Makkabi-Spiele in Berlin

"Ein später Triumph über Hitler"

Der Organisationschef der 14. Europäischen Makkabi Games in Berlin, Oren Osterer, blickt am 19.05.2015 in seinem Berliner Büro in die Kamera des Fotografen. Die Makkabi Games dauern vom 28. Juli bis 5. August. Gemeldet für die 19 Sportarten beim «Mini-Olympia» hat die Rekordzahl von 2300 jüdischen Sportlern aus mehr als 30 Nationen Europas. Foto: Kay Nietfeld/dpa (zu dpa "Erstmals Europa Makkabi Games in Deutschland - 2300 Sportler erwartet" vom 27.05.2015)
Oren Osterer organisiert die 14. Europäischen Makkabi Games in Berlin © picture alliance / dpa / Kai Nietfeld
Von Ronny Blaschke |
Mehr als 2000 jüdische Athleten kommen Ende Juli zu den Makkabi-Spielen nach Berlin. Viele Wettbewerbe finden auf dem Olympiagelände statt - wo die Nazis jüdische Sportler 1936 ausgeschlossen hatten.
Hans Rosenthal, eine Fernsehikone der siebziger und achtziger Jahre, starb vor bald drei Jahrzehnten. Und doch wird der Moderator der Unterhaltungssendung Dalli Dalli in diesem Sommer irgendwie anwesend sein, vor allem in den Gedanken seiner Enkelin. Debora Rosenthal, geboren 1993, wird von ihren Freunden Debby genannt. Bei den Europäischen Makkabi-Spielen ist sie eine wichtige Stütze des Hockey-Teams. Sie freut sich auf spannende Spiele, auf Begegnungen, auf Teamgeist und Spaß.
Die meisten Wettbewerbe finden auf dem Berliner Olympiagelände statt, wo die Nazis jüdische Sportler 1936 ausgeschlossen hatten. So sind die Makkabi-Spiele für Debby Rosenthal ein Anlass, um über ihre Wurzeln nachzudenken. Auch über das Leid ihres Großvaters Hans Rosenthal im Dritten Reich.
"Er musste sich verstecken und wurde in einer Laubhüttenkolonie aufgenommen und letztendlich von drei verschiedenen Damen dort versteckt – und konnte so dann überleben. Und dadurch, dass er in dieser schrecklichen Zeit trotzdem so was Gutes erlebt hat, wenn man das sagen kann, hatte er nie diesen Hass auf Deutschland. Er hat immer gesagt, er möchte in diesem Land bleiben, er glaubt an die guten Deutschen, die auch hier leben, und hat entschieden, hierzubleiben. Wahrscheinlich wurde mir von Anfang an in meiner Kindheit von meinem Vater und meiner Oma beigebracht, keinen Hass auf dieses Land zu haben, sondern auch diese Einstellung beizubehalten."
Debby Rosenthal ist eine freundliche Frau, die sich ihre Worte genau überlegt. Sie ist in Berlin aufgewachsen, hat dort lange für den Steglitzer TK Hockey gespielt. Inzwischen studiert sie in Köln Medien- und Kulturwissenschaften. Ihr neuer Klub ist der BTHV Bonn, der Bonner Tennis- und Hockey-Verein. Während des Interviews trägt Debby Rosenthal eine Kette mit ihrem Namen in hebräischer Schrift. Ein Geschenk zu ihrer Bat Mitzwa, ihrer religiösen Mündigkeit, die bei Mädchen mit zwölf Jahren eintritt. Debby Rosenthal hat eine jüdische Grundschule besucht, doch streng religiös aufgewachsen ist sie nicht. In ihrem Freundeskreis und in ihren Hockeyvereinen spielte die jüdische Kultur keine Rolle. 2009 und 2013, da war es anders: Rosenthal nahm jeweils an der Makkabiade in Israel teil, den Weltspielen des Judentums.
"Zum Teil ist es mir wirklich aufgefallen, dass es mir gefehlt hat, dass ich dieses jüdische Leben zu Hause wenig praktiziere, doch die Religion sehr gerne mag. Und auch meinen Eltern dankbar bin, dass sie mich so großgezogen haben. Und das auch selbst gerne weitergeben möchte, wenn ich irgendwann Kinder habe. Und da ist schon die Makkabiade als Event das Größte, wo dieses ganze jüdische Leben einfach zu spüren ist. In Israel ist es schön, dass man sich überhaupt gar keine Gedanken machen muss, ob man seinen Davidstern groß zeigt. Genauso war es, als ich mal in New York gewesen bin: Da hatte ich das Gefühl, dass es jeder zweite ist, der mich auf meine Kette angesprochen hat. Und dadurch erkannt hat, dass ich jüdisch bin und sich gefreut hat. Hier in Deutschland habe ich zwar nicht Angst davor. Aber trotzdem denke ich manchmal: Halt dich lieber etwas mehr zurück, weil ich andere nicht damit provozieren möchte. Und ich ihnen nicht auf die Nase binden möchte, dass ich jüdisch bin."
Die Makkabi-Spiele gleichen einem riesigen jüdischen Klassentreffen. Mit Wettbewerben, Bildungsveranstaltungen, Partys. In Berlin werden fast alle 2300 Athleten aus 37 Ländern in einem Hotel übernachten. Viele von ihnen stammen von Überlebenden des Holocaust ab, viele werden zum ersten Mal in Deutschland sein. Debby Rosenthal liebt ihren Sport, doch ums Gewinnen geht es dieses Mal nicht.
Sport spielte für den Zionismus eine wichtige Rolle
Mit Mühe haben sie ein komplettes jüdisches Hockeyteam zusammenbekommen. Das Leistungsgefälle innerhalb der Gruppe ist groß. Ihr Rückhalt ist die ehemalige Nationalspielerin Rebecca Landshut. Auch in anderen der 19 Sportarten, die in Berlin vertreten sind, war es nicht immer leicht, jüdische Mitglieder zu finden. Debby Rosenthal:
"Freunde haben mich öfter gefragt: Das ist ja alles ganz spannend, aber warum schließt Ihr euch damit aus? Wo ich selbst erstmal darüber nachdenken musste und dachte: So verkehrt und verwerflich finde ich die Nachfrage gar nicht. So: Ihr dürft doch bei der Olympiade wieder teilnehmen, es gibt ja auch keine christliche oder muslimische, warum muss es eine jüdische geben? Aber wir haben eine Geschichte, die Christen nicht haben. Und es ist noch nicht wieder alles in Ordnung. Und es ist schön, dass wir so ein Sportfest haben, wo der Zusammenhalt unserer Religion gestärkt wird."
1895 wurde in Konstantinopel der erste jüdische Turnverein gegründet. Der zweite folgte 1898 in Berlin, benannt nach Bar Kochba, einem jüdischen Aufständischen aus der Zeit des Römischen Reichs. Der Berliner Klub war die Keimzelle für die wachsende jüdische Sportbewegung. Überall in Europa gründeten Juden Vereine, weil sie in bürgerlichen Klubs selten willkommen waren. Der Historiker Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem beschäftigt sich seit Jahrzehnten auch mit den politischen Hintergründen des Sports.
"Das neue Judentum, das sich Zionismus nennt, versuchte sich auch darin zu zeigen, dass der jüdische Körper sich regeneriert. Und deswegen spielte Sport für den Zionismus, für das nationale Judentum eine wichtige Rolle. Weil eine Parole des Zionismus die des Muskeljudentums war."
1903 schlossen sich jüdische Vereine in einem Dachverband zusammen: Makkabi Deutschland. Der stand Pate für den Makkabi-Weltverband, gegründet 1921 auf dem Zionisten-Kongress in Karlsbad. 1929 zählte Makkabi in 22 Ländern und Regionen über 100.000 Mitglieder. Und schon 1932 fanden im britischen Mandatsgebiet Palästina die ersten Weltspiele statt, mit rund 400 Athleten und 20.000 Zuschauern. Es war die Geburtsstunde der Makkabiade. Der Namensgeber lebte vor 2000 Jahren.
"Wo waren die Juden heldenhaft, wo waren die Juden muskulös, wo waren die Juden stark? Eben zur Zeit der Makkabäer. Judas Makkabäus war die zentrale Figur, ein Feldherr, der die Griechen, die Hellenisten besiegt hat. Und der blieb in der kollektiven Erinnerung der Juden als Widerständler, als Held, als Feldherr. Also wenn man einen Verein gründet, dann heißt es Makkabi oder Bar Kochba oder schlicht Hakoah. Was ist Hakoah? Hakoah ist Kraft."
In Deutschland wuchs Makkabi in den zwanziger Jahren. Bis 1933 hatten die jüdischen Vereine etwa 13.000 Mitglieder. Doch viele Juden hatten im Ersten Weltkrieg deutsche Uniformen getragen. Sie waren integrierte Bürger und blickten skeptisch auf die zionistischen Leibesübungen.
Nach der Machtübernahme der Nazis schlossen viele Klubs ihre jüdischen Mitglieder aus. Bald darauf gab es nicht mehr 30, sondern 350 jüdische Vereine, mit mehr als 50.000 Mitgliedern. Nach der Pogromnacht 1938 wurden aber auch sie verboten. Es sollte fast dreißig Jahre dauern, bis Makkabi in Deutschland wieder auflebte.
Bundeskanzler Konrad Adenauer bemühte sich in den frühen fünfziger Jahren um eine Annäherung mit Vertretern der jüdischen Gemeinden. Nach dem Krieg gründeten wenige jüdische Überlebende in Deutschland neue Sportvereine, diese aber hatten auch nicht lange Bestand. Die meisten wanderten nach Israel aus.
Erst die sechziger Jahre veränderten das gesellschaftliche Klima: Der Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 und die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt ab 1963 führten zu einer Debatte über deutsche Verbrechen. 1965 nahmen Israel und Deutschland diplomatische Beziehungen auf. Zunehmend ließen sich Juden wieder in Deutschland nieder. Einer von ihnen: Gideon Osterer, aufgewachsen in Rumänien. Für ein Wirtschaftsstudium zog Osterer 1965 aus Israel nach Köln.
"Der Sport, den wir bei Makkabi betrieben haben, war relativ wenig. Wir haben uns vielleicht ein oder zwei Mal in der Woche getroffen, Sport getrieben. Noch nicht mal in einer Liga gespielt, so weit waren wir nicht. Denn es war immer unsicher: Haben wir überhaupt genug Spieler? Man muss aber beachten, dass es gerade diese Zeit war, dass jeder sein Leben erstmal aufbauen musste, bevor er Sport treibt. Es war kein Hauptthema."
Die Sportler werden immer wieder mit Antisemitismus konfrontiert
Mitte und Ende der sechziger Jahre erwuchs Makkabi in Deutschland zu neuem Leben, vor allem in Frankfurt, München, Berlin und Köln. 1969 durfte ein deutsches Team erstmals wieder an der Makkabiade teilnehmen, die alle vier Jahre in Israel stattfindet. Die deutsche Delegation lief bei den Eröffnungsfeiern nicht in den Farben Schwarz-Rot-Gold auf, sondern in Blau und Weiß. Die deutsche Hymne wurde nicht gespielt. Gideon Osterer hat mehrfach an den Makkabiaden teilgenommen, als Basketballspieler, als Trainer, Betreuer und Funktionär.
"Es war immer ein bisschen schwierig. Persönlich hat man sich wunderbar verstanden. Aber in dem Moment, wo es hieß, Ihr seid die deutsche Mannschaft, dann war es was ganz anderes. Und das war nicht nur von europäischen Ländern so, auch von den großen Delegationen aus den USA, Kanada, Australien – die haben uns nicht sehr gern als Mannschaft gesehen. Persönlich haben wir uns mit denen wunderbar verstanden. Aber als Ganzes war das nicht so. Das hat sich mit der Zeit sehr, sehr gebessert."
Rasant gewachsen ist die Makkabi-Bewegung in den neunziger Jahren. Aus der ehemaligen Sowjetunion wanderten tausende Juden nach Deutschland ein. Sie erweiterten die Kultur, auch durch russisch-jiddische Musik. Und Makkabi half ihnen bei der Integration. Inzwischen sind in 37 Ortsvereinen 4000 Mitglieder aktiv. Sie pflegen die jüdische Kultur, aber die Religion steht nicht im Vordergrund. Makkabi in Deutschland ist offen: für Christen, Muslime, Atheisten. Sie alle werden immer wieder mit Antisemitismus konfrontiert. Mit körperlichen Angriffen auf dem Spielfeld, mit Schmierereien an ihren Vereinsheimen, mit Drohungen im Internet. Und mit Vorurteilen. Was erwartet der 72-jährige Gideon Osterer von den Makkabi-Spielen?
"Ich war nicht dafür, dass es in Deutschland stattfindet. Aus dem einfachen Grunde, weil die anderen, die auf Deutschland schauen, ich spreche jetzt vom Judentum, viele noch nicht verstehen können, dass Juden in Deutschland überhaupt leben, geschweige denn so eine Veranstaltung hier durchzuführen. Es gibt viele Funktionäre aus den Makkabi-Verbänden in anderen Ländern, die sagen: Wir werden deutschen Boden nicht betreten. Was mich überzeugt hat im Endeffekt, doch daran zu glauben, die Spiele hier durchzuführen, ist die jüngere Generation, die gesagt hat: Wir glauben, dass Deutschland schon so weit ist. Und die fühlen sich sehr stark deutsch."
Die junge Generation trifft sich Anfang Juni in Berlin zu einer Pressekonferenz. Der Historische Saal der Jüdischen Gemeinde an der Oranienburger Straße ist gut gefüllt. Der Fußballkommentator Marcel Reif moderiert die Veranstaltung, er ist offizieller Botschafter der Spiele. Auch die ehemalige Schwimmerin Sarah Poewe ist gekommen. Bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen war sie die erste jüdische Sportlerin, die nach 1936 eine Medaille für Deutschland gewann. Nun übernimmt sie die Patenschaft für die Schwimm-Wettbewerbe. Pascal Roller unterstützt die Basketballer, Jérôme Boateng die Fußballer, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist Patin für das Dressurreiten. In der ersten Reihe hat Oren Osterer Platz genommen. Der Sohn von Gideon Osterer ist 34 Jahre alt und leitet das Organisationsteam der Makkabi-Spiele. Der promovierte Historiker erinnert an die letzten Europäischen Makkabi-Spiele 2011 in Wien.
"Die Reaktionen auf die Eröffnungsfeier, und gerade auf den Inhalt, waren geteilt an einer Generationenlinie. Die ältere Generation fand das sehr gut und sehr richtig: das erste Mal European Maccabi Games auf dem Boden des ehemaligen Deutschen Reiches, des Dritten Reiches. Und die jüngere Generation fand das gar nicht so gut. Weil man sicher nicht nach Wien gekommen ist, und auch viele werden nicht nach Berlin kommen, um – ich sage es jetzt mal extra provokativ –, Holocaust-Gedenkspiele abzuhalten. Es geht darum, als junge Generation, die in Deutschland geboren ist, die in Deutschland zu Hause ist, die eigene Existenz und die eigene Identität als Juden in Deutschland oder als deutsche Juden wieder darstellen zu können und rechtfertigen zu können."
In Wien gingen die deutschen Sportler selbstbewusst und offensiv mit ihren Wurzeln um. Zum ersten Mal liefen sie in Schwarz-Rot-Gold ins Stadion ein. Und nun in Berlin? 70 Jahre nach dem Holocaust wird eine Ausstellung auf dem Washingtonplatz am Berliner Hauptbahnhof an einstige Sportgrößen mit jüdischen Wurzeln erinnern. Das Centrum Judaicum lädt zu einem Forum über die polnischen Sport-Ikonen vor 1933. Doch im Organisationsbüro der Makkabi-Spiele am Gleisdreieck schauen die jungen Mitarbeiter vor allem nach vorn.
Deutsche Unternehmen wollen die Makkabi-Spiele nicht sponsern
Am 28. Juli soll Bundespräsident Joachim Gauck in der Waldbühne die Spiele als Schirmherr eröffnen. Im Zentrum des bunten Bühnenprogramms stehen der amerikanisch-jüdische Musiker Matisyahu und sein deutsch-muslimischer Kollege Adel Tawil. Ein solches Fest hat es in der Geschichte der Europäischen Makkabi-Spiele noch nicht gegeben. Oren Osterer hofft auf mindestens 15.000 Gäste, doch er ist vorsichtig geworden. Der Grund: die Sponsorensuche.
"Wir haben nahezu mit allen großen deutschen bekannten Unternehmen gesprochen. Wir wurden durch die Bank wirklich abgewatscht. Das heißt: Die 2000 Sportler, die aus dreißig Ländern kommen, bezahlen zum größten Teil ihre eigene Veranstaltung."
Die Organisatoren werden von Praktikanten und Bundesfreiwilligen gestützt, den Etat der Spiele mussten sie von sieben auf fünf Millionen Euro kürzen. Gespart wird vor allem am Bildungsprogramm der jugendlichen Teilnehmer.
Nur in einem Bereich kann Oren Osterer nicht kürzen: bei der Sicherheit.
"Anfang 2014 sind wir voll durchgestartet mit der Organisation. Und dann kam ein Sommer, den wir so nie erwartet hätten. Mit erschreckend offenem Antisemitismus auf deutschen Straßen. Wo es heißt: ,Hamas, Hamas, Juden ins Gas’. Oder: ,Jude, Jude, feiges Schwein, komm’ heraus und kämpf’ allein.‘ Nicht sehr weit von unserem Büro übrigens, auf dem Potsdamer Platz. Was uns zunächst einmal wirklich paralysiert hat und langfristig wieder einen Schritt zurückgeworfen hat. Wo wir auch wieder vorsichtiger geworden sind. Wo ein gewisses Grundvertrauen nicht zerstört, aber doch erschüttert worden ist."
Das Hauptquartier der Makkabi-Bewegung liegt in Ramat Gan, einem Bürokomplex in der Nähe von Tel Aviv. Im angrenzenden Sportmuseum sind Pokale ausgestellt, Urkunden, vergilbte Fotos. Auf einem Plakat reichen sich Motorradfahrer die Hände. Sie waren Anfang der dreißiger Jahre durch Europa gefahren und luden jüdische Sportler zur ersten Makkabiade ein. Die Organisatoren wollten ihren Anspruch auf Palästina zum Ausdruck bringen. Bei den zweiten Weltspielen 1935 waren auch 134 deutsche Athleten aktiv, gegen den Willen der Nazis. Viele kehrten nicht zurück – und überlebten den Holocaust.
Für den Makkabi-Weltverband sind die Spiele noch immer ein zionistisches Projekt, auch wenn sich die Bedeutung enorm verändert hat. Heute sind weltweit in 450 jüdischen Gemeinden mehr als 400.000 Mitglieder sportlich aktiv. Zu ihren sechzig Heimatländern gehören Simbabwe, Taiwan oder die Marshallinseln.
Bei den Weltspielen ist es Tradition, dass der israelische Premierminister während der Eröffnungsfeier zur Alija aufruft, zur jüdischen Einwanderung ins Gelobte Land. In Ramat Gan ist der Unternehmer Amir Peled gut mir der Geschichte vertraut, er hat viele Aufgaben für Makkabi übernommen. Bei den letzten Weltspielen 2013 leitete er die Organisation.
"Wir lassen tausende Touren in den Alltag der Sportler einfließen. Dazu gehören Besichtigungen von Sehenswürdigkeiten oder Gedenkstätten. Unsere Gäste sollen die Kultur Israels kennenlernen, die Schönheit dieses Landes. Die Erfahrung früherer Spiele hat gezeigt, dass etwa fünf Prozent der Athleten später nach Israel einwandern. Sie werden zum Beispiel Studenten. Es wäre schön, wenn es mehr wären. Aber wenn nicht, ist das auch nicht schlimm. Die Makkabiade ist keine Operation, um junge Juden nach Israel zu locken. Der Hauptgrund ist, ihre Beziehung zu Israel zu stärken. Und ihre Beziehungen zu jüdischen Menschen auf der ganzen Welt."
"Ich fühle, dass es ein später Triumph über Hitler ist"
Die Neue Synagoge im Zentrum von Gelsenkirchen ist ein beeindruckender Bau mit klaren Formen. Die Fensterfront ist breit, der Innenhof hell. Im Betraum organisiert Judith Neuwald-Tasbach Führungen, sie ist die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. An diesem Nachmittag haben zwanzig Mitarbeiter des FC Schalke 04 Platz genommen. In der Nacht, als die deutsche Mannschaft 2014 Weltmeister wurde, warfen Vermummte die Scheiben der Synagoge mit einem Gullideckel ein. Zudem gab es Drohungen im Internet. Peter Peters, Geschäftsführer des FC Schalke, sicherte sofort Unterstützung zu. Der Klub übernahm die Kosten für die neuen Fenster. Auch in der Gedenkkultur und Prävention gegen Antisemitismus: Den Bundesligisten und die Jüdische Gemeinde verbindet eine intensive Zusammenarbeit. Regelmäßig kommen Schulklassen oder Jugendgruppen in die Synagoge. Judith Neuwald-Tasbach spricht dann auch über Fußball, sie war schon als Kind ins Stadion von Schalke gegangen.
"Es muss einfach auch mal den jungen Leuten heute klar gemacht werden: Ein Julian Draxler ist ein Idol, das ist ein toller, junger Spieler, ein ganz netter junger Mann. Und früher hatte man eben einen Arthur Herz. Das war auch ein toller Spieler, ein netter junger Mann. Und eines Tages durfte er einfach nicht mehr. Man sollte sich heute einfach nur mal vorstellen, was passiert, wenn man einfach einen Julian Draxler, vielleicht weil er dunkle Haare hat, entfernt aus dieser Mannschaft. Und er darf plötzlich nicht mehr spielen. Nicht weil er etwas getan hat, nein, weil er einfach nicht mehr in dieses Schema passt. Und ich glaube: Dieser Moment, wenn sich junge Leute das vorstellen, dann verstehen sie besser, was damals passiert ist."
Gelsenkirchen hat etwa 260.000 Einwohner. Die Jüdische Gemeinde zählt 400 Mitglieder, neunzig Prozent von ihnen stammen aus Osteuropa. Ihr Durchschnittsalter liegt bei 56 Jahren. Judith Neuwald-Tasbach hat viele Partner gewonnen, aus Politik und Kultur. Die Gemeinde organisiert Ausstellungen, Tanzveranstaltungen, Hebräisch-Kurse. In ihrem Umfeld haben sich Theater- und Musik-Gruppen organisiert. Mehr als 50.000 Menschen besuchten die Neue Synagoge seit ihrer Eröffnung 2007. Gemeinsam mit dem FC Schalke hat Judith Neuwald-Tasbach mehrere Veranstaltungen organisiert. Der Sport ist ihr wichtig, um junge Menschen zu erreichen.
"Ich glaube, dass das ganz wesentlich dazu beitragen wird, dass die Menschen besser verstehen. Und dass Vorurteile und Vorbehalte, die aus Unkenntnis entstanden sind, abgebaut werden können. Es ist auch für uns eine ganz große Umstellung hier gewesen, so viele Besucher immer zu haben und so viele Aktivitäten. Diese Gemeinde war wie alle Gemeinden in Deutschland ganz ruhig. Sie hat ganz still gelebt, kaum beachtet von der Öffentlichkeit. Wir möchten gern mit dazu beitragen, dass in dieser Stadt ein gutes Zusammenleben sein kann."
Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland gilt als die am schnellsten wachsende weltweit, auch wenn die Zuwanderung stark zurückgegangen hat. Etwa 200.000 Juden leben in Deutschland. Die Hälfte von ihnen ist in 108 jüdischen Gemeinden organisiert. Die großen Gemeinden in Berlin, Frankfurt oder München arbeiten schon lange intensiv mit den Sportvereinen und -Verbänden zusammen. Bei den kleineren Gemeinden ist das noch nicht so, es fehlen finanzielle Mittel, Räume und Netzwerke. Gelsenkirchen bildet da eine Ausnahme. Judith Neuwald-Tasbach hofft, dass die Europäischen Makkabi-Spiele daran etwas ändern werden.
"Ich werde auf jeden Fall zur Eröffnungsfeier fahren, das ist ganz klar. Ganz ehrlich: Ich bin die Tochter von Holocaust-Überlebenden. Ich fühle, dass es ein später Triumph über Hitler ist. Wenn ich mir vorstelle, wie jüdische Sportler damals behandelt worden sind. Wie furchtbar das für einen Menschen ist, ausgegrenzt zu werden. Wenn so viele jüdische Menschen zusammenkommen, ist das ein schönes Gefühl."