Malen mit geistiger Behinderung

Kunst, nicht Therapie

Arbeiten des Künstlers Michael Langer waren Teil der Art Brut-Ausstellung "Wahn-Sinn" in der Galerie des Kunstvereins Talstraße in Halle (2015).
Art brut ("Rohe Kunst") nennt man Werke von Laien oder geistig Behinderten. Hier zu sehen: eine Arbeit des Künstlers Michael Langer bei einer Ausstellung 2015 in Halle. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Christoph D. Richter |
Art brut, die „rohe Kunst“, bezeichnet autodidaktische Kunst von Laien oder von Menschen mit geistiger Behinderung. Im Magdeburger Kunstverein Zinnober arbeiten zehn geistig behinderte Künstler. Kritik an ihren Werken gehört hier zur Inklusion.
Seit 20 Jahren existiert in Magdeburg der Kunstverein Zinnober. Auf rund 100 Quadratmetern arbeiten in einem ehemaligen Ladenlokal zehn geistig behinderte Künstler. "Irrenkunst" nannte man es früher, heute kursiert es unter dem Namen Art brut oder Outsider-Kunst.
Schnell stellt sich die Frage: Was ist das Besondere, ist sie ursprünglicher als die eigentliche, also Insider-Kunst? Was man auf den ersten Blick sagen kann: Es sind Stilarten, die keinen Anschluss an zeitgenössische Strömungen suchen. Stattdessen folgen die Künstler ihrem persönlichen Stil, unabhängig von Trends und Bewertungen.

Face-Buttons: Keines wie das andere

"Macht Spaß das Malen."
Thorsten Klotzsch: Ein kleiner Mann mit schwarzen Lackschuhen, sitzt vor einem großen Tisch und arbeitet konzentriert im typischen Chaos eines Kunst-Ateliers. Er ist Künstler im Magdeburger Kunstverein Zinnober.
"Einfach so raus poltern die Ideen", ...
... sagt Thorsten Klotzsch, Künstler im Magdeburger Kunstverein Zinnober. Kein Mann umständlicher Sätze, seine Antworten fallen kurz und knackig aus. Der 52-Jährige malt hunderte minimalistisch reduzierte Gesichter, sogenannte Face-Buttons. Keins ist wie das andere. Nur fröhlich sind sie nie, eher schaurig-grimmige Masken. Befremdliche Blicke, die dem Betrachter tief in die Seele schauen.
"Und ist ein unermüdlicher Künstler. Er macht täglich Kunst, abwechslungsreich. Also auf Leinwand, auf Holz, auf Fliesen. Er gestaltet auch mit Ton Figuren. Immer mit einem hohen Wiedererkennungswert. Er arbeitet auch mit Kreide und Fettstift, indem er die Schichten übereinander bringt. Hochaktiv", ...
... sagt Wolfgang Stäps. Der 60-Jährige ist der Kurator des Kunstvereins Zinnober. Er befindet sich in einem früheren Ladengeschäft, mitten in der Beims-Siedlung in Magdeburg, einer denkmalgeschützte Wohnsiedlung aus der Zeit des Neuen Bauens der 20er Jahre. Derzeit arbeiten in seinen Atelier-Räumen zehn Künstler mit einer geistigen Behinderung. Es geht nie um reine Beschäftigung, Kunsttherapie oder dergleichen.
"Ich hab mal schlauerweise gesagt, ich schließe hier nur auf. Den Stil, das was die Künstler machen, das bringen sie mit. Das ist ihr Talent."

Gegenständliche Arbeiten, die an Picasso erinnern

Immer steht die Kunst im Vordergrund. Und die sei nicht besser als die Arbeiten von Künstlern ohne Behinderung, vielleicht direkter, unverstellter.
"Es gibt viele geistig behinderte Menschen die malen gerne, aber das ist noch nicht Kunst. Und man erkennt erst an den Bildern, hier steckt unwahrscheinlich viel dahinter. Ich bin begeistert von dieser Kraft."
Für Kunst von Menschen mit Behinderung hat sich der Begriff Art brut durchgesetzt – rohe Kunst oder Outsider-Kunst.
"Das ist hier Marcel Lehmann, der hat ein sehr hohes Talent… wenn Sie das mal sehen…"
Gegenständliche Arbeiten, die an Picasso erinnern, die auch in angesagten Berliner oder Kölner Galerien hängen könnten.
"Er hat einfach die Gabe im Mensch zu sehen, was einfach verborgen ist. Und hat einen wunderbaren Strich. Er ist Meister des leeren Raums, das sind Bilder, die sind hochaktuell", ...
... sagt Stäps über Marcel Lehmanns Arbeiten.

Kritik an der Kunst ist Teil der Inklusion

Seit 20 Jahren gibt es nun den Magdeburger Kunstverein Zinnober. Die Künstler sind Autodidakten, haben nie eine Kunstschule besucht. Sie drucken, malen, basteln, sägen oder kleben. Betrachter, die sich auf die Arbeiten einlassen, werden schnell in jeder Rohheit, jedem Farbklecks eine Zerbrechlichkeit finden.
"Zum Beispiel hier das hier, den Wasserfall, das große Meer zu malen."
Eine Aquarell-Arbeit, auf der eine – impressionistisch wirkende - Monster-Welle zu sehen ist. Das "Tosende Meer von der Titanic" hat es Hagen Liepke genannt.
"…ja genau. Wo das Schiff untergegangen ist."
Hagen Liepke ist 26. Ein feinsinniger Künstler. Neben Bildern gestaltet er auch Tapeten.
Wolfgang Stäps ist wichtig: Die Kunst muss als Kunst bestehen:
"Das ist ein anderer Umgang im Rahmen der Inklusion, dass man die Kunst auch kritisch bewerten darf."
Der Magdeburger arbeitet wie ein klassischer Galerist. Er beobachtet, sondiert den Markt nach Künstlern. Organisiert Ausstellungen, geht mit den Künstlern auf Kunst-Messen, betreut die Sammler.
"Wenn man diese Künstler als Künstler bezeichnen will und diese Kunst als Kunst, muss sie mit der Kunstkritik umgehen können. Dem stellen sich unsere Künstler auch."
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