Malerei

Der Kosmos des Gerhard Richter

Gerhard Richter vor einem Gemälde aus der Serie "Strips" in einer Ausstellung im Kunstmuseum Winterthur, Januar 2014
Gerhard Richter vor einem Gemälde aus der Serie "Strips" in einer Ausstellung im Kunstmuseum Winterthur, Januar 2014 © picture alliance / dpa
Hans-Ulrich Obrist im Gespräch mit Joachim Scholl |
Abstrakte Bilder, fotorealistisch verwischte Porträts, altmeisterliche Landschaftsbilder: Das Werk des teuersten lebenden deutschen Künstlers könnte vielgestaltiger nicht sein. Die Bilder von Gerhard Richter sind derzeit in einer großen Schau in der Fondation Beyeler in Basel zu sehen.
Joachim Scholl: Der Schweizer Hans Ulrich Obrist ist Jahrgang 1968, Kurator für zeitgenössische Kunst und als solchen setzt ihn das Fachmagazin "Art Review" auf der Liste der 100 weltweit einflussreichsten Menschen der Kunstbranche seit Jahren schon auf Platz eins oder zwei.
Gerhard Richter ist Jahrgang 1932, der berühmteste und teuerste lebende Künstler Deutschlands, und ab morgen ist in der Foundation Beyeler in Basel die Ausstellung "Bilder / Serien von Gerhard Richter" zu sehen, kuratiert von Hans Ulrich Obrist. Und er ist uns jetzt aus Basel zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Obrist.
Hans Ulrich Obrist: Hallo! Guten Morgen!
Scholl: Gerhard Richter ist einer der zurückhaltendsten Künstler überhaupt, scheut jede Öffentlichkeit, flieht förmlich vor journalistischen Fragen. Bei Ihnen allerdings, Herr Obrist, hat man den Eindruck, taut er auf. Mit Ihnen ist er seit Jahren im Gespräch. Wie haben Sie das eigentlich geschafft?
Obrist: Ja, es hat alles in der Schweiz begonnen, und zwar hatte Gerhard Richter 1986 eine Ausstellung in Bern, in der Kunsthalle Bern. Das war seine letzte, wenn man so will, größere Übersichtsausstellung in der Schweiz. Da sind wir uns zum ersten Mal begegnet. Ich war damals noch Gymnasiast und es kam zu einem ersten Gespräch. Das hat sich dann fortgesetzt in Köln, im Atelier des Künstlers, und aus diesen Dialogen ist dann 1992 die erste gemeinsame Ausstellung hervorgegangen. Und zwar war das eine Ausstellung im Nietzsche-Haus in Sils Maria. Das ist dieses kleine Hausmuseum, wo Nietzsche Zeit verbracht hat im Engadin und "Zarathustra" geschrieben hat. Da haben wir zum ersten Mal Gerhard Richters übermalte Fotos, die ja vor allem in den Atlas eingegangen sind vorher, als autonome Werke gezeigt. Das war _92/_93, da ist auch ein erstes Buch entstanden, und das war der Anfang der Zusammenarbeit und hat sich dann fortgesetzt mit vielen Büchern und anderen Ausstellungen.
Wie wunderbar wäre es, die Zyklen wieder zusammen sehen zu können!
Scholl: Sie haben viele poetologische Gespräche mit Gerhard Richter über die Jahre geführt. Eines ist jetzt auch abgedruckt im aktuellen Katalog der Ausstellung. War es auch dieser lange ästhetische Kontakt, der jetzt dieses Projekt ermöglicht hat, Gerhard Richter in Serie?
Obrist: Ja, auf jeden Fall. Die 27 Jahre des Dialoges, wenn man so will, sind alle eingeflossen in dieses Projekt. Das erste Mal, dass wir auch im Zusammenhang mit einer großen Ausstellung arbeiten, als Sam Keller uns eingeladen hat, diese Ausstellung zu entwickeln, das war ja kurz nach der Retrospektive, dieser Retrospektive, die zum 80. Geburtstag von Gerhard Richter stattfand in der Tate in London, der Nationalgalerie in Berlin und auch im Centre Pompidou in Paris. Und die Frage war natürlich, was eine große Ausstellung bedeuten könnte, nach so einer großen Retrospektive.
Wir haben uns dann lange überlegt und der Auslöser war eigentlich schon eine Begegnung bei der Eröffnung in London in der Tate, wo ich vor diesem einen Tizian-Bild stand und dann auf einmal dachte, wie wunderbar es wäre, wenn man die alle zusammen sehen könnte, wie wunderbar es sein könnte, wenn man die Zyklen, die Serien, wenn man diese ganzen großen Werke auf einmal wieder zusammen sehen könnte.
Im Gespräch mit Gerhard Richter, auch im Gespräch natürlich mit Sam Keller, dem Museumsdirektor in Basel, auch mit Dieter Schwarz, der in Winterthur seit sehr langem auch mit Gerhard Richter arbeitet und auch für den Katalog den Haupttext geschrieben hat, in diesen ganzen Dialogen haben wir dann gedacht, es wäre interessant, diese Bezüge auch zur Architektur – das spielte eine große Rolle bei Richter schon seit den 50er-Jahren, eigentlich in Dresden, wo er ja auch Wandmalerei studiert hat und an ersten Wandmalereien gearbeitet hat, dann in den 60er-Jahren natürlich die vielen Arbeiten auch, die in den Atlas eingegangen sind, diese fast utopischen Räume, wo er quasi Räume für Bilder entwickelt hat, Architekturen für Bilder, dann die Zusammenarbeit mit Palermo, die auch sehr viel mit Architektur und Räumen zu tun hatte, das hat sich wie ein roter Faden bis in die Gegenwart gezogen. Deshalb war es, je mehr wir daran gearbeitet haben, desto interessanter wurde es, dass man das wirklich zum Thema macht und so eine Aufstellung macht, wo ein Raum in den nächsten führt, so wie Ausstellungen in der Ausstellung.
Scholl: Aber Sie zeigen ja in Basel auch wirklich einen Querschnitt durch das Schaffen von Gerhard Richter, von den abstrakten Bildern über die berühmten nach Fotografien gemalten Wischbilder bis hin zu den altmeisterlichen Landschaften, ganz unterschiedliche Techniken und Motive. Stiftet denn hier die Konzentration jetzt auch auf den Zyklus, auf die Bildfolge den Zusammenhang?
"Man kann das ganze Werk durch diese Perspektive sehen"
Obrist: Ja, man kann eigentlich das ganze Werk sehen durch diese Perspektive, ob das jetzt Bilder sind, die durch das Thema thematisch zusammengehalten werden wie die frühe Arbeit der Eight Student Nurses aus _66, oder aus den 80er-Jahren die Oktober-Bilder. Die werden inhaltlich zusammengebracht und da ist der Inhalt der Grund für den Zyklus. Dann gibt es die Variation von einem Motiv, bei Tizian zum Beispiel _73, oder auch bei S. und Kind Mitte der 90er-Jahre, diese Bilder von Mutter und Kind, das ist eine Variation um ein Motiv. Und dann gibt es die ganzen Suiten, diese sequenziellen abstrakten Bilder. "Wald" zum Beispiel wird zum ersten Mal seit langem wieder zusammengebracht und ausgestellt, oder "Cage" aus 2006, wo das Einzelbild immer auch mit dem ganzen Raum interagiert. Insofern ja, man kann sagen, dass eigentlich fast alle Aspekte von Richters Werk durch diese Räume abgedeckt sind.
Es kam dann zu einer sehr interessanten Idee. Wir haben am Modell gearbeitet und auf einmal hatte Gerhard Richter diese fast musikalische Idee, kontrapunktisch die Räume immer wieder aufzubrechen mit Einzelbildern, und das hat eigentlich noch mal seine neuen Spielregeln in die Ausstellung eingeführt und dadurch kommen natürlich auch noch ganz andere Aspekte, die jetzt nicht durch die Räume abgedeckt sind, in der Ausstellung zum tragen.
Scholl: Gerhard Richter in Basel – Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist. – Spätestens seit Andy Warhol, Herr Obrist, und der Pop Art ist das Serielle Prinzipiell in der Kunst geworden, könnte man sagen. Sehen Sie hier eigentlich auch einen Bezug Richters auf die Pop Art? Als junger Mann hat er ja in Kompanie mit seinen Freunden Sigmar Polke und Konrad Lueg direkt darauf reflektiert.
Obrist: Ja vielleicht hat das ganz am Anfang eine Rolle gespielt. Bei den Fotomalereien des Anfangs in den 60er-Jahren hat man ja schon dieses Sequenzielle. Aber das ist, denke ich mir, nur ein Aspekt. Womit es sehr viel zu tun hat ist einfach auch mit Repetition und Differenz und dass wirklich so Räume entstanden sind. Richter sagt ja auch immer wieder, dass die Maße des Ateliers in Köln, wo viele der Bilder entstanden sind – das ist ein Raum 9 auf 14 Meter, dieser Raum wurde immer wieder vollgemalt -, das hat solche Raumsituationen geschaffen, und ich glaube, dass das auf jeden Fall etwas ist, was in der Ausstellung sehr stark zum Tragen kommt.
Ich meine, es ist ja ganz wichtig, dass man es irgendwie nicht einordnen kann. Immer wieder werden neue Erfindungen gemacht, wenn man so will. Es gibt ja ganz wenige Künstler in der Kunstgeschichte, Picasso ist da ähnlich, wo man so viele Möglichkeiten hat, auch eine Ausstellung zu machen, weil das Werk einfach so komplex ist, und diese verschiedensten parallelen Realitäten, das ist ja fast wie in der Wissenschaft, wo wir immer von der Superstring Theory sprechen. Da gibt es elf Dimensionen und bei Richter gibt es mindestens elf Dimensionen. Er erfindet immer wieder neue Dimensionen in seinem Werk.
Es ist sehr faszinierend, dass eigentlich in den neusten Räumen – einer ist auch ganz speziell jetzt zum ersten Mal hier in Basel zu sehen mit neuen Glasarbeiten -, dass da wirklich auch immer wieder ganz neue Erfindungen stattfinden. So hat er in den letzten Jahren das Digitale eingesetzt, hat ein Bild, ein abstraktes Bild von sich selbst aus den 90er-Jahren digital wiederbesucht und durch unendliche Spiegelungen und Wiederholungen diese Streifenbilder hergestellt, die immer größer wurden und wo jetzt zwei sehr großformatige dieser Bilder in der Ausstellung zu entdecken sind. Man kann sagen, das ist wirklich eine serielle Erfindung, die nie aufhört.
Scholl: Sie konfrontieren das Serielle jetzt in Basel von Richter, aber auch mit herausgehobenen Einzelwerken. Was ist da der Gedanke dahinter?
Das Einzelbild wird immer wieder aufgebrochen
Obrist: Die Idee war, kontrapunktisch das einzusetzen, fast musikalisch, und das ist etwas, was Gerhard Richter oft schon gemacht hat. In Kasper Königs Ausstellung "Westkunst", glaube ich, hat er das begonnen. Aber wie wir dann zum ersten Mal zusammengearbeitet haben an einer Ausstellung, kurz nach Sils Maria, an einer Großausstellung, war dieser zerbrochene Spiegel, und das war _93. Da habe ich mit Kasper König diese Malereiausstellung kuratiert, zuerst in Wien und dann in Berlin. Da hatte Gerhard Richter diese großen hochformatigen abstrakten Bilder gezeigt und auch da kontrapunktisch ein Foto, ein realistisches Bild, dieses Chicago-Bild eingesetzt.
Das ist etwas, was er immer wieder gemacht hat, aber hier jetzt zum ersten Mal im Rahmen einer ganzen Ausstellung, dass wirklich in jedem Raum das wieder aufgebrochen wird. Man hat quasi den Raum mit dem Zyklus und das wird ein Einzelbild erst wieder aufbrechen. Das sind natürlich diese Einzelbilder, die auch oftmals diesen Status haben. Auch wenn es heute kaum mehr möglich erscheint, ein Meisterwerk zu schaffen, sind das solche Bilder, die diese Qualität haben.
Scholl: Darauf wollte ich gerade kommen, Herr Obrist. Das Einzelwerk, das Original, das Unikat, das wird bei Erfolg dann auch zum Meisterwerk, und das Serielle unterläuft ja gewissermaßen dieses Prinzip, nach dem zumindest das Publikum auch immer verlangt. Ist das Absicht bei Richter?
Obrist: Ja ich glaube, dass die Ausstellung diese Dialektik auch herausarbeitet und dass für den Betrachter, denke ich mir, total spannend sein wird, diese verschiedensten Räume zu entdecken, aber das immer auch wieder zu hinterfragen durch diese Einzelbilder. Insofern ist es wirklich eine Ausstellung, in der viele Ausstellungen zu entdecken sind.
Scholl: Gerhard Richter, „Bilder / Serien“, so heißt die Ausstellung, die ab Sonntag in Basel zu sehen ist. Hans Ulrich Obrist hat sie kuratiert. Viel Erfolg Ihnen, Herr Obrist, alles Gute und herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Obrist: Danke, schönen Tag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.