Malen im maßgeschneiderten Frack

Von Carmela Thiele |
In München erinnert eine pompöse Villa an den letzten Künstlerfürsten in Deutschland. Der am 23. Februar 1863 geborene Franz von Stuck beeinflusste Maler wie Munch, Klimt, Klee und Kandinsky.
Ein mächtiger Python windet sich um den nackten Leib einer dunkelhaarigen Frau. Das Bild mit dem Titel "Die Sünde" löste 1893 einen Skandal aus und verhalf dem jungen Maler zu einiger Aufmerksamkeit. Franz von Stuck, der das Werk in der Künstlervereinigung "Münchner Sezession" ausstellte, hätte es auch "Eva" nennen können, denn er spielte auf die biblische Schlange an, den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies.

"Bei meinen religiösen Bildern suche ich das Menschliche, das jedermann Verständliche herauszuheben."

Mehr als solche allgemein gehaltenen Aussprüche sind von dem bayerischen Maler nicht überliefert. Wusste Stuck, was er tat? Die Umarmung der Würgeschlange scheint der Dame in seinem Bild zu gefallen, stolz reckt sie ihre Brust und blickt dem Betrachter in die Augen.

"Sie ist ein Urgeschöpf, ein Dämon, ohne Ahnen, ohne Heimat. Es war immer und ist unter uns."

Kommentiert der Kunsthistoriker Arthur Weese das in mehreren Fassungen gemalte Motiv. Urgeschöpf, Dämon - vielleicht hatte der Kunstschriftsteller die damals vieldiskutierte Evolutionslehre von Darwin im Hinterkopf, Freuds Schriften zum Unbewussten? Nicht die Ratio beherrscht den Menschen, sondern seine tierischen Anteile, sein Triebleben. Solche Thesen erschütterten um die Jahrhundertwende die idealistischen Grundsätze des Bürgertums. Auch der Wiener Schriftsteller Hermann Bahr bewunderte Franz von Stuck, weil er mit den gesellschaftlichen Konventionen brach.

"Sein Genie produziert das Gewaltigste und das Blumenzarteste. Er malt in irren, dunklen Zeichen die Schauer und Ahnungen, das Unsägliche an Lust und Leid, alle Rätsel jenseits des Verstandes."

Im Jahr des Skandalbilds wurde Franz von Stuck 30-jährig zum Professor ernannt und wenig später an die Königlich-Bayerische Akademie der bildenden Künste berufen. Der am 23. Februar 1863 als Sohn eines Müllers in Tettenweis geborene Bayer hatte es geschafft: Ein begabter Zeichner, verdiente er sich bereits als Student mit Illustrationen mühelos den Lebensunterhalt, jetzt erhielt er Aufträge zur Dekoration des Reichstags in Berlin.

Sein Erfolg ermöglichte ihm den Bau der - heute für die Öffentlichkeit zugänglichen – pompösen Villa Stuck in der Münchner Prinzregentenstraße, die er samt der Dekorationen selbst entwarf. Dort gab er glanzvolle Diners, zu denen sich nicht nur gekrönte Häupter ansagten, sondern zum Beispiel auch der junge Thomas Mann. 1905 wurde der Künstler sogar zum Ritter geschlagen. Aber es gab auch kritische Stimmen:

"Stuck hat es sich leichter als (sie) alle gemacht. Vielleicht hat sich kein Künstler vor Stuck dem Dionysischen mit weniger geläuterten Händen genähert. Er vulgarisierte alles, was er in die Hand nahm."

Der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe favorisierte die französische Malerei, die Impressionisten und vor allem Cézanne. Den zur Selbstinszenierung neigenden Franz von Stuck beschrieb er in seiner "Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst" "als größte Leistung der Münchener Faschingsrenaissance".

Stucks Bilder, die unter dem Deckmantel der griechischen Mythologie das Triebhafte im Menschen zum Thema machten, trafen den deutschen Zeitgeist der Jahrhundertwende. Sie spiegelten Friedrich Nietzsches Plädoyer für das Dionysische, die sinnlich-körperliche Seite der Kultur als Gegenstück zum Apollinischen, zu Theorie und Vergeistigung. Dazu kamen die Theorien Freuds und Darwins. Eben deshalb ist das Phänomen "Stuck" heute kulturhistorisch interessant.

Auch muss der Einfluss des Münchners auf die internationale Kunst erwähnt werden: Edward Munch ließ sich von der "Sünde" Stucks zu seiner berühmten "Madonna" anregen. Der Wiener Jugendstilkünstler Gustav Klimt nahm sich zeitweise Stuck zum Vorbild. Josef Albers, Paul Klee und Wassily Kandinsky lernten als Studenten bei ihm Wesentliches über die Farbe.

Franz von Stuck, er blieb am Ende ein eigensinniger Bayer mit Hang zur großen Geste. 1928 starb der letzte Künstlerfürst Deutschlands, der, wie erzählt wurde, im maßgeschneiderten Frack malte. Er blieb seiner Liebe zur Inszenierung bis zuletzt treu und ließ sich zu Klängen von Wagners "Götterdämmerung" in einer römischen Toga beisetzen.