr weit ausholen. Sie müssen mich da vielleicht ein bisschen lenken.
Deutschlandfunk Kultur: Weit, aber kurz.
Marcel Bohnert: Okay, ich versuch es. Also, zu diesem ersten Satz: Ich möchte jetzt nicht auf das generelle Medien-Bashing hier eingehen oder möchte da mit einsteigen. Es ist nur was, was ich irgendwie gefühlt seit einem halben Jahr, einem Dreivierteljahr massiv erlebe, was ich auch von Kameraden höre, die sagen: Eh, das ist die kleinste Sache, die irgendwie in der Bundeswehr passiert. Und sofort versucht man das irgendwie aufzubauschen – zu einem Riesenskandal, zum Rechtsradikalismusvorwurf, zu sexuellem Missbrauch, pauschalisiert. Man wirf der Bundeswehr ein Haltungsproblem vor, einen falschen Korpsgeist.
Deutschlandfunk Kultur: Das war die Verteidigungsministerin. Das waren nicht die Medien.
Marcel Bohnert: Das ist etwas unglücklich ausgedrückt worden in dem Falle, aber die Medien haben das natürlich gerne aufgenommen.
Ich möchte da aber auch nochmal kurz ein anderes Bild zeigen. In meinem Afghanistaneinsatz, 2011 vor allem, habe ich ein sehr, sehr gutes Bild von Journalisten erhalten, denn wir wurden öfters begleitet von allen möglichen Reportern. Die haben schon sehr ehrlich die Dinge, die wir ihnen gesagt haben, auch in die Öffentlichkeit getragen.
Ich hatte vorhin gesagt, dass ab 2006 der Afghanistaneinsatz in einen Kampfeinsatz überging. Und weil dieses Bild in der Öffentlichkeit durch die Politik eben nicht klar kommuniziert wurde, waren es vor allem die Medien und die Journalisten, die uns diesen Dienst erwiesen haben. Das waren Soldaten selbst auf der einen Seite, die einfach in die Öffentlichkeit gegangen sind und gesagt haben, passt auf, wir müssen euch das jetzt hier mitteilen, da die Regierung dieser Verantwortung offensichtlich nicht nachkommt. Und es waren die Journalisten. Also, da bin ich schon auch der "Generation Einsatz", so bezeichnen wir diesen Personalkörper, der diese Erfahrung gemacht hat, sehr dankbar.
Jetzt zum zweiten Teil Ihrer Frage: Also, die Serie "Die Rekruten" ist natürlich so was wie ein Experiment gewesen. Wir sind in die neuen Medien gegangen und haben erstmalig, auch gegen viele Widerstände auch intern, versucht, einen Einblick in den Soldatenalltag zu geben, der eben nicht so gefiltert von Auflagen und bürokratischen Mechanismen irgendwie gesiebt ist, sondern wollten schon einen relativ authentischen Einblick in den Soldatenalltag geben. Das war der erste Aufschlag, was das anging. Diese Serie war sehr, sehr erfolgreich.
Ich weiß, dass sie in der Bundeswehr natürlich auch auf ein paar Widerstände gestoßen ist. Na klar, wenn man sich das anschaut, muss man sagen: Okay, da haben wir klar auf Unterhaltung gesetzt. Es ging hier darum, einen Einblick zu geben, aber es auch so unterhaltsam zu gestalten, dass uns die Zuschauer da nicht abspringen, und Charaktere ein bisschen verschärft ausgearbeitet wurden usw. Das kann man dieser Serie natürlich vorwerfen.
Die Folgeserie bei YouTube "Mali" ist da schon in eine ganz andere Richtung gegangen. Denn hier hat man gesagt: Okay, wir wollen den Alltag, so wie er in Mali ist, in die Öffentlichkeit transportieren, wollen mal ein bisschen mit dieser Indifferenz der Bevölkerung oder dem Unwissen der Bevölkerung, ja darauf zugehen oder darauf eingehen und wollen zeigen, wie stellt sich eigentlich der Alltag dort dar. Das ist teilweise etwas dröge und etwas langweilig. Und da gehen auch mal Sachen schief. Aber das ist meiner Ansicht nach schon die Richtung, in die wir sehr, sehr gut marschieren können.
Deutschlandfunk Kultur: Eine solche Bundeswehr braucht Deutschland, wie Sie sie in "Mali" darstellen? Ich will noch einmal zu unserem Thema zurück. Es geht nicht darum, diese Serie zu kritisieren, sondern nochmal zurück: Welche Bundeswehr braucht Deutschland?
Marcel Bohnert: Meiner Ansicht nach braucht Deutschland eine Bundeswehr, die erstmal mit einem klaren strategischen Ziel versehen wird. Wir sagen bei der Bundeswehr, das hat auch der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, auf den wir anfangs schon mal eingegangen sind, mal gesagt, wir sprechen immer von der Verfügbarkeitsfalle. Das Militär steckt in einer Verfügbarkeitsfalle dadurch, dass sie so einen großen Umfang hat, einen großen Personalkörper hat.
Das heißt: Was auch immer passiert – Hochwasser, Ebola-Krise, Flüchtlingshilfe usw., da sagen wir, okay, dann greifen wir mal auf die Bundeswehr zu. Die Soldaten machen das. Die machen das auch gut. Es sind auch alle zufrieden. Aber meiner Ansicht nach müssen wir, um die Bundeswehr nicht zu überfordern, denn wir haben einen enormen organisatorischen Stress im System, mal klarer sagen: Was soll denn die Bundeswehr können?
"Wir sind ein Exekutiv-Organ des Parlaments"
Meiner Ansicht nach gibt’s hier einen Kernauftrag. Der Kernauftrag und auch das Alleinstellungsmerkmal der Bundeswehr ist die Befähigung zum Kampf. Das heißt, primär geht’s bei Soldaten darum, dass sie irgendeinen Gegner, wo auch immer die Regierung das möchte, bekämpfen. Dazu kann man noch sagen: Okay, da kommen noch ein paar Aufträge, die können auch andere nicht so gut – Schutz der Zivilbevölkerung, Schutz kritischer Infrastruktur, die Ertüchtigung, also das Training lokaler Sicherheitskräfte oder die Absicherung von Hilfsmaßnahmen. Aber für alles andere sind eigentlich andere zuständig.
Es gibt nicht nur die Bundeswehr, sondern es gibt auch das Auswärtige Amt. Es gibt das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit. Es gibt zivile Organisationen und andere Regierungsorganisationen. Und wir können nicht sagen, wir nehmen die Bundeswehr immer gerade da, wo es uns lieb ist, sondern wir müssen hier mal die Aufträge priorisieren.
Deutschlandfunk Kultur: Wie sollte denn die Bevölkerung die Bundeswehr sehen?
Marcel Bohnert: Ja, meiner Ansicht nach erstmal so, wie sie ist, und auch akzeptieren, dass wir ein Exekutiv-Organ des Parlaments sind, dass uns also die Regierungen in Einsätze schicken, wir uns das nicht selber aussuchen. Und wenn die Marschrichtung der Nato und auch der Bundesregierung ist, dass wir jetzt in Zukunft nicht nur das Krisenmanagement machen, das heißt, nicht nur in multinationalen Missionen in Verbänden beispielsweise in Afrika - ja - Konflikte und Krisen beilegen, sondern dass wir auch wieder in die Richtung kollektive Bündnisverteidigung gehen, das heißt, auch wieder an der östlichen Peripherie Europas gegebenenfalls, weil wir da jetzt wieder einen russischen Feind haben, Manöver durchführen.
Deutschlandfunk Kultur: Haben wir den?
Marcel Bohnert: Also, es ist sehr klar festgelegt, dass 2014, als Russland die Krim annektiert hat, sie wieder als internationaler Player sicherheitspolitisch auf die Agenda gekommen sind. Und der Nato-Generalsekretär hat gesagt: Das ist das erste Mal in der Geschichte der Nato, dass wir eben beiden Herausforderungen gegenüberstehen, nicht wie im Kalten Krieg der Landes- und Bundesverteidigung oder nach dem Kalten Krieg dem Krisenmanagement international, sondern beidem. Das hat auch das Weißbuch, also, ein bisschen wie die nationale Sicherheitsstrategie in Deutschland, sehr klar definiert. Wir haben jetzt eine Gleichrangigkeit. Es geht nicht nur um das Krisenmanagement international, sondern auch wieder um die Landes- und Bündnisverteidigung.
"Man denkt sich, ihr seid eh irgendwie eine Gammeltruppe"
Deutschlandfunk Kultur: Für das sind Sie nicht hinreichen ausgerüstet. Das belegen all diese Berichte, über die wir eingangs gesprochen haben und die ja auch immer wieder neu auf den Tisch kommen – mal von der einen, mal von der anderen Seite.
Es fehlt an Ausrüstung. Es fehlt an Geld. Es fehlt an Personal. Es fehlt am klaren politischen Auftrag. So habe ich Sie eben verstanden. Und es fehlt an Akzeptanz in der Bevölkerung. – Wie wollen Sie sich selbst aus dieser Lage eigentlich befreien?
Marcel Bohnert: Das tue ich ja zum Beispiel dadurch, dass ich Bücher schreibe, dass ich Vorträge halte, dass ich mit der Gesellschaft, also, wenn man das mal so definieren will, in Diskurs gehe, dass ich aus dem System Bundeswehr heraus versuche, diese Probleme anzugehen mit meinen Frauen und Männern und dass wir durch diese Phase, die wir in Teilen natürlich nicht selbst zu verantworten haben, gut durchkommen. Denn die Änderungen sind fundamental und gravierend.
Man kann da jetzt auch nicht für alles einen einzigen Schuldigen ausfindig machen, sondern im sicherheitspolitischen Umfeld weltweit haben sich Dinge wirklich fundamental und grundlegend gewandelt. Die führen eben dazu, dass die Bundeswehr sich auch komplett neu aufstellen muss, wieder größer wird statt kleiner, wieder ein größeres Budget erhält, wieder mehr Personal braucht. Dass das sozusagen eine große Herausforderung ist, das ist, denke ich, jedem klar. Aber da würde man sich eben wünschen und da will auch ich mir wünschen, dass wir da sehr viel Unterstützung erhalten von allen Seiten und mit diesen Problemen nicht allein gelassen werden oder so ein bisschen das Gefühl haben, wir sind das Stiefkind der Nation und man prügelt halt auf uns ein und denkt sich, ihr seid eh irgendwie eine Gammeltruppe und die kriegen nix auf die Reihe usw. – Das ist schon das Gefühl, das bei vielen Soldaten derzeit vorherrscht. Da bin ich mir sicher.
"Ich sehe natürlich eine solche Gefahr auch"
Deutschlandfunk Kultur: Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und auch ehemalige Vorsitzende des Nato-Militärausschusses General a.D. Harald Kujat hat noch eins auf den Wehrbericht drauf gesetzt und auf die Politik eigentlich eingeschlagen.
Er sagt, schlecht ausgerüstete Soldaten trotzdem in den Einsatz zu schicken, wäre "skrupellos", bringe sie "in Lebensgefahr" und beweise "mangelhaften Respekt vor der Verfassung". – Übertreibt er?
Marcel Bohnert: Er kann natürlich dadurch übertreiben, dass er mittlerweile außer Dienst ist und von außen auf die Bundeswehr blickt und nicht mehr im System Bundeswehr selbst steckt. Dadurch kann er halt mal schon ein bisschen zuspitzen. Er arbeitet aber auch hier natürlich im Sinne der Soldaten.
Ich sehe natürlich eine solche Gefahr auch. Denn das muss eine ganz, ganz klare Lehre aus dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr sein, dass wir eben Soldaten nicht mehr schlecht ausgerüstet irgendwo hinschicken und dann mal warten, was passiert, sondern dass wir von Beginn an, wenn eine Mission beginnt, die so aufstellen, nicht nur, was die Ausrüstung angeht, sondern auch, was die geistige Orientierung angeht, was die juristischen Rahmenbedingungen angeht, dass wir in der Lage sind, diesen Auftrag bestmöglich zu erfüllen. In Afghanistan haben wir das zu Beginn eben nicht getan.
So. Jetzt, derzeit in den Medien wird immer sehr viel gesprochen über die VJTF, die Speerspitze der Nato, die Deutschland ab kommendem Jahr für ein Jahr alleine stellt. Ich bin mir relativ sicher, dass man diese Truppe sehr, sehr gut ausstatten wird. Das ist auch etwas, was unser Generalinspekteur Volker Wieker gesagt hat. Ich will diesen Begriff "Kannibalisieren" nicht nutzen, aber man zieht sozusagen aus der gesamten Bundeswehr das Gerät zusammen, das Personal zusammen und macht diesen Verband sehr, sehr stark. Ich bin auch sicher, dass der 2019 gut funktionieren wird.
Es geht aber eben ein bisschen auf Kosten aller anderen in der Bundeswehr, die dieses Gerät auch benötigen, aber eben nicht so dringend. Das ist eben eine Entwicklung, sicherheitspolitisch geschuldet, die in dieser Form vor wenigen Jahren so nicht absehbar war. Nochmal: Da kann man jetzt Einzelnen schwer einen Vorwurf draus machen.
Deutschlandfunk Kultur: Das sollte auch nicht geschehen.