Die paradoxe Verhüllung
Warum schminken sich in unserer Kultur noch immer fast nur Frauen im Alltag? Was hat Schminken mit Schein und Wahrheit zu tun? Und kann Schminke zur Selbstbestimmung beitragen?
Wer sich schminkt, der ordnet und schmückt sich zugleich. Schon im griechischen Wort kosméo sind beide Bedeutungen angelegt: Einerseits erhält und ordnet man das Natürliche, andererseits schmückt und verschönert man es.
So weit, so gut. Warum ist dann aber in unserer Kultur die Ansicht so weit verbreitet, dass Schminke das Natürliche und Wahre verdeckt? Schimmert hier noch immer Platos Gedanke durch, nach dem der Schein mangelhaft und nur das Sein vollkommen ist?
Ja, würde der deutsche Philosoph Nietzsche sagen. In "Jenseits von Gut und Böse" spricht er davon, dass die höchste Angelegenheit des "Weibes" der Schein und die Schönheit sei. Als Beispiel wählt Nietzsche eine Geschichte der griechischen Mythologie um Baubo, die ihre Scham zur Schau stellt. Nietzsche fragt, ob die "Wahrheit vielleicht ein Weib ist, das Gründe hat, ihre Gründe nicht sehn zu lassen?"
Die Scham, die Baubo so offen zur Schau stellt, entpuppt sich als eine weitere Verhüllung. Damit weist Nietzsche daraufhin, dass die Suche nach der Wahrheit hinter dem Schein vergebens ist. Hinter dem Schein verbirgt sich keine tieferliegende Wahrheit, sondern nur Schein.
Was das für die Frage nach Schein und Sein der Schminke bedeutet, kann man in Anlehnung an die Modetheoretikerin Barbara Vinken verstehen. Das weibliche Schminken ist eine Methode, das Sich-Zeigen paradox zu verhüllen. Wer sich schminkt, tritt in Erscheinung und verhüllt sich zugleich. Und diese Doppeldeutigkeit des Schminkens darf, laut Vinken, bei Frauen auch als solche ins Auge fallen. Anders ist das bei Männern, die sich für gewöhnlich im Alltag nicht schminken. Ihre modische Erscheinung soll nicht auffallen, sie wirkt laut Vinken natürlich und selbstverständlich statt künstlich und bemüht.
Unisex ist eine Einbahnstraße
Nun kann man einwenden, dass das inzwischen auch oft bei Frauen der Fall ist. Der Trend geht weg von aufwändigem Schminken und Kleidern hin zu natürlich und selbstverständlich wirkendem unisex. Allerdings ist unisex eine Einbahnstraße: Frauen orientieren sich nämlich an Männermode, nicht andersherum. Wäre modische Performanz tatsächlich unisex, würden sich ja auch Männer begeistert schminken und ganz selbstverständlich das "girlfriend Kleid" als Äquivalent zur "boyfriend Jeans" tragen. Das ist nicht der Fall. Die Gegensätze zwischen der männlichen und der weiblichen modischen Performanz werden im unisex also nur vordergründig aufgehoben. Tatsächlich werden sie verstärkt.
Vielleicht ist die unisex-Einbahnstraße also eine Sackgasse. Vielleicht sollte es in Zukunft nicht mehr darum gehen, mit Hilfe von Schminke und Kleidung möglichst natürlich und selbstverständlich zu erscheinen. Wäre nicht das Gegenteil die viel reizvollere Alternative? Dass man mit Nietzsche den Schein wieder als Schein in Szene setzt? Dass Schminke nicht mehr dazu dient, Natürlichkeit und Authentizität zu inszenieren, sondern die Inszenierung und das Künstliche der Rollen selbstbewusst und spielerisch in den Vordergrund rückt.
Damit könnte man zurückkommen zum Verständnis des antiken Begriffs "Persona": als Schauspielermaske auf der Bühne und Rolle im Alltag. Sich zu schminken wäre Teil dieser Rolle. Für Frauen – und auch für Männer. So wäre allen klar, dass es eine "wahre" Persönlichkeit nicht gibt, sondern nur wandelbare Persona.