Mali sucht den Neuanfang

Von Kersten Knipp · 19.03.2013
Die Bilanz der islamistischen Invasion in Mali ist erschreckend: ein humanitäres Desaster. Zwar konnte die französische Armee den Vormarsch der Islamisten stoppen, doch befriedet ist das Land noch nicht. Und es trägt an den Versäumnissen der vergangenen Jahre.
Die Staatskassen waren leer, seit Jahren schon. Der Haushalt ließ sich nicht in Ausgleich bringen, die Kosten liefen davon. Der malische Staat war chronisch klamm. So bat er in den 80er Jahren die Weltbank um Hilfe. Die half, forderte aber ein striktes Sparprogramm. Das legte der Staat auch auf und sparte nicht zuletzt im Schulwesen.

Schulen wurden geschlossen, weniger Lehrer ausgebildet. Ältere Pädagogen wurden dazu gedrängt, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Bald gab es nicht mehr genug Plätze für alle Schüler, zudem sank das Unterrichtsniveau. Das, erläutert die malische Politologin Traoré Geneba, die bis vor kurzem an der Universität von Bamako lehrte, hatte verheerende Folgen:

"Viele Eltern meldeten ihre Kinder in den arabischen Koranschulen an. Eine große Zahl von Schülern erhielt ihren Unterricht in diesen religiösen Madrasen. Später setzten eine Reihe Schüler ihre Ausbildung dann in islamischen Ländern wie Saudi Arabien, dem Sudan oder Ägypten fort. Sie kamen mit einem Predigtdiplom zurück, hatten nichts anderes als islamische Gesetze und Gebete gelernt. Das führte dann mit zu den religiösen Problemen in Mali."

Damit war der ideologische Boden für die Islamisten bereitet, die nun eine ganze Reihe malischer Jugendlicher für ihre Sache gewinnen konnten. Möglich war das aber nur in Kombination mit einem anderen Missstand, erklärt der malische Ethnologe Souleymane Diallo: der schlechten wirtschaftlichen Lage des Landes wie auch der schlechten Politik der Regierungen. Korruption war an der Tagesordnung und ist es, berichten andere Malier in Hintergrundgesprächen, bis heute. Die Islamisten haben sich diese Missstände zunutze gemacht.

"Die Leute glauben, sie seien aufgrund einer schlechten Regierung in der Lage, in der sie sind. In diesem Moment treten die Islamisten auf den Plan. Sie sagen den Maliern: 'Ihr leidet aufgrund der Korruption, der illegalen Geschäfte, aufgrund all der Dinge, die Gott verboten hat.' Mit solchen Reden gewinnen sie die Leute sehr leicht. Außerdem unterstützen sie die Menschen materiell. Sie greifen die allgemeine Meinung auf und spitzen sie in ihrer religiösen Sprache zu. Dadurch setzt sich der Islamismus bei vielen als einigendes Band durch."

Doch in dem Konflikt geht nicht nur um Religion. Sondern auch um kriminelle Geschäfte. Viele der aus vielen Teilen der arabischen Welt nach Mali gekommenen Islamisten und einige der mit ihnen verbündeten Touaregs handeln mit Drogen und Waffen.

Die riesigen Weiten der malischen Wüste bilde für Geschäfte dieser Art den idealen Rückzugsraum, außerdem laufen durch diese Gebiete die entsprechenden Schmuggelrouten nach Europa. Oumou Sall Seck, war bis vor einigen Wochen Bürgermeisterin von Gundam, einem Ort in der Nähe von Timbuktu. Als im April2012 die Islamisten kamen, floh sie, wie viele Bewohner der Stadt, nach Barnako. Die Islamisten, erklärt sie, haben dem Land kulturell sehr zugesetzt:

"Neben den materiellen Formen der Kultur, also den Moscheen und Gräbern, wurde auch das kollektive Gedächtnis des Landes in Mitleidenschaft gezogen. Die Terroisten haben auch psychologisch gewaltigen Schaden angerichtet."

Als Retter in der Not kamen ausgerechnet die Franzosen – die ehemaligen Kolonialherren, die Mali 80 Jahre lang, bis zur Unabhängigkeit 1960, beherrschten. Das ruft bei älteren Maliern durchaus gemischte Gefühle hervor, erklärt Traoré Geneba. Doch die meisten ihrer Landsleute wollten nun in die Zukunft schauen.

"Derzeit gibt es um den französischen Einsatz natürlich eine zum Teil auch polemisch geführte Diskussion. Wir denken auch über die verborgenen Interessen nach, die Frankreich mit der Intervention verbindet. Aber selbst wenn es sie gibt, muss man sehen, dass Bamako ohne diese Mission heute in der Hand der Dschihadisten wäre. Dann wäre Mali kein eigenständiger Staat mehr. Jetzt müssen die Malier daran gehen, sich miteinander zu versöhnen. Es gilt, die Unterentwicklung zu bekämpfen – und die Mentalität im Land zu ändern."

Dieser Mentalitätswandel dürfte nicht ganz einfach werden. Denn er hat seine Ursachen in einer jahrzehntelangen Vernachlässigung des Staatswesens. Wenn Menschen ihrem Staat aber nicht vertrauen können, suchen sie anderswo Schutz. Um die Mentalität zu ändern, braucht es nicht weniger als eine Revolution der politischen Kultur.
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