Maler, Erfinder und Forscher
Vor allem durch seine Malerei wurde Leonardo da Vinci bekannt. Doch Da Vinci verfügte über viele Talente: Er konstruierte Maschinen, entwarf abenteuerliche Geräte, er betätigte sich in der medizinischen Forschung - und er malte. Stefan Klein hat sich in seinem Buch "Da Vincis Vermächtnis oder Wie Leonardo die Welt neu erfand" auf die Spuren des Multitalents begeben.
Aufgefordert, ein bekanntes Kunstwerk zu nennen, antworten angeblich 85 Prozent der Befragten mit Mona Lisa. Der Bekanntheitsgrad des Gemäldes und seines Schöpfers sind beispiellos. Schon zu Lebzeiten war Leonardo da Vinci angesehen als Universalgelehrter. Er hatte sich im ausgehenden 15. Jahrhundert nicht nur als Maler, sondern auch als Ingenieur einen Namen gemacht. Wissenschaftsautor Stefan Klein stellt in seinem Buch "Da Vincis Vermächtnis" den Tausendsassa und seine Sicht auf die Welt vor.
Es beginnt wie ein Krimi: Als Leonardo 1519 fern von seiner Heimat im französischen Amboise stirbt, hinterlässt er geschätzte 10.000 Blätter an Aufzeichnungen, sein gesamtes Werk, das er seinem Schüler Francesco Melzi anvertraut. Der schafft den Schatz ein Jahr später zurück nach Italien auf den Landsitz seiner Familie in der Nähe von Mailand, um ihn zu studieren und zu ordnen. Aber nach dessen Tod 1570 fand sich niemand, der diese Lebensaufgabe weiterführte. Melzis Sohn hatte für den Spleen seines Vaters keinen Sinn übrig und gab große Teile von Leonardos Erbe an Interessenten weiter. Seither gilt fast die Hälfte von da Vincis Hinterlassenschaften als verloren. Damit löste sich diese einzigartige "Innenansicht von Leonardos Gehirn" (Klein) auf. Was heutigen Forschern und Bewunderern bleibt, ist ein Mosaik aus Konstruktionszeichnungen und Malskizzen zwischen Kommentaren aus Leonardos bekannter Spiegelschrift, aus denen der alles zusammenhaltende Geist des Meisters unwiederbringlich entwichen ist.
Diesen verlorenen Geist Leonardos aus den Fragmenten wieder zu erschließen, ist somit von Anfang an Wunsch und Aufgabe aller Autoren gewesen, die über den Ausnahmemenschen aus Vinci geschrieben haben.
Stefan Klein stellt den 1452 geborenen unehelichen Sohn des Notars Ser Piero und der Bauerntochter Caterine als einen oft unsteten und vielseitigen Querdenker dar. Leonardo will in seinen Notizen Material für über 100 Bücher gesammelt haben. Aber weil sein Denken zu sprunghaft oder die Ausarbeitung ihm aus Zeitmangel zu mühsam war, erscheint nur ein einziges davon, das Buch über die Malerei. Ein Denker ohne Denksystem wurde er genannt. Ein Augenmensch und ein guter Beobachter war er zweifellos.
Anhand verschiedener Themen, die Leonardo sein Leben lang begleitet und sein Werk geprägt haben, zeichnet Klein den Lebensweg des Erfinders nach und fragt dabei immer wieder, wie modern oder wie visionär dessen Techniken und Pläne zu ihrer Zeit wirklich waren. Das Wasser hat es Leonardo angetan. Genauer als irgendjemand vor ihm beobachtet und zeichnet er Strömungen und Wasserwirbel. Er studierte den Vogelflug und konstruierte Flugmaschinen auf dem Papier. Bis heute ist nicht klar, ob er jemals versucht hat, auch eine zu bauen. Er pries sich – wahrscheinlich um sich seinen Dienstherren anzudienen – als Konstrukteur übertriebener Kriegsmaschinen, die, wie man heute weiß, allesamt nicht funktioniert hätten, aber in seinen Skizzen gewaltig anzuschauen waren. Er baute einen mechanischen Löwen und entwarf einen mit Seilen angetriebenen Menschenautomaten. Er sezierte Leichen und fertigte die genauesten anatomischen Zeichnungen aller Organe an, die es bis dahin gab. War Leonardo ein Genie, das seiner Zeit voraus war?
Stefan Klein porträtiert Da Vinci lieber als einen bodenständigen Ingenieur, der vielleicht mehr als andere die Grenzen des damals Machbaren untersuchte. Dabei kam ihm seine große Vorstellungskraft und die Fähigkeit, Ideen und Lösungen von einem Gebiet auf ein anderes zu übertragen, zu Hilfe. Trotz vieler Talente war Leonardo Da Vinci jedoch keineswegs universell begabt. Mit Mathematik tat er sich schwer. Und bei den meisten seiner spektakulären Projekte blieb er auf halbem Weg stehen. Vielleicht scheute er die mühevolle Ausarbeitung, vielleicht fehlte ihm das Durchhaltevermögen, aus seinen genauen Beobachtungen umfassende Theorien zu formen. Vielleicht ist aber auch gar nicht die Anzahl serienreifer Anwendungen wichtig, die ein Erfinder produziert, sondern vielmehr welche neuen Konzepte und Lösungsansätze er ersinnt. Und darin war Leonardo brillant.
Da Vinci lebte vor 500 Jahren. Über ihn und seine Zeit dürfte bis heute kaum etwas ungesagt geblieben sein. Umso wertvoller ist eine so wohl geschriebene Zusammenschau über Leonardos Leben und Werk, wie Stefan Klein sie vorlegt. Passend bebildert, mit reichhaltigem Anmerkungs- und Literaturapparat versehen, gibt er nicht nur eine gute Einführung in das Denken des Meisters vor dem Hintergrund der Renaissance. Er reflektiert sein Schaffen auch aus wissenschaftshistorischer Sicht, schildert, was moderne Hirnforschung über seine Maltechnik, Aerodynamik über seine Flugapparate und heutige Konstruktionen über seine Maschinen aussagen. Herausgekommen ist ein lesenswertes Buch über einen Tüftler und Augenmenschen, der immer mehr sein wollte als ein Maler, in seiner umfassenden Regsamkeit aber letzen Endes ein Forscher ohne Ziel blieb.
Rezensiert von Gerrit Stratmann
Stefan Klein: Da Vincis Vermächtnis oder Wie Leonardo die Welt neu erfand
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008
336 Seiten, 18,90 Euro
Es beginnt wie ein Krimi: Als Leonardo 1519 fern von seiner Heimat im französischen Amboise stirbt, hinterlässt er geschätzte 10.000 Blätter an Aufzeichnungen, sein gesamtes Werk, das er seinem Schüler Francesco Melzi anvertraut. Der schafft den Schatz ein Jahr später zurück nach Italien auf den Landsitz seiner Familie in der Nähe von Mailand, um ihn zu studieren und zu ordnen. Aber nach dessen Tod 1570 fand sich niemand, der diese Lebensaufgabe weiterführte. Melzis Sohn hatte für den Spleen seines Vaters keinen Sinn übrig und gab große Teile von Leonardos Erbe an Interessenten weiter. Seither gilt fast die Hälfte von da Vincis Hinterlassenschaften als verloren. Damit löste sich diese einzigartige "Innenansicht von Leonardos Gehirn" (Klein) auf. Was heutigen Forschern und Bewunderern bleibt, ist ein Mosaik aus Konstruktionszeichnungen und Malskizzen zwischen Kommentaren aus Leonardos bekannter Spiegelschrift, aus denen der alles zusammenhaltende Geist des Meisters unwiederbringlich entwichen ist.
Diesen verlorenen Geist Leonardos aus den Fragmenten wieder zu erschließen, ist somit von Anfang an Wunsch und Aufgabe aller Autoren gewesen, die über den Ausnahmemenschen aus Vinci geschrieben haben.
Stefan Klein stellt den 1452 geborenen unehelichen Sohn des Notars Ser Piero und der Bauerntochter Caterine als einen oft unsteten und vielseitigen Querdenker dar. Leonardo will in seinen Notizen Material für über 100 Bücher gesammelt haben. Aber weil sein Denken zu sprunghaft oder die Ausarbeitung ihm aus Zeitmangel zu mühsam war, erscheint nur ein einziges davon, das Buch über die Malerei. Ein Denker ohne Denksystem wurde er genannt. Ein Augenmensch und ein guter Beobachter war er zweifellos.
Anhand verschiedener Themen, die Leonardo sein Leben lang begleitet und sein Werk geprägt haben, zeichnet Klein den Lebensweg des Erfinders nach und fragt dabei immer wieder, wie modern oder wie visionär dessen Techniken und Pläne zu ihrer Zeit wirklich waren. Das Wasser hat es Leonardo angetan. Genauer als irgendjemand vor ihm beobachtet und zeichnet er Strömungen und Wasserwirbel. Er studierte den Vogelflug und konstruierte Flugmaschinen auf dem Papier. Bis heute ist nicht klar, ob er jemals versucht hat, auch eine zu bauen. Er pries sich – wahrscheinlich um sich seinen Dienstherren anzudienen – als Konstrukteur übertriebener Kriegsmaschinen, die, wie man heute weiß, allesamt nicht funktioniert hätten, aber in seinen Skizzen gewaltig anzuschauen waren. Er baute einen mechanischen Löwen und entwarf einen mit Seilen angetriebenen Menschenautomaten. Er sezierte Leichen und fertigte die genauesten anatomischen Zeichnungen aller Organe an, die es bis dahin gab. War Leonardo ein Genie, das seiner Zeit voraus war?
Stefan Klein porträtiert Da Vinci lieber als einen bodenständigen Ingenieur, der vielleicht mehr als andere die Grenzen des damals Machbaren untersuchte. Dabei kam ihm seine große Vorstellungskraft und die Fähigkeit, Ideen und Lösungen von einem Gebiet auf ein anderes zu übertragen, zu Hilfe. Trotz vieler Talente war Leonardo Da Vinci jedoch keineswegs universell begabt. Mit Mathematik tat er sich schwer. Und bei den meisten seiner spektakulären Projekte blieb er auf halbem Weg stehen. Vielleicht scheute er die mühevolle Ausarbeitung, vielleicht fehlte ihm das Durchhaltevermögen, aus seinen genauen Beobachtungen umfassende Theorien zu formen. Vielleicht ist aber auch gar nicht die Anzahl serienreifer Anwendungen wichtig, die ein Erfinder produziert, sondern vielmehr welche neuen Konzepte und Lösungsansätze er ersinnt. Und darin war Leonardo brillant.
Da Vinci lebte vor 500 Jahren. Über ihn und seine Zeit dürfte bis heute kaum etwas ungesagt geblieben sein. Umso wertvoller ist eine so wohl geschriebene Zusammenschau über Leonardos Leben und Werk, wie Stefan Klein sie vorlegt. Passend bebildert, mit reichhaltigem Anmerkungs- und Literaturapparat versehen, gibt er nicht nur eine gute Einführung in das Denken des Meisters vor dem Hintergrund der Renaissance. Er reflektiert sein Schaffen auch aus wissenschaftshistorischer Sicht, schildert, was moderne Hirnforschung über seine Maltechnik, Aerodynamik über seine Flugapparate und heutige Konstruktionen über seine Maschinen aussagen. Herausgekommen ist ein lesenswertes Buch über einen Tüftler und Augenmenschen, der immer mehr sein wollte als ein Maler, in seiner umfassenden Regsamkeit aber letzen Endes ein Forscher ohne Ziel blieb.
Rezensiert von Gerrit Stratmann
Stefan Klein: Da Vincis Vermächtnis oder Wie Leonardo die Welt neu erfand
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008
336 Seiten, 18,90 Euro