Geheimnisvolle Innenwelten
Rudolf Hausner war Mitbegründer des Wiener Phantastischen Realismus und erkundete die Tiefen der Existenz in seinem eigenen Spiegelbild − er schuf surreale Selbstporträts als Fortsetzung der Lehren Freuds mit den Mitteln der Malerei.
Die Staffelei, eine Leinwand und gleich daneben ein Spiegel: Rudolf Hausner, geboren am 4. Dezember 1914 in Wien, brauchte kein Modell und keine Vorlage - er war sich selbst Anlass genug für seine Gemälde. Das neugierig nach vorn gereckte Gesicht, die perspektivisch vergrößerte Nase, der fragende, skeptische Ausdruck in den Augen: Das war Adam − der erste Mensch, der Suchende, der Mensch schlechthin. Und in einem genial einfachen Doppelschritt der formalen Logik leitete der Künstler her: Wenn Adam für alle Menschen steht, und wenn Rudolf Hausner ein Mensch ist - dann ist dieser Rudolf Hausner Adam. Und dann malt er immer wieder sich selbst. Adam im Labyrinth, Adam im Matrosenanzug, Adam mit einem zur Mütze gefalteten Papierschiffchen auf dem Kopf.
"Also ich meine, bei aller Liebe zum Beispiel zu Frau, Kindern und Familie und Freundschaften, nicht? Das macht man manchmal mir zum Vorwurf: Er malt immer den Adam, nicht? Der malt immer nur sich selber. Ich frag mich: Wer hat schon, welcher Künstler hat schon je einen anderen gemalt als sich selbst? Ich möchte sagen: Die Äpfel von Cezanne sind ja auch lauter Selbstporträts."
Van Gogh und Cezanne waren die Helden seiner Zeit an der Wiener Akademie. Ebenso die deutschen Expressionisten Kirchner, Pechstein, Nolde − damals in ihrer Wildheit durchaus umstrittene Künstler. Es kamen die Nazis, es kam der sogenannte Anschluss Österreichs ans Dritte Reich; Hausner war 24 und wurde mit Ausstellungsverbot belegt. Schwere Zeiten − in denen der junge Maler immerhin seine Technik perfektionieren und sein Wissen um die Kunstgeschichte tief, sehr tief verwurzeln konnte.
Vordringen in die Innenwelten der Psyche
Seinen eigenen Ort in dieser Kunstgeschichte entdeckte und eroberte Rudolf Hausner nach dem Krieg, als wieder einmal alles in eine Richtung stürmte. Und wenn er sich später in seinem Atelier sitzend daran erinnert und dabei "wir" sagt, dann meint er vor allem Zeitgenossen wie Ernst Fuchs, Arik Brauer oder Wolfgang Hutter, mit denen er die "Wiener Schule des Phantastischen Realismus" begründete − eine Gruppe von Künstlern, die um so entschiedener in die Innenwelten der Psyche vorzudringen suchten, je dogmatischer der Zeitgeist allein die Oberfläche zum Terrain der Künste erklärte.
"Es hat jeder für sich etwas entdeckt. Und wir waren umgeben von einer feindlichen Kunst, das war die abstrakte Malerei. Die abstrakte Malerei war Marshallplan-orientiert, nach Amerika ausgerichtet und wollte nur ja nicht erinnern an die Nazikunst oder an die Kommunistenkunst hinterm Eisernen Vorhang; daher war Gegenständliches ganz verpönt. Aber wir vier Dummköpfe haben uns von dem Marshallplan goar net imponieren lassen."
Die Gegnerschaft war fundamental. Eine Kunst, die das Erinnern durch Ausweichen zu vermeiden suchte, widersprach Hausners Haltung nicht nur taktisch; der Marshallplan zur Abstraktion verletzte nicht nur sein Gefühl für europäische Kultur von Laokoon über Leonardo da Vinci bis zur klassischen Moderne: Hausners Thema war die Psychoanalyse − ganz sachlich: die Analyse psychischer Prozesse und Verwerfungen, aber auch im Sinn eines kulturhistorischen Erbes: Hausner sah sich - und wurde gefeiert − als Maler, der die Studien eines Sigmund Freud mit den Mitteln der Kunst fortführte.
"Das dürfen Sie ohne Weiteres so sehen, weil − es hat sich mittlerweile herausgestellt, auch im Gespräch mit Fachleuten, dass die Methode, die ich anwende, also wenn ich mich vor einen Spiegel stelle und in mein Gesicht schau' und daneben die Staffelei habe, so ist das ein Arrangement, wie wenn ich einen Diwan stehen hätte und mich auf den hinleg' und nun anfange zu reden, was aus mir herausreden will."
Das Publikum applaudierte. Ein Maler, der sich als Stellvertreter erbot, eigene wie kollektive Träume, Ängste, Fantasien − auch sexuelle Fantasien − auszuloten, der die geheimnisvollen Architekturen der Innenwelt in altmeisterlicher Lasurtechnik zum Leuchten brachte: Dieser Maler wurde ein Star. Seine Gemälde erzielen noch heute Höchstpreise, seine Motive zierten Schallplatten-Cover und Zeitschriften, seine Druckgrafik gehört zur kulturellen Grundausstattung einer Generation.
Rudolf Hausner starb am 25. Februar 1995. Sein Adam ist das vertraute Gesicht zur immer wieder neu gestellten Frage: Wer bin ich?
Das Museum Würth in Künzelsau ehrt Rudolf Hausner mit einer großen Retrospektive zum 100. Geburtstag. Sie ist dort zu sehen bis zum 7. Juni 2015.