Malen in der Psychiatrie

Von Victoria Eglau |
Kunst als Brücke zu den Ausgeschlossenen: Der Argentinier Pedro Cuevas hat daraus eine Marke gemacht. Der Künstler aus Buenos Aires malt in der Psychiatrie, im Gefängnis, im Armenviertel. Im Knast organisiert er eine Vernissage, Patienten aus einer Anstalt bringt er in eine Galerie.
Pedro Cuevas neigt nicht zum Beschönigen seiner Biografie. Sein Studium an der Kunstakademie Bellas Artes brach der Künstler einst ab - weil er nichts verstanden habe, gibt er unumwunden zu. Und die argentinische Kunstmesse arte BA habe ihn noch nie eingeladen, erzählt Cuevas ebenso ehrlich. Auch aus seinem gespaltenen Verhältnis zur Welt der Galerien macht der knapp vierzigjährige Autodidakt, der 2008 nach einem Jahrzehnt in Europa in seine Heimatstadt Buenos Aires zurückkehrte, kein Hehl.

"Es hat mich gestresst, mich in Argentiniens Kunstwelt durchsetzen zu müssen - ein totaler Wettbewerb. Ich fand es anstrengend, meine Werke verkaufen zu müssen, einen Fuß in die Galerien zu bekommen. Dieser Kontrast zwischen meinem Atelier, in dem ich mich - von oben bis unten schmutzig - zum Arbeiten einschließe, und den Vernissagen, wo Leute mit Sektglas in der Hand oberflächliche Gespräche führen: schrecklich."

Trotz seiner Aversion gegen Kunstkommerz haben Pedro Cuevas‘ knallig bunte Bilder und Objekte, die von Affen, Buddhas, Geishas, Robotern und Comicfiguren bevölkert werden, inzwischen ihren Platz in Galerien und Ausstellungen gefunden. Doch dass sich in den vergangenen Monaten diverse argentinische Medien für den jungen Künstler mit den ungebändigten, dunklen Locken interessierten, hat einen anderen Grund: Cuevas macht durch seine arte social - Sozialkunst - von sich reden.

Im bekannten Hospital Borda, der psychiatrischen Klinik von Buenos Aires, verwandelte er ein vor sich hingammelndes Gebäude in ein lebendiges Kulturzentrum.

"Mich haben immer schon Maler fasziniert, die in einer Irrenanstalt waren, so wie einige der Impressionisten. Die Bilder dieser Verrückten erschienen mir viel echter und unverfälschter als die der sogenannten Normalen. Ich wollte auch ein Künstler aus dem Irrenhaus sein. Und als ich so gestresst von der Kunstwelt war, bat ich den Direktor des Hospital Borda, mich aufzunehmen. Ich dachte, ich könnte dort den Ursprung der Kunst finden. Die Art, wie ein Kind zu malen - ohne nachzudenken."

Statt ihn einzuweisen, bat ihn der Direktor, das Kulturzentrum aufzubauen. Pedro Cuevas erwarteten mehr als tausend Psychiatriepatienten, die hinter den Klinikmauern ein trauriges Dasein fristeten. Der Maler fühlte sich allein, auch ein wenig überfordert.

"Ich bin kein Therapeut. Ich hab den Leuten einfach gesagt: Fangt an zu malen, so wie ich. Ich hab versucht, die Patienten anzustecken. Willst du malen? Hier hast Du Papier und Pinsel, mal mit mir zusammen. Mehr kann ich nicht für Dich tun."

Die Patienten des Hospital Borda ließen sich anstecken - am Anfang nur wenige, dann immer mehr. Doch erst, als Pedro Cuevas die Idee kam, andere Künstler in die Psychiatrie einzuladen, kam wirklich Bewegung in das Kulturzentrum. Das Projekt der "Dadores del Arte", der "Kunstgeber", wurde zum Erfolg.

Rund zweihundert etablierte Künstler, aber auch Studenten und Laien arbeiten mit den psychisch Kranken, und schlagen so eine Brücke zwischen der Gesellschaft und der abgeschotteten Welt der Anstalt.

"Als die 'Kunstgeber' anfingen, ins Hospital Borda zu kommen, begann bei vielen Patienten eine richtig große, sichtbare Veränderung. Einige konnten sogar entlassen werden. Ich glaube, weil sie sich nicht mehr allein und als bloße Nummern fühlten, sondern wieder als Menschen."

Vor Kurzem hat Pedro Cuevas die Leitung des Kulturzentrums abgegeben. Er hat jetzt wieder mehr Zeit für seine eigene intensive Produktion, bezeichnet sich selbst als "Bilderkotzer".

Angefangen zu malen hat Cuevas mit Mitte zwanzig. Zuvor war er für Architektur eingeschrieben, und brach auch dieses Studium ab - zum Leidwesen seiner Eltern, selbst keine Akademiker. Der Künstler arbeitet in einem chaotischen Dachgeschossatelier. Eine Etage tiefer spielen seine Töchter, sechs und drei Jahre alt. Pedro Cuevas‘ Frau ist Grafikdesignerin.

Am liebsten würde er das Nomadenleben fortsetzen, das ihn für neun Jahre nach Madrid und Barcelona führte, wo er sich in Museen und Werkstätten selber ausbildete. Der Höhepunkt seines Europa-Aufenthalts? Der Argentinier zögert nicht: die fünf Monate im Berliner Kunsthaus Tacheles.

Pedro Cuevas kramt die Figur eines Roboters hervor - der Kopf: ein deutscher Heizungsregler. Eines der Objekte, die 2007 im Tacheles entstanden.

"Das Recyceln der Berliner Künstler hat mich inspiriert. Ich fing selber an, mit gebrauchten Dingen zu arbeiten."

In Berlin entdeckte Cuevas auch die Performancekunst. Bei Galeristen in Buenos Aires eckt er mit seinen Ideen allerdings oft an. Als er in einer Ausstellung den verbreiteten Konsum von Anti-Stress-Medikamenten thematisieren wollte, und sich selbst - mit einem Beruhigungsmittel zugedröhnt - auf eine Liege schnallte, hätte die Galerie fast gestreikt. Die Besitzerin hatte Angst, der Künstler könnte nicht mehr aufwachen.