Malerei

Die dunkle Seite des Emil Nolde

Von Eva Hepper |
Er schätzte fremde Kulturen, liebte moderne Kunst, aber hetzte gleichzeitig gegen alles Jüdische und war NSDAP-Mitglied: Gestützt auf umfangreiche Archivstudien zeichnet diese Biografie erstmals ein umfassendes Bild des Expressionisten Emil Nolde.
1963, sieben Jahre nach dem Tod Emil Noldes, geriet der bedeutende Kunsthistoriker Werner Haftmann anlässlich einer Ausstellungsbeteiligung des deutschen Expressionisten im New Yorker Jewish Museum in die Bredouille. Emigranten protestierten gegen die Präsentation des "wüsten Nazis" Nolde und griffen Haftmann als Autor eines 1958 erschienenen Bildbandes über dessen Leben und Werk aufs Heftigste an. Ihr Vorwurf: Er habe die Nazi-Vergangenheit des Malers bewusst verschwiegen.
"Tatsächlich ist das richtig und ich habe kein Argument dagegen", offenbarte Haftmann dem Sammler Bernhard Sprengel später per Brief. Noldes Sekretär habe ihn beschworen, "doch ja jeden Hinweis darauf in meinem Buch zu streichen. Schließlich tat ichs, weil so etwas ja nichts mit dem Maler zu tun hat." Mit Mühen gelang es Haftmann, einen Skandal zu verhindern. Und für die Zukunft riet er: "Zu tun ist da nichts weiter, als den Mund zu halten."
Antisemitisches wurden kurzerhand gestrichen
Das funktionierte ebenso wie die nachträgliche Bearbeitung Noldes autobiografischer Schriften (durch ihn selbst und nach seinem Tod 1956 durch die Stiftung). Enthielten die Texte in ihren ersten Auflagen 1931 und 1934 noch unzählige antisemitische Passagen und Bekenntnisse zu "urdeutschen Ideen", waren diese in den Folgeauflagen getilgt.
Tatsächlich prägten Schweigen und Umschreiben in nicht geringem Maße die Nolde-Rezeption, wie sich in einer aktuellen Biografie über den 1867 im schleswig-holsteinischen Nolde als Emil Hansen geborenen Künstler zeigt. Gestützt auf umfangreiche Archivstudien und viele Quellen – darunter auch der oben zitierte Haftmann-Brief – nimmt die auf Biografien spezialisierte Kölner Publizistin Kirsten Jüngling nun erstmals in dieser Gründlichkeit den ganzen Nolde in den Blick.
Chronologisch erzählend zeigt sie, dass es für den Maler der heute so beliebten Seestücke und Blumenbilder kein Widerspruch war, etwa mit der Lebensreformbewegung zu sympathisieren, fremde Kulturen zu schätzen (1913 reiste er in die Südsee) und moderne Kunst zu lieben, und gleichzeitig das "Deutschgeborene" zu feiern, gegen alles Jüdische zu hetzen und NSDAP-Mitglied zu sein.
1941 erhielt Nolde Berufsverbot
Dass er selbst Opfer der Nationalsozialisten wurde, verstand er nicht. Als über 1000 seiner Werke als entartet beschlagnahmt wurden und Nolde 1941 Berufsverbot erhielt, glaubte er an einen Irrtum. Ausgiebig zitiert Jüngling aus seinen Bittbriefen (etwa an Goebbels) seine "urdeutsche, starke, innige und herbe" Kunst als Ausdruck eben der Ideen zu verstehen, die auch die Nationalsozialisten vertraten. Er wurde nicht gehört. Nach 1945 war das von Vorteil.
Selten ließ sich das bisher so deutlich lesen wie in dieser Biografie. Dennoch: So detailliert Jüngling Noldes Betonung der Überlegenheit des Urdeutschen beschreibt, sie reduziert ihn nicht darauf. Sein Ringen um die Kunst, seine Liebe zur Natur, seine Partnerschaft mit der geliebten Ada, seine Erfolge und Misserfolge bilden gleichwertige Schwerpunkte. So wird hier kein Held vom Sockel gestoßen, sondern das differenzierte Bild eines widersprüchlichen Charakters gezeichnet.

Kirsten Jüngling: Emil Nolde. Die Farben sind meine Noten
Propyläen Verlag, Berlin 2013
352 Seiten, 22,99 Euro