Dieser "Kuß" war rein platonisch!
Um 1900 schieden sich die Geister an seinem Werk, heute zieren die Bilder von Gustav Klimt millionenfach Kalender und Kaffeetassen. Dabei bleibt seine Kunst bis heute schwer zu fassen. Vor 100 Jahren starb der Maler.
Ineinander verschlungen, von Goldgrund umhüllt: Das Gemälde "Der Kuß" von Gustav Klimt feiert die Liebe, nicht den Eros. Ornament überdeckt die Körper: Farbige Kieselformen ergießen sich, wo das Gewand der weiblichen Gestalt sein könnte, schwarze und graue Rechtecke, wo ein Mantel den Leib des Mannes verbirgt. Allein Hände, Füße, eine Schulter und die Köpfe schauen hervor, realistisch und mit feiner Eleganz gemalt. Das Gemälde ist ein Schlüsselwerk Klimts. Markus Fellinger, Kurator am Belvedere in Wien:
"Es ist heute ziemlich eindeutig erwiesen, dass sich Gustav Klimt gemeinsam mit Emilie Flöge hier darstellt, sie allerdings seinem Kuss auch ein wenig ausweicht. Die weibliche Figur Emilie hat die Augen geschlossen, den Mund geschlossen, den Kopf zur Seite gelehnt. Und er küsst sie eigentlich nur auf die Wangen, nicht auf den Mund. Das ist das eigentliche Drama hinter diesem Gemälde."
Der von Frauen umschwärmte Klimt verbrachte zwar die Sommer mit der Modeschöpferin Flöge auf dem Landsitz ihrer Familie, doch war die Beziehung platonisch, ein Balanceakt zwischen Nähe und Distanz. So strahlt das Bild bei aller Leidenschaft Demut und Diskretion aus. Der Maler verbirgt sein Innerstes vor fremden Blicken – und sagt doch alles.
Er malte nicht, was er objektiv sah
Klimt habe den Selbstausdruck in die Wiener Moderne gebracht, sagt Markus Fellinger:
"Die Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist natürlich geprägt vom Realismus, und auch der Impressionismus malt, was er objektiv sieht. Gustav Klimt geht in die ganz andere Richtung. Er drückt zunächst als Symbolist, aber dann auch später ganz persönlich, eine persönliche Beziehung und persönliche Befindlichkeiten aus. Das ist etwas, was dann junge Expressionisten von ihm auch gelernt haben, wie zum Beispiel Egon Schiele."
Der 1862 in Wien geborene Klimt wuchs im Zeitalter des Historismus auf. Er besuchte im Alter von 14 Jahren die Kunstgewerbeschule in Wien und arbeitete mehr als zehn Jahre als erfolgreicher Maler allegorischer Wanddekorationen.
"Das Schlüsselerlebnis in seiner Kunst war dann allerdings der frühe Tod seines Bruders und Kompagnons Ernst Klimt, der Ende 1892 ganz plötzlich und unerwartet stirbt im Alter von 29 Jahren. Im gleichen Jahr ist zuvor schon sein Vater gestorben und hat eine Witwe und mehrere unversorgte Kinder hinterlassen, und somit war es an Gustav Klimt für die Familie zu sorgen. Und das hat ihn natürlich in eine ziemliche Existenzkrise geworfen."
In Paris gefeiert, in Wien geschmäht
Er habe noch einige Aufträge seines Bruders fertigmalen müssen, sei dann aber für ein, zwei Jahre ziemlich untätig und deprimiert gewesen, sagt Fellinger. Klimt habe diese Zeit intensiv genutzt, um sich neu zu erfinden:
"Und ab diesem Zeitpunkt hat er tatsächlich eine sehr persönliche Kunst gepflegt, die eigentlich nur aus ihm selbst, aus seiner Persönlichkeit, aus seinen Gefühlen und seiner Sensibilität sich speist. Das war besonderes frappant dann beim letzten offiziellen Großauftrag, den er übernommen hat. Mit Franz Matsch sollte er die großen Deckenbilder in der Aula der Universität Wien malen, die berühmten Fakultätsbilder."
Die Vorarbeiten für die allegorischen Darstellungen der vier Fakultäten zogen sich über zehn Jahre hin. Für den Entwurf der Philosophie erhielt Klimt 1900 auf der Pariser Weltausstellung eine Goldmedaille, aber in Wien fühlten sich die Auftraggeber durch das Bild kompromittiert. Statt das rationale Denken zu feiern, stellte der Künstler die Philosophie als mythische, stofflich nicht greifbare Frauengestalt dar:
"Da hat sich Gustav Klimt bereits ganz der Moderne verschrieben und hat mit dem Ergebnis für ziemlichen Aufruhr gesorgt und für einen veritablen Skandal."
Die Professur blieb ihm verwehrt
1905 zog sich Klimt von dem Großauftrag zurück, obwohl er eine erhebliche Summe aufbringen musste, um die staatlichen Vorschüsse zurückzuzahlen. Er arbeitete weiter für die Wiener Werkstätte, malte impressionistische Landschaften und Frauenporträts. 1908 stellte er sein Gemälde "Der Kuß" aus, das von der Österreichischen Staatsgalerie erworben wurde.
Am 6. Februar 1918 starb Gustav Klimt im Alter von nur 55 Jahren an den Folgen eines Gehirnschlags. Seine Anhänger feierten ihn als zeitgemäßen Maler des Eros, des Unbewussten und der schönen Form. Seine Gegner jedoch verweigerten ihm bis zuletzt die Ehre einer Professur an der Akademie der Bildenden Künste Wien.