Malier "fürchten sich schon vor der Rückkehr der Islamisten"
Nach dem Einsatz der französischen Armee im Norden Malis haben die Islamisten Timbuktu verlassen. Wolfgang Bauer ist einer der wenigen Journalisten, die sich in der Stadt aufhalten. Nur fünf Prozent der Einwohner seien geblieben, sagt er. Die Angst vor der Rückkehr des Terrors sei groß.
Joachim Scholl: Die Islamisten in Mali sind vertrieben, die Intervention Frankreichs war kurz und offenbar erfolgreich. Offenbar - weil wir nicht so ganz sicher sein können. Denn was wir hören, was wir sehen, wird von der französischen Armee streng kontrolliert. Über Trauben von Menschen am Straßenrand, die jubeln, weil die Herrschaft der Islamisten zu Ende ist, kann man sich freuen - aber welche Bilder, welche Informationen gibt es noch? Am Telefon in Timbuktu erreichen wir jetzt den deutschen Journalisten Wolfgang Bauer, er arbeitet für die Hamburger "Zeit" und andere deutsche Blätter. Guten Tag, Herr Bauer!
Wolfgang Bauer: Guten Tag, Herr Scholl!
Scholl: Wie ist Ihr Status, Herr Bauer? Sind Sie auf eigene Faust in Timbuktu oder mit französischer Erlaubnis?
Bauer: Ich bin mit Erlaubnis des Verteidigungsministeriums von Mali hier, die Franzosen sind nicht dafür zuständig, aber wir sind in ständigem Kontakt mit den Franzosen natürlich aus Sicherheitsgründen.
Scholl: Wie sind Sie überhaupt nach Timbuktu gelangt?
Bauer: Das ist eine lange Geschichte. Weil die Straßen gesperrt sind, angeblich aus Sicherheitsgründen, und bis vor Kurzem eben keine kommerziellen Flugzeuge haben landen dürfen am Flughafen hier in Timbuktu, und deswegen das ein großes Problem war. Wir hatten das Glück, dass wir uns zusammengetan haben, verschiedene Journalisten aus Europa und einen Charterflieger gemietet haben.
Scholl: Wie frei können Sie sich jetzt in der Stadt bewegen?
Bauer: Nach Dunkelheit gar nicht mehr. Also, im Moment stehe ich auf dem Dach unseres Hotels und schaue in die Landschaft hinaus, obwohl ich gern noch dort arbeiten würde. Es ist eine Ausgangssperre verhängt, weil immer noch Kidnappinggefahr besteht und Timbuktu noch nicht ganz in der Kontrolle der Regierung ist, so glaubt zumindest die Regierung. Ansonsten können wir uns hier frei bewegen in der Stadt. Uns begleitet niemand und uns schreibt auch keiner vor, wo wir hingehen.
Scholl: Wie sieht es denn derzeit in Timbuktu aus, wie ist Ihr Eindruck? Sie sagten jetzt gerade, ja, alles ist noch nicht so ganz unter Kontrolle, denken die Menschen, dass es jetzt besser wird? Ich meine, die Gefahr durch die Islamisten ist ja nicht gebannt in dem Sinne, sie sind vertrieben, aber nicht besiegt?
Bauer: Ja, das ist ja wie so ein Gespensterkrieg gewesen, wie ein Rauch haben sich die Dschihadisten ja scheinbar aufgelöst, wie so ein großer Sandsturm über der Wüste. Sehr merkwürdig und viele grübeln auch darüber. Die Menschen hier, die ja nur noch wenige sind - also ich glaube, dass hier vielleicht fünf bis sieben Prozent der Bevölkerung überhaupt noch in Timbuktu geblieben sind. Alle anderen sind geflohen, in den Süden, nach Mauretanien oder nach Burkina Faso in Flüchtlingslager. Und die hier geblieben sind, die fürchten sich schon vor der Rückkehr der Islamisten, gerade weil jetzt auch im Moment die Franzosen sich da beginnen, aus Timbuktu zurückzuziehen.
Die ersten Transporte haben heute begonnen. Es soll am Donnerstag abgeschlossen sein. Eine kleine Truppe bleibt hier wohl zurück, aber ansonsten wird das in malische Hände übergeben, und der malischen Armee trauen die Einwohner von Timbuktu, mit denen ich gesprochen habe, nur wenig zu. Die würden sofort davonlaufen, sagen die immer.
Scholl: Also, wir sehen im Fernsehen seit der Intervention ja vor allem Bilder von jubelnden Menschen, die die französischen Soldaten begrüßen. Gegen diese Freude, von den Islamisten befreit zu sein, ist natürlich nichts zu sagen. Aber man fragt sich, welche Bilder hier der Öffentlichkeit doch vorenthalten werden. Ist diese Zustimmung, Herr Bauer, tatsächlich so einhellig? Was haben Sie gesehen?
Bauer: Die jubelnden Menschen habe ich auch gesehen. Vorgestern waren ja der französische und der malische Präsident in Timbuktu, da waren wir dabei, und das war ein großer Jubel und eine große Freude, die auch nicht inszeniert war. Die Leute freuen sich wirklich, die hiergeblieben sind. Die große Mehrheit, die geflohen ist, die kann ich hier oben nicht interviewen ...
Scholl: Ja, das ist schon klar ...
Bauer: ... und die wird wohl auch nicht unbedingt jubeln. Also das ist natürlich ein verzerrtes Bild, das nicht unbedingt Schlussfolgerungen zulässt. Aber mein Eindruck aus Timbuktu ist schon so generell, dass die Leute erleichtert sind, dass dieser Spuk vorbei ist. Sie müssen sich vorstellen, die Frauen haben sich ja eigentlich nie verschleiert. Wenn Sie hier nur wenige Kilometer ins Land hinein fahren, sehen Sie barbrüstige Frauen, die sich öffentlich im Fluss waschen. Und die Islamisten, die aus Saudi-Arabien vorwiegend und Algerien beeinflusst waren, die wollten hier wirklich eine neue Kultur einführen und die ganzen Traditionen Timbuktus umstülpen.
Und das erklärt auch, warum sie einige Heiligtümer, Grabmäler in Timbuktu zerstört haben, mit bloßen Händen offenbar, ich hab es mir heute angeguckt. Heilige, die sehr wichtig für die Bevölkerung gewesen sind, was aber eine große Provokation gewesen ist für die Einwohner hier, ihnen ihre Schutzpatrone zu zerstören. Und dazu gehören auch die Manuskripte übrigens, die hier in den Bibliotheken lagern, von denen ja einige in der großen öffentlichen Bibliothek verbrannt worden sind, tausend Jahre alte Kulturschätze.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Journalisten Wolfgang Bauer, der sich zurzeit in Timbuktu, in Mali aufhält, dort erreichen wir ihn auch. Die Telefonverbindung ist nicht die Beste, aber wir sind überhaupt froh, mit Ihnen sprechen zu können, Herr Bauer. Lassen Sie uns noch mal auf die Informationspolitik der französischen Armee zurückkommen. Es gab viel Kritik in den letzten Tagen, auch von öffentlichen Institutionen wie Reporter ohne Grenzen, die sagten, also hier wird doch eigentlich eine starke Zensur geübt. Viele Journalisten haben sich beklagt, "la grande muette" wird die französische Armee genannt, "die große Schweigerin", weil sie eben ganz restriktiv die Öffentlichkeit ausschließt. Wie erleben Sie die verantwortlichen Militärs, oder wie haben Sie sie bislang erlebt?
Bauer: Die sind sehr nett, aber völlig chaotisch und desinteressiert. Also das ist katastrophal, wirklich fürchterlich. Ich war schon in vielen Konflikten, aber so eine miserable Pressearbeit und Pressebetreuung habe ich noch nicht erlebt. Das reicht sogar fast bis zur Gefährdung der Journalisten zum Beispiel hier in Timbuktu.
Wir wurden nicht ausreichend informiert, dass die französischen Truppen sich zurückziehen, und auch gleichzeitig nicht informiert darüber, dass die Rückzugswege, die die Franzosen ja dann mit ihren großen, großen Konvois nutzten, für nichtmilitärisches Personal, also alle Zivilisten, gesperrt sind. Also man entzieht uns praktisch den militärischen Schutz und gleichzeitig exponiert man uns der gestiegenen Kidnapping-Gefahr, und das ist einfach ein furchtbares Chaos und Unverständnis aufseiten der französischen Militärpresse. Es gibt hier, glaube ich, keinen Kollegen, der sich nicht beklagt, also keinen internationalen Kollegen.
Scholl: Das französische Außenministerium begründet aber diese Politik sozusagen damit, es dient alles zur Sicherheit. Ich meine, Sie haben schon erwähnt, Sie waren schon in anderen Krisenregionen, Kriegsregionen, im Irak, in Libyen, in Afghanistan und Syrien, wo das Militär ja auch die Berichterstattung kontrolliert und behindert hat. Aber das ist mit Mali jetzt nicht vergleichbar?
Bauer: Nein. Hier wird man komplett ausgeschlossen. Also uns ist es ja unter wirklich ganz erheblichen Anstrengungen erst gelungen, nach Timbuktu zu kommen, während der Rest der Journalisten einfach ausgesperrt wird und in 600 Kilometer Entfernung wartet in der Region, wo die Islamisten niemals gewesen sind. Also dieser ganze ehemals islamistische Bereich ist quasi für die Weltöffentlichkeit gesperrt, und das ist unglücklich natürlich, weil immer mehr Gerüchte auch darüber aufkommen, dass die malische Armee mit Listen ausgestattet ist, auf denen eben die Namen von Personen stehen, die festgenommen werden sollen beziehungsweise denen Schlimmeres angedeiht werden soll. Und hier ist ein ganz großer Bedarf, dass die Presse tatsächlich kontrollierend und beobachtend in dieser Region präsent ist.
Scholl: Ich meine, solche Meldungen haben wir ja relativ rasch gehört, und sie waren sehr irritierend, also grausame Rache an den Rebellen durch die malische Armee. Was haben Sie darüber erfahren können, oder können Sie das in irgendeiner Weise bestätigen, haben Sie mal jemand gesprochen, der davon berichten konnte?
Bauer: Ich selber nicht. Kollegen haben mit Leuten gesprochen, die diese Berichte gegeben haben, auch Human Rights Watch hat ja Entsprechendes veröffentlicht, dass es zu einzelnen Exekutionen und Misshandlungen, sogar Vergewaltigungen gekommen ist. Wie gesagt, ich nicht selber. Ich war in den eigentlichen Kriegsgebieten nicht, in Timbuktu fanden keine Kämpfe statt und sind hier alle Bevölkerungsgruppen, die sich potenziell bedroht fühlten durch die malische Armee, die heranrückte, geflohen.
Die Leute haben ja in den letzten 20 Jahren, nach den entsprechenden gescheiterten Rebellionen fürchterliche Erfahrungen machen müssen, dass es zu wirklich willkürlichen Kollektivstrafen hier kam, denen viele Menschen zum Opfer gefallen sind, die jetzt mit den Aufständischen nichts zu tun hatten. Und weil man die malische Armee so gut kennt, ist diese Stadt jetzt so gut wie leer. Die große Nagelprobe wird hier in Timbuktu kommen, wenn die Franzosen eben abziehen und die malische Armee mit den Einwohnern hier allein gelassen wird.
Scholl: Wie sieht es denn mit den malischen Kollegen, den Journalistenkollegen aus? Mali galt einmal als afrikanisches Musterland von Meinungs- und Pressefreiheit, nach der Eroberung des Nordens durch die Islamisten war es damit vorbei. Journalisten wurden zensiert, bedroht - wie ist die Lage jetzt, auch für Sie? Sind die Menschen bereit, mit Ihnen und Journalisten überhaupt zu reden?
Bauer: Ja, die sind sehr offen, also, ich hatte, glaube ich, bisher noch keinen einzigen getroffen, der uns jetzt abgewiesen hätte. Also die Leute sind wirklich sehr offen, freundlich und auch mitteilungsbedürftig, weil, Sie müssen sich ja vorstellen, dass diese Menschen ein Jahr lang isoliert waren von der Außenwelt und Timbuktu auch früher eine Touristenstadt gewesen ist, die Touristenhochburg in Mali. Das merkt man der Stadt auch an, diese Innenstadt, und die Leute, die auch sich wirklich wieder freuen, Ausländer in ihren Reihen zu haben, das ist so mein Eindruck.
Scholl: Zur Lage in Mali, zur Situation der Berichterstattung - das war Wolfgang Bauer, Journalist zurzeit in Timbuktu. Ich bitte die Qualität der Telefonleitung zu entschuldigen, es war nicht einfach, Herrn Bauer überhaupt zu erreichen. Ich danke Ihnen, Herr Bauer, für das Gespräch, und wünsche Ihnen alles Gute.
Bauer: Keine Ursache. Ihnen alles Gute auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Wolfgang Bauer: Guten Tag, Herr Scholl!
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Scholl: Wie sind Sie überhaupt nach Timbuktu gelangt?
Bauer: Das ist eine lange Geschichte. Weil die Straßen gesperrt sind, angeblich aus Sicherheitsgründen, und bis vor Kurzem eben keine kommerziellen Flugzeuge haben landen dürfen am Flughafen hier in Timbuktu, und deswegen das ein großes Problem war. Wir hatten das Glück, dass wir uns zusammengetan haben, verschiedene Journalisten aus Europa und einen Charterflieger gemietet haben.
Scholl: Wie frei können Sie sich jetzt in der Stadt bewegen?
Bauer: Nach Dunkelheit gar nicht mehr. Also, im Moment stehe ich auf dem Dach unseres Hotels und schaue in die Landschaft hinaus, obwohl ich gern noch dort arbeiten würde. Es ist eine Ausgangssperre verhängt, weil immer noch Kidnappinggefahr besteht und Timbuktu noch nicht ganz in der Kontrolle der Regierung ist, so glaubt zumindest die Regierung. Ansonsten können wir uns hier frei bewegen in der Stadt. Uns begleitet niemand und uns schreibt auch keiner vor, wo wir hingehen.
Scholl: Wie sieht es denn derzeit in Timbuktu aus, wie ist Ihr Eindruck? Sie sagten jetzt gerade, ja, alles ist noch nicht so ganz unter Kontrolle, denken die Menschen, dass es jetzt besser wird? Ich meine, die Gefahr durch die Islamisten ist ja nicht gebannt in dem Sinne, sie sind vertrieben, aber nicht besiegt?
Bauer: Ja, das ist ja wie so ein Gespensterkrieg gewesen, wie ein Rauch haben sich die Dschihadisten ja scheinbar aufgelöst, wie so ein großer Sandsturm über der Wüste. Sehr merkwürdig und viele grübeln auch darüber. Die Menschen hier, die ja nur noch wenige sind - also ich glaube, dass hier vielleicht fünf bis sieben Prozent der Bevölkerung überhaupt noch in Timbuktu geblieben sind. Alle anderen sind geflohen, in den Süden, nach Mauretanien oder nach Burkina Faso in Flüchtlingslager. Und die hier geblieben sind, die fürchten sich schon vor der Rückkehr der Islamisten, gerade weil jetzt auch im Moment die Franzosen sich da beginnen, aus Timbuktu zurückzuziehen.
Die ersten Transporte haben heute begonnen. Es soll am Donnerstag abgeschlossen sein. Eine kleine Truppe bleibt hier wohl zurück, aber ansonsten wird das in malische Hände übergeben, und der malischen Armee trauen die Einwohner von Timbuktu, mit denen ich gesprochen habe, nur wenig zu. Die würden sofort davonlaufen, sagen die immer.
Scholl: Also, wir sehen im Fernsehen seit der Intervention ja vor allem Bilder von jubelnden Menschen, die die französischen Soldaten begrüßen. Gegen diese Freude, von den Islamisten befreit zu sein, ist natürlich nichts zu sagen. Aber man fragt sich, welche Bilder hier der Öffentlichkeit doch vorenthalten werden. Ist diese Zustimmung, Herr Bauer, tatsächlich so einhellig? Was haben Sie gesehen?
Bauer: Die jubelnden Menschen habe ich auch gesehen. Vorgestern waren ja der französische und der malische Präsident in Timbuktu, da waren wir dabei, und das war ein großer Jubel und eine große Freude, die auch nicht inszeniert war. Die Leute freuen sich wirklich, die hiergeblieben sind. Die große Mehrheit, die geflohen ist, die kann ich hier oben nicht interviewen ...
Scholl: Ja, das ist schon klar ...
Bauer: ... und die wird wohl auch nicht unbedingt jubeln. Also das ist natürlich ein verzerrtes Bild, das nicht unbedingt Schlussfolgerungen zulässt. Aber mein Eindruck aus Timbuktu ist schon so generell, dass die Leute erleichtert sind, dass dieser Spuk vorbei ist. Sie müssen sich vorstellen, die Frauen haben sich ja eigentlich nie verschleiert. Wenn Sie hier nur wenige Kilometer ins Land hinein fahren, sehen Sie barbrüstige Frauen, die sich öffentlich im Fluss waschen. Und die Islamisten, die aus Saudi-Arabien vorwiegend und Algerien beeinflusst waren, die wollten hier wirklich eine neue Kultur einführen und die ganzen Traditionen Timbuktus umstülpen.
Und das erklärt auch, warum sie einige Heiligtümer, Grabmäler in Timbuktu zerstört haben, mit bloßen Händen offenbar, ich hab es mir heute angeguckt. Heilige, die sehr wichtig für die Bevölkerung gewesen sind, was aber eine große Provokation gewesen ist für die Einwohner hier, ihnen ihre Schutzpatrone zu zerstören. Und dazu gehören auch die Manuskripte übrigens, die hier in den Bibliotheken lagern, von denen ja einige in der großen öffentlichen Bibliothek verbrannt worden sind, tausend Jahre alte Kulturschätze.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Journalisten Wolfgang Bauer, der sich zurzeit in Timbuktu, in Mali aufhält, dort erreichen wir ihn auch. Die Telefonverbindung ist nicht die Beste, aber wir sind überhaupt froh, mit Ihnen sprechen zu können, Herr Bauer. Lassen Sie uns noch mal auf die Informationspolitik der französischen Armee zurückkommen. Es gab viel Kritik in den letzten Tagen, auch von öffentlichen Institutionen wie Reporter ohne Grenzen, die sagten, also hier wird doch eigentlich eine starke Zensur geübt. Viele Journalisten haben sich beklagt, "la grande muette" wird die französische Armee genannt, "die große Schweigerin", weil sie eben ganz restriktiv die Öffentlichkeit ausschließt. Wie erleben Sie die verantwortlichen Militärs, oder wie haben Sie sie bislang erlebt?
Bauer: Die sind sehr nett, aber völlig chaotisch und desinteressiert. Also das ist katastrophal, wirklich fürchterlich. Ich war schon in vielen Konflikten, aber so eine miserable Pressearbeit und Pressebetreuung habe ich noch nicht erlebt. Das reicht sogar fast bis zur Gefährdung der Journalisten zum Beispiel hier in Timbuktu.
Wir wurden nicht ausreichend informiert, dass die französischen Truppen sich zurückziehen, und auch gleichzeitig nicht informiert darüber, dass die Rückzugswege, die die Franzosen ja dann mit ihren großen, großen Konvois nutzten, für nichtmilitärisches Personal, also alle Zivilisten, gesperrt sind. Also man entzieht uns praktisch den militärischen Schutz und gleichzeitig exponiert man uns der gestiegenen Kidnapping-Gefahr, und das ist einfach ein furchtbares Chaos und Unverständnis aufseiten der französischen Militärpresse. Es gibt hier, glaube ich, keinen Kollegen, der sich nicht beklagt, also keinen internationalen Kollegen.
Scholl: Das französische Außenministerium begründet aber diese Politik sozusagen damit, es dient alles zur Sicherheit. Ich meine, Sie haben schon erwähnt, Sie waren schon in anderen Krisenregionen, Kriegsregionen, im Irak, in Libyen, in Afghanistan und Syrien, wo das Militär ja auch die Berichterstattung kontrolliert und behindert hat. Aber das ist mit Mali jetzt nicht vergleichbar?
Bauer: Nein. Hier wird man komplett ausgeschlossen. Also uns ist es ja unter wirklich ganz erheblichen Anstrengungen erst gelungen, nach Timbuktu zu kommen, während der Rest der Journalisten einfach ausgesperrt wird und in 600 Kilometer Entfernung wartet in der Region, wo die Islamisten niemals gewesen sind. Also dieser ganze ehemals islamistische Bereich ist quasi für die Weltöffentlichkeit gesperrt, und das ist unglücklich natürlich, weil immer mehr Gerüchte auch darüber aufkommen, dass die malische Armee mit Listen ausgestattet ist, auf denen eben die Namen von Personen stehen, die festgenommen werden sollen beziehungsweise denen Schlimmeres angedeiht werden soll. Und hier ist ein ganz großer Bedarf, dass die Presse tatsächlich kontrollierend und beobachtend in dieser Region präsent ist.
Scholl: Ich meine, solche Meldungen haben wir ja relativ rasch gehört, und sie waren sehr irritierend, also grausame Rache an den Rebellen durch die malische Armee. Was haben Sie darüber erfahren können, oder können Sie das in irgendeiner Weise bestätigen, haben Sie mal jemand gesprochen, der davon berichten konnte?
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Die Leute haben ja in den letzten 20 Jahren, nach den entsprechenden gescheiterten Rebellionen fürchterliche Erfahrungen machen müssen, dass es zu wirklich willkürlichen Kollektivstrafen hier kam, denen viele Menschen zum Opfer gefallen sind, die jetzt mit den Aufständischen nichts zu tun hatten. Und weil man die malische Armee so gut kennt, ist diese Stadt jetzt so gut wie leer. Die große Nagelprobe wird hier in Timbuktu kommen, wenn die Franzosen eben abziehen und die malische Armee mit den Einwohnern hier allein gelassen wird.
Scholl: Wie sieht es denn mit den malischen Kollegen, den Journalistenkollegen aus? Mali galt einmal als afrikanisches Musterland von Meinungs- und Pressefreiheit, nach der Eroberung des Nordens durch die Islamisten war es damit vorbei. Journalisten wurden zensiert, bedroht - wie ist die Lage jetzt, auch für Sie? Sind die Menschen bereit, mit Ihnen und Journalisten überhaupt zu reden?
Bauer: Ja, die sind sehr offen, also, ich hatte, glaube ich, bisher noch keinen einzigen getroffen, der uns jetzt abgewiesen hätte. Also die Leute sind wirklich sehr offen, freundlich und auch mitteilungsbedürftig, weil, Sie müssen sich ja vorstellen, dass diese Menschen ein Jahr lang isoliert waren von der Außenwelt und Timbuktu auch früher eine Touristenstadt gewesen ist, die Touristenhochburg in Mali. Das merkt man der Stadt auch an, diese Innenstadt, und die Leute, die auch sich wirklich wieder freuen, Ausländer in ihren Reihen zu haben, das ist so mein Eindruck.
Scholl: Zur Lage in Mali, zur Situation der Berichterstattung - das war Wolfgang Bauer, Journalist zurzeit in Timbuktu. Ich bitte die Qualität der Telefonleitung zu entschuldigen, es war nicht einfach, Herrn Bauer überhaupt zu erreichen. Ich danke Ihnen, Herr Bauer, für das Gespräch, und wünsche Ihnen alles Gute.
Bauer: Keine Ursache. Ihnen alles Gute auch!
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