Ausstellung "Hanno & Neo Rauch - Vater und Sohn", Grafikstiftung Neo Rauch in Aschersleben, 21. Mai 2016 bis 30. April 2017
"Mein Vater rückte nahe an mich heran"
Er ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Künstler, viel geehrt für sein umfangreiches Werk. Doch diese Ausstellung in Aschersleben ist etwas ganz Besonderes: Neo Rauch tritt in einen Dialog mit den Werken seines früh gestorbenen Vaters.
Vier Wochen nach Neo Rauchs Geburt kamen dessen Eltern 1960 bei einem Unfall ums Leben. Hanno Rauch hatte ein Jahr zuvor ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig begonnen, wo sein Sohn später selbst studierte.
Für die Ausstellung in Aschersleben hat Rauch nun 50 Blätter aus dem Nachlass des Vaters ausgesucht. Sie zeigen die Anfänge des 18- bis 19-jährigen Studenten: Landschaftsstudien von Tagebauen rings um Leipzig, Aktstudien, Porträts, Skizzen von Bahnhöfen und Wartesälen. Als der Vater starb, sei er im Alter seines Sohnes heute gewesen, sagt Rauch. Aus der Sicht eines Mittfünfzigers, der er inzwischen sei, eigentlich noch ein Kind:
"Das schlug für mich so einen Lichtbogen, in dessen Schimmer ich die ganze Tragik wahrnahm. Die Erkenntnis war für mich so tiefgreifend, dass mein Vater sehr nahe an mich heranrückte."
"Er hätte als Maler eine Spur gezogen"
Rauch spricht voller Bewunderung von seinem Vater: "Er hätte wirklich auch als Maler eine Spur gezogen, der man sich nicht hätte entziehen können." Er selbst sehe Gemeinsamkeiten - eine "Vorliebe für die dunklen Einfärbungen, für das Tragische". Im Handwerk seien beide aber unterschiedlich. Für ihn sei die Ausstellung ein "schönes Ineinanderwirken", sagt Rauch:
"Ich habe sicherlich manchmal Mühe, mich gegen den Papa zu behaupten, weil seine Arbeiten doch sehr von einer dunklen Wucht durchglüht sind. Da zog wirklich ein vielversprechendes Talent herauf. Da fühle ich mich gut aufgehoben. Ich kann mich gut anlehnen an ihn."
Rauch glaubt fest an eine "genetische Disposition", was seine eigene Berufswahl betrifft: "Da gibt es etwas, was mir mitgegeben wurde auf einem Wege, der jenseits der direkten Einflussnahme angesiedelt ist." Auch seine Mutter sei Kunststudentin gewesen.
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Neo Rauch ist einer der erfolgreichsten deutschen Künstler. Seine Bilder werden in Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt und seine Werke für Preise von bis zu 1,5 Millionen Dollar verkauft. Um solche Summen, überhaupt ums Geschäft geht es in einer neuen Ausstellung in der von ihm gegründeten Grafikstiftung in Aschersleben aber nicht.
Ab morgen sind dort Bilder seines Vaters, Hanno Rauch, zu sehen. Bilder eines Vaters, den Neo Rauch nie kennengelernt hat, denn seine Eltern sind nur vier Wochen nach seiner Geburt bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Und nun soll diese Ausstellung einen Dialog ermöglichen zwischen Neo Rauchs Bildern und denen seines Vaters. Ich habe gestern mit Neo Rauch gesprochen, als er noch mit der Hängung dieser Bilder beschäftigt war. Und ich habe ihn gefragt, wie schwierig es wohl war, aus den etwa 200 Arbeiten aus dem Nachlass seines Vaters die 50 für diese Ausstellung auszuwählen.
Neo Rauch: Es war nicht einfach, aber es hat sich dann doch ganz gut gefügt. Ich habe das zusammen mit meinem Galeristen veranstaltet, wir haben uns einfach die Zeit genommen, haben uns über dieses Konvolut gebeugt und haben dann einfach gesiebt. Und das Sieb wurde immer feinporiger und zum Schluss sind dann die 50 Blätter übrig geblieben.
Kassel: Womit hat sich denn Ihr Vater künstlerisch beschäftigt und wie hat er das gemacht?
Rauch: Also, Sie müssen sich natürlich vorstellen, dass er ganz am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn stand. Die frühesten Blätter, die wir haben, zeigen ihn als 18-, 19-Jährigen und dann blieben ihm ja gerade noch zwei Jahre bis zu seinem Tode. Und es war einfach das akademische Repertoire, das da bedient wurde, das ihm auch abverlangt wurde seitens der Ausbildungsinstitute. Er war ja Student der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät in Dresden und dann ging er nach Leipzig und hatte dort im ersten Studienjahr einfach auch die Dinge absolviert, die zu absolvieren waren.
Das heißt also, sie sind in die Landschaft gegangen, in die Tagebaulandschaften im Umfeld von Leipzig, und es gibt Aktstudien und Porträts und Skizzen in Bahnhöfen, in Wartesälen und so weiter. Ich kenne das ja selbst auch noch von meinem Grundstudium her, da hat sich nicht viel geändert. Also das klassische akademische Programm im Grunde genommen.
Kassel: Sie selber sagen, Sie kennen das von Ihrem Studium her, es hat sich nicht viel verändert. Wenn man in die Lebensläufe sieht Ihres Vaters und Ihres eigenen, dass Sie ja an der gleichen Hochschule studiert haben …
Rauch: Ja, an derselben sogar!
"Ich glaube an eine genetische Disposition"
Kassel: An derselben, völlig richtig, diese Feinheiten! Und dasselbe Fach auch noch! Wie sehr ist denn Ihr Vater, wenn ich dieses Wort benutzen darf, schuld daran, dass Sie selber Künstler geworden sind?
Rauch: Ich glaube schon an eine genetische Disposition. Da gibt es etwas, was mir mitgegeben wurde auf einem Wege, der jenseits der direkten Einflussnahme angesiedelt ist. Ich habe sie ja immerhin nicht kennengelernt, meine Eltern. Meine Mutter war ja auch Kunststudentin, die war allerdings noch ein Jahr unter ihm. Und da hat sich eine Ballung vollzogen und das ist durchgereicht worden an mich.
Kassel: Ist interessant, dass Sie über die mögliche genetische Komponente sprechen. Ich hatte bei diesem Zusammenhang zwischen Ihrem Vater und Ihrem eigenen Weg auch noch an etwas anderes gedacht, nämlich vielleicht an den Versuch, möglicherweise auch nur unbewusst durch die eigene Arbeit mit der Kunst auch eine Art Verbindung zu schaffen zu einem Vater, der für Sie ja als Mensch nichts anderes gewesen sein kann und bis heute nichts anderes sein kann als ein Phantom.
Rauch: Ja, sicher, das spielt zweifellos auch eine Rolle, das Unbewusste waltet hier machtvoll hinein, das ist ganz klar. Also, ich habe natürlich auch später dann, als ich meinen Berufswunsch klarer formulieren konnte, auch nur Leipzig in den Blick genommen als einzig vorstellbare Ausbildungsstätte, weil ich das Gefühl hatte, dort setze ich etwas fort, was so tragisch abgebrochen wurde.
Kassel: Sie sind jetzt 56 Jahre alt, vor ein paar Wochen hatten Sie ja Geburtstag, Herr Rauch. Und Ihr Vater – Sie haben es ja schon erwähnt – hat so ein Alter nie erlebt, er ist mit 20 gestorben. Warum aber diese Ausstellung, die erste Ausstellung, die seine Werke direkt neben Ihren zeigt, jetzt zu dieser Zeit? Warum ist für Sie offenbar jetzt die Zeit reif dafür?
Rauch: Es ist einfach so, dass dieses Konvolut sich seit 56 Jahren in meinem Besitz befindet. Und als mein Sohn das Alter seines Großvaters erreichte, da wurde mir einfach klar, dass ich ja das Kind von Kindern bin. Denn aus Sicht eines über 50-Jährigen ist ein 20-Jähriger natürlich ein Kind. Und das schlug für mich so einen Lichtbogen, in dessen Schimmer ich die ganze Tragik wahrnahm. Die Erkenntnis war für mich so tiefgreifend, dass mein Vater sehr nah an mich heranrückte, meine Eltern, beide natürlich.
"Er war ein sehr starkes Talent"
Kassel: Lassen Sie uns noch einmal darauf kommen, dass zumindest laut Text des Ausstellungskatalogs Sie ja wirklich wollen, dass ein Dialog entsteht zwischen den Bildern Ihres Vaters und Ihren eigenen. Ist denn das auch angesichts der Unterschiede – Sie sind so viel älter geworden als Ihr Vater, Sie sind ein so renommierter und gefeierter Künstler inzwischen –, ist denn das überhaupt möglich, ist das dann ein Dialog doch zwischen, sagen wir mal, Gemeinsamkeiten oder ein Dialog der Gegensätze?
Rauch: Sowohl als auch. Er war ein sehr starkes Talent, das kann man auf jeden Fall sagen. Und er hätte wirklich auch als Maler eine Spur gezogen, der man sich nicht hätte entziehen können, da bin ich mir ganz sicher. Und es gibt Gemeinsamkeiten. Wahrscheinlich ist es eine Vorliebe für die dunklen Einfärbungen, für das Tragische. Aber es gibt natürlich auch Unterschiede im handwerklichen Zugriff.
Sein Werk, das ist durch sehr mannigfaltige stilistische Ansätze gekennzeichnet. Also, da gibt es Anklänge an Kokoschka, an Emil Nolde, an Christian Rohlfs. Und auf der anderen Seite hat man eben auch die Dresdner Vorprägung mit drin, Rudolf Bergander ist zu spüren als Lehrergestalt. Also, bei mir ist die Leipziger Prägung einfach, die ist sehr tiefgreifend gewesen. Da gibt es schon einen Unterschied. Seine Art zu zeichnen ist sehr malerisch und da kommt Dresden zur Geltung.
"Mühe, mich gegen den Papa zu behaupten"
Kassel: Zum Schluss noch eine Frage, die mir eigentlich schon, seit ich überhaupt davon gehört habe, dass es diese Ausstellung geben wird, nicht aus dem Kopf geht: Vielleicht zu Unrecht würde ich einem so erfolgreichen Künstler wie Ihnen eigentlich unterstellen, dass Sie normalerweise, wenn Ihre Bilder gezeigt werden öffentlich – egal ob allein oder in irgendeinem Kontext – nicht nervös sind und keine Angst davor haben, wie die Öffentlichkeit reagiert.
Bei so einer persönlichen, regelrecht familiären Ausstellung: Ist das ein bisschen anders, machen Sie sich Gedanken darüber, wie andere Menschen jetzt die Bilder Ihres Vaters auch im Zusammenhang mit Ihren sehen werden?
Rauch: Da bin ich eigentlich eher beruhigt, denn es ist ein sehr schönes Ineinanderwirken. Ich habe sicherlich manchmal Mühe, mich gegen den Papa zu behaupten, weil seine Arbeiten doch sehr von einer dunklen Wucht durchglüht sind, und da zog wirklich ein vielversprechendes Talent herauf. Und da fühle ich mich gut aufgehoben, ich kann mich gut anlehnen an ihn.
Kassel: Neo Rauch, er zeigt in der von ihm gegründeten Grafikstiftung in Aschersleben in Sachsen-Anhalt eigene Werke zusammen mit Werken seines Vaters in der Ausstellung "Hanno und Neo Rauch – Vater und Sohn". Die wird morgen eröffnet und ist dann dort in Aschersleben zu sehen bis zum 30. April.
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