"Die Touristen kommen überall hin"
"Wegen Überfüllung geschlossen" hatten Aktivisten nach der symbolischen Sperrung des Tourismuszentrum Mallorcas geschrieben. Auch Nora Müller engagiert sich für weniger Tourismus auf der Insel – und erklärt, warum das Problem nicht unbedingt die Ballermann-Touristen sind.
Inzwischen kämen Touristen auch an die entlegenen Orte der Insel, sagt Nora Müller, die auf Mallorca und in Tübingen lebt. Das Hauptproblem sei aber der sich immer stärker entwickelnde Markt an Ferienwohnungen, so die Aktivistin der Bürgerinitiative "Die Stadt gehört denen, die hier leben" am Freitag im Deutschlandfunk Kultur.
Vorher habe es die großen Hotels mit einer bestimmten Anzahl von Betten gegeben, die vor allem die Party-Touristen anzogen. Das steigende Angebot von Ferienwohnungen führe nicht nur dazu, dass die Anzahl der Touristen steige, sondern bedeute auch, "dass die Touristen eben in die privaten Wohnräume, die ja eigentlich eine soziale Funktion haben, eindringen können und dass diese vermarktet werden von nicht nur Privatpersonen, sondern auch von Immobilienagenturen und größeren Investoren." Oft würden diese Wohnung zudem illegal vermietet.
Wieviel Wasser fließt in den Rasen für die Golfer?
Das Bestreben den Qualitätstourismus zu fördern, führe außerdem dazu, dass das Angebot breiter werde und sich noch mehr Menschen angesprochen fühlten. "Der Qualitätstourismus hat eben auch negative Einflüsse auf die Umwelt, weil gerade so was wie Golfplätze auf einer Insel, die eigentlich ein Problem mit Wasser hat, ein bisschen konträr ist." Es gebe mittlerweile mehr als 20 Golfplätze auf ganz Mallorca. Anstatt immer zu betonen, dass die Insel vom Tourismus abhänge, sollte gegengerechnet werde, welche Kosten der Tourismus eigentlich produziert.
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Das Interview im Wortlaut
Dieter Kassel: In Barcelona haben vermummte Jugendliche auf offener Straße einen Touristenbus gestoppt, die Reifen zerstochen und Parolen wie "Der Tourismus tötet die Stadtviertel" an die Scheiben gesprüht. Auf Mallorca laufen die Proteste zwar bisher etwas friedlicher ab, aber die Bürgerinitiative Ciutat per a qui l'habita – das ist mallorquinisch für "Die Stadt gehört denen, die hier leben" –, die hat zum Beispiel in Palma jüngst symbolisch das Tourismuszentrum gesperrt, "wegen Überfüllung geschlossen" hat man dann da drangeschrieben. Und für diese Initiative engagiert sich auch Nora Müller, die lebt nämlich immer abwechselnd auf Mallorca und in Tübingen. Und vorhin habe ich fast schon so ein bisschen gelogen mit der Behauptung, jetzt sei sie auf Mallorca, sie ist gerade wieder zurückgekommen und ist jetzt wieder in Deutschland. Schönen guten Morgen, Frau Müller!
Nora Müller: Guten Morgen!
Kassel: Sie leben aber einen wesentlichen Teil des Jahres auf Mallorca, haben da ihren zweiten Wohnsitz. Angesichts dieser Entwicklung, sollte ich Sie dafür eher beneiden oder bemitleiden?
Müller: Wuff, es kommt ganz drauf an, würde ich sagen, auf die Jahreszeit, weil im Winter ist es ziemlich angenehm. Die Temperaturlage ist angenehm, es ist angenehm von den Leuten, es ist nicht alles so überfüllt, und im Sommer ist es teilweise ein bisschen anstrengend, je nachdem, wo man hingeht.
Touristen an allen Stränden
Kassel: Was hat denn bei Ihnen auch ganz persönlich dazu geführt, dass Sie das Gefühl hatten, ich muss auch mitmachen bei dieser Initiative, auch ich hab den Eindruck, so geht's nicht mehr weiter?
Müller: Ich hab einen mallorquinischen Freund und reise immer wieder hin und her und habe auch zwischen Bachelor und Master ein Jahr dort gelebt und ein Praktikum gemacht. Innerhalb dieser vier Jahre – das ist ja jetzt nicht so eine lange Zeit – habe ich auch schon eine Zunahme gemerkt und natürlich auch ständig so ein bisschen die Kritik gehört von den ganzen Einwohnern dort. Aber man konnte eigentlich immer ganz gut noch dem Tourismus irgendwie so entweichen und an die Strände gehen, die eben noch nicht so bekannt sind. Das wird immer schwieriger, denn es gibt eben solche Bücher wie "1001 Strände von Mallorca" - ich weiß nicht genau, wie es heißt - sodass natürlich die Touristen mittlerweile überall auch hinkommen.
Und das, was eigentlich jetzt für mich ein bisschen extremer war, ist diese Ferienhaustourismusentwicklung. Vorher gab's halt die Hotels mit ihren x Betten, wo Touristen unterkommen, und dann kam da eben dieses Angebot von Ferienhäusern, die sehr oft illegal eben auch sind, dazu, was natürlich die Anzahl an Touristen erhöht hat und gleichzeitig aber auch bedeutet, dass die Touristen eben in die privaten Wohnräume, die ja eigentlich eine soziale Funktion haben, eindringen können und dass diese vermarktet werden von nicht nur Privatpersonen, sondern auch von Immobilienagenturen und größeren Investoren.
Kassel: Das ist interessant, denn wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, kommt eigentlich diese Zuspitzung des Problems nicht durch diese klassischen Ballermann-Touristen, die in El Arenal und Umgebung unterwegs sind, sondern durch die anderen, also durch Individualtouristen, die sich Wohnungen, Häuser mieten und die eben nicht nur am Ballermann rumhängen, sondern die ganze Insel – ich sag's mal ganz neutral – besuchen.
Müller: Dadurch gab es auf jeden Fall eine Zuspitzung, außerdem hat die geopolitische Situation noch dazu geführt, dass mehr Touristen jetzt nach Mallorca kommen. Weil eben andere Ziele gefährlicher sind und man deshalb nach Nordafrika oder in die Türkei nicht mehr so gern reist. Das hat natürlich auch dazu geführt, dass die Touristenzahlen immer weiter gestiegen sind die letzten Jahre. Aber dieses neue Angebot an Unterkünften, die größtenteils eben illegal sind, führt eben zu überhaupt der Möglichkeit, dass die Leute irgendwo unterkommen auch.
Auch die Qualitätstouristen werden zum Problem
Kassel: Frau Müller, das Interessante, dass schon vor ein paar Jahren, noch bevor es so extrem wurde, was einfach die puren Zahlen angeht, die Regionalregierung der Balearen von Mallorca ja gesagt hat, wir wollen in Zukunft andere Touristen, wir wollen nicht mehr diese Prolls am Ballermann, wir wollen nicht mehr Leute, die Sangria trinkend und Eisbein essend sich auf ungefähr zehn Quadratkilometern aufhalten, wenn überhaupt, wir wollen zeigen, wie schön diese Insel wirklich ist, und wir wollen einen niveauvolleren Tourismus. Ist das nicht zum Teil jetzt auch die Rache für genau diesen Wunsch?
Müller: Ich persönlich, und ich glaube, da sind meine Kollegen aus der Initiative überein, es geht ja nicht so sehr, ob es jetzt der Ballermann-Tourist ist oder der Tourist, der golfen geht, der kommt. Und diese ganze Promotion von dem Qualitätstourismus hat eben auch sehr negative Einflüsse. Nicht nur jetzt, dass eben mehr Touristen jetzt kommen, weil eben das Angebot viel größer ist. Es gibt eben jetzt nicht nur den Festtourismus sozusagen, wo man dann irgendwie nur Party macht vier Tage, die man da ist, sondern es gibt eben den Golftourismus, dann gibt's den Fahrradtourismus, und dadurch ist das Angebot sehr, sehr groß. Ich merke das auch an meinen Flügen, dass ich vor vier Jahren waren noch sehr, sehr viele Ballermann-Besucher im Flugzeug, die mit ihren Hüten im Flugzeug schon ihr erstes Bier aufgemacht haben, so ungefähr, aber das ändert sich immer stärker und wird immer diverser. Und dadurch ist natürlich das Angebot viel größer und viel mehr Leute fühlen sich angesprochen.
Auf der anderen Seite, der Qualitätstourismus hat eben auch negative Einflüsse auf die Umwelt, weil gerade so was wie Golfplätze auf einer Insel, die eigentlich ein Problem mit Wasser hat, ist ein bisschen konträr. Es gibt mittlerweile über 20 Golfplätze auf ganz Mallorca, und Mallorca ist nicht so groß. Da ist es so ein bisschen auch die Frage, okay, warum wir wollen denn Qualitätstourismus, weil letztlich bringt der nicht viel. Der bringt keine großen Vorteile oder keine großen Nachteile, das ist irgendwie das Gleiche, nur eine andere Art von Zielgruppe, was eigentlich nur dazu führt, dass der Tourismus eine größeres Angebot hat, ein breiteres.
Kosten-Nutzen-Rechnung fehlt bisher
Kassel: Ich kann's verstehen und auch wieder nicht, denn wo liegt denn jetzt die Lösung? Doch noch nur die Ballermann-Leute kann ja auch nicht der Wunsch sein, einfach weniger Touristen ist wahrscheinlich der Wunsch, aber wie wollen Sie da die richtige Grenze finden, denn ohne Tourismus hätte Mallorca natürlich ein massives Wirtschaftsproblem?
Müller: Ja, genau, das ist so ein bisschen auch das, was ich dann schön fand, das hat ein Freund neulich gesagt. Das ist das Mantra, was wir uns irgendwie seit Kindesbeinen sozusagen vorsingen: Wir leben vom Tourismus. Man muss aber auch sehen, dass der Tourismus … Erst mal, die Arbeitsbedingungen im Tourismus sind sehr prekär, insbesondere bei den Putzfrauen im Hotel, die eben innerhalb von kürzester Zeit eine Vielzahl von Räumen putzen müssen und das immer weniger wird. Dann sind die ganzen Verträge meistens nur temporär, das heißt für acht Monate oder sechs, acht Monate, für die Saison eben, sodass die meisten sich auch nicht in Gewerkschaften zum Beispiel organisieren.
Auf der anderen Seite produziert der Tourismus natürlich auch enorme Kosten. Wenn man sich mal die Müllentwicklung anguckt, dann wächst der Müll exponentiell in den Sommermonaten, aber exponentiell, wirklich unglaublich, was für eine Masse an mehr Müll zum Beispiel entsteht. Und das muss ja auch irgendwie behandelt werden, der ganze Müll, oder durch Abwasser genau das gleiche Problem. Und das Wasser muss auch irgendwo herkommen, und in Mallorca wird Wasser sehr oft auch importiert, und das sind ja alles Kosten, die nicht direkt auf den Touristen zurückfallen, die ja dann die Regierung lösen muss. Und diese Rechnung hat zum Beispiel noch niemand gemacht, das finde ich zum Beispiel eine sehr interessante Frage: Welche Einnahmen bringt der Tourismus, aber auch, welche Ausgaben produziert er dadurch, dass eben die Infrastrukturen, die dort vorhanden sind und die ja vom Staat geregelt werden, viel, viel stärker belastet werden.
Kassel: Wir hören, es geht nicht nur darum, einfach genervt zu sein von den vielen Touristen, die die Straßen und Plätze verstopfen, sondern es stellen sich eine ganze Reihe von Fragen, die noch nicht so richtig verbindlich beantwortet wurden. Nora Müller war das, die in Tübingen und eben auch einen großen Teil des Jahres auf Mallorca lebt. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.