Maler im Paradiesgarten

Von Gregor Ziolkowski |
Die Schau "Monet und die Abstraktion" setzt im Museum Thyssen-Bornemisza den Impressionisten Claude Monet in Beziehung zu seinen expressionistischen Nachfolgern, die sich vom ihm inspirieren ließen.
Im biografischen Teil dieser Ausstellung sieht man eine kurze stumme Filmsequenz, gedreht von Sascha Guitry im Jahr 1915. Sie zeigt Claude Monet, einen reifen und beleibten Maler mit Rauschebart und im weißen Anzug, wie er in seinem Garten in Giverny vor seiner Staffelei nach der Natur malt. Die Filmbilder sind vielsagend: Sie sprechen von der Abgeschiedenheit eines Künstlers, der sich – jenseits des Pariser Trubels – seinen eigenen Paradiesgarten schuf und nicht müde wurde, diesen Garten immer wieder zu malen. Diese Weltabgewandtheit zeigt keine Spur von Resignation oder dergleichen. Im Gegenteil: überaus munter und lustvoll hantiert Monet mit dem Pinsel, immer wieder den Blick wendend zu seiner Vorlage. Aber solche Rückzüge haben auch Folgen, wie Guillermo Solana, Direktor des Museums Thyssen-Bornemisza, darlegt:

"Als Claude Monet 1926 starb, hatte sich seine Zeit längst von ihm abgewandt. Seine Malerei war einfach nicht mehr 'in'. Die maßgebliche Kunst der Zwischenkriegszeit war wesentlich dominiert von jenem Weg, den Paul Cézanne eröffnet hat. Die einflussreichste Bewegung war die geometrische Abstraktion – die russischen Konstruktivisten oder Piet Mondrian. Für die Künstler und Kritiker der Avantgarde jener Jahre war Monet weich und amorph, konfus und sogar kitschig, ein Maler, der den jungen Künstlern schlichtweg nichts galt."

Das blieb rund zwei Jahrzehnte lang so. Monet ruhte – achtsam abgelagert – in seiner Schublade als "Vater des Impressionismus”, und nicht viele nahmen Notiz von dem, was er sonst noch getan hatte. Aber das änderte sich, als nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Generation von Künstlern auf den Plan trat. Paloma Alarcó, die Kuratorin der Ausstellung:

"Als die Debatte um die neue Abstraktion aufflammte, und zwar nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, diese Material-Abstraktion, die sich wieder den Farben zuwandte, die sich dem Malen zuwandte, die den Maler an der Staffelei wiederentdeckte und die die Formeln des Konstruktivismus hinter sich lassen wollte, da schaute man wieder auf Monet."

Die abstrakten Expressionisten adoptierten Monet gleichsam als einen Vater. Die Ausstellung spürt dieser gesuchten Verwandtschaft in zwei beeindruckenden Sektionen nach. Der Umstand, dass Monets Garten in Giverny für etliche Künstler von den fünfziger Jahren an zum regelrechten Pilgerort wurde, hatte konkrete Werke zur Folge. Ellsworth Kelly, Sam Francis, Joan Mitchell oder Jean-Paul Riopelle suchten neben vielen anderen Monets Garten auf und ließen sich von dem Ort inspirieren. Die Früchte solcher Inspiration sind dabei nicht zwangsläufig in direkter Linie an Monets Arbeiten orientiert. Kelly etwa, einer der ersten Pilger, ist nicht ohne Weiteres in Verbindung zu bringen mit Monets späten Werken. Aber der Künstler selbst hat die Bedeutung dieser Begegnung dokumentiert. Die Andersartigkeit seines Werkes erscheint als die wahre Inspiration: eine Explosion der Vielfalt, die in emanzipierter Ausprägung die eigene Form sucht.

Und da ist jene zweite Sektion, die sich der Korrespondenz in den Bildsprachen widmet, die Lichteffekte und Reflexe, Kontraste und Pinselführungen in Beziehung zueinander setzt. Das direkte Aufeinandertreffen, der direkte Bezug zu Monet ist dabei nicht Voraussetzung, wie das Beispiel Gerhard Richters zeigt.

Paloma Alarcó: "Richter hat, würde ich sagen, mit allem experimentiert. Wir zeigen hier eines seiner abstrakten Bilder aus der Serie 'London Paintings' und suchen dabei einen Anschluss an jene Bilder aus dem vorherigen Saal, die Monet während seiner Reisen nach London gemalt hat. Dazu gehört natürlich auch Monets Entdeckung von William Turner, und indem wir hier diese drei Künstler zusammenbringen, versuchen wir, Nachbarschaften zu zeigen, weil Einfluss womöglich ein zu starkes Wort dafür wäre. Gerhard Richter ist noch einmal in der Ausstellung vertreten, da stellen wir einige von Monets Winterlandschaften einer dieser fast völlig weißen Abstraktionen von Richter gegenüber. Wichtig war uns hier nicht so sehr ein ursächlicher Zusammenhang solcher Bilder, sondern dass wir als Zuschauer einen gewissen Gleichklang erkennen können."

Es liegt ein kühner Wagemut über dieser Ausstellung, die Claude Monet als Vorläufer oder gar ersten der Abstrakten präsentiert. Während die sich auflösenden Formen in einem Bild wie "Die Brücke von Charing Cross” eine solche Nähe deutlich hervortreten lassen, hat mancher Betrachter vielleicht Schwierigkeiten, einen Sonnenuntergang Monets mit den Farbstudien eines Mark Rothko in Verbindung zu bringen. Wohingegen Jackson Pollock oder Willem de Kooning manchmal daherkommen, als hätten auch sie in Monets Garten gestanden und die gleichen Seerosen, das gleiche Gewucher gesehen. Ein wenig Skepsis beim Betrachten schadet dieser Ausstellung keineswegs. Denn es überwiegt der wuchtige Sog der rasanten Kombinationen, die hier zwischen Claude Monet und den Abstrakten riskiert werden.

Service:

"Monet und die Abstraktion" im Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid ist bis zum 30. Mai 2010 zu sehen.