Jessica Lind: "Mama"

Horrormärchen um Schwangerschaft

06:12 Minuten
Zu sehen ist das Cover des Buches "Mama" von Jessica Lind. Man sieht eine comicartige Darstellung von Blutgefäßen, darüber den Titel des Buches.
© Kremayr & Scheriau

Jessica Lind

MamaKremayr & Scheriau, Wien 2021

192 Seiten

20,00 Euro

Von Sonja Hartl · 22.12.2021
Audio herunterladen
Mit vielen Verweisen auf Schauergeschichten erzählt Jessica Lind von den widerstreitenden Gefühlen einer Frau, die unbedingt ein Kind will. Plötzlich findet sie sich einer Gefangenen gleich mit ihrem Kind in einem Wald wieder.
„Wollen wir es nur, weil alle es wollen?“, fragt Josef seine Partnerin Amira in Jessica Linds „Mama“. Amira aber ist sich sicher, dass sie ein Kind will. Sie will schwanger sein, sie will diese Verbundenheit in und mit ihrem Körper spüren. Deshalb ermittelt sie genauestens ihren Eisprung und will unbedingt in Josefs einsamer Ferienhütte im Wald Sex mit ihm haben.
Tatsächlich wird sie dort nach einer magischen Nacht auf einer Lichtung schwanger. Aber mit dieser Schwangerschaft wird die Unruhe immer größer, die Amira dort zuvor empfunden hat.

Zeiten und Realitäten vermischen sich

Diese innere Unruhe korrespondiert mit einer äußeren Bedrohung durch den Wald, durch eine Hündin, der sie versehentlich die Welpen genommen hat, und durch einen einsamen Wanderer, der Josefs verstorbenen Vater ähnlich sieht.
Eines Nachts läuft Amira hochschwanger im Regen in den Wald, fortan vermischen sich Zeiten und Realitäten vollends in diesem vielschichtigen und komplexen Roman.
Aus dieser Nacht kehrt sie mit einem, mit ihrem zweijährigen Kind Luise zurück. Doch diese Nacht ist nicht einfach ein Zeitsprung. Möglicherweise träumt Amira, bildet sich alles ein oder zwei Realitäten existieren nebeneinander.
Jessica Lind montiert in ihrem gelungenen Debütroman viele Motive und Verweise auf literarische (Horror-)Motive und Schauermärchen zu einem eigenständigen Geflecht, das geschickt durch eine trügerisch schlichte und sanfte Erzählstimme zusammengehalten wird.
Dadurch eröffnet sich ein beeindruckend großer Deutungsraum, in dem sich viele Themen um Schwanger- und Mutterschaft wiederfinden: Die gesellschaftlich behauptete „Natürlichkeit“ dieses Vorgangs, die Erwartungen an Gefühle und Verhaltensweisen von Schwangeren und Müttern, Amiras widerstreitende Empfindungen und Wahrnehmungen hinsichtlich ihres Kindes und ihrer Rolle.

Verarbeitung eines Traumas

Es ist sogar möglich, dass es diese Mutterschaft niemals gegeben hat. Vielleicht geht es hier um die Verarbeitung eines Traumas oder Verlustes. Mit dieser Vieldeutigkeit spiegelt „Mama“ die subjektiven Erfahrungen von Mutterschaft oder auch Nicht-Mutterschaft sehr gut wider.
Dadurch entsteht eine spannende und interessante Ambivalenz. Man kennt alle Motive in diesem Roman bereits, aber Linds originelle und überzeugende Erzählweise verschafft ein einzigartiges Leseerlebnis.
Am Ende kann Amira mit Luise den Wald nicht mehr verlassen. Sie bleiben in der Hütte, müssen weder essen noch werden sie älter. Zwei Menschen, die völlig eins sind, und Amira hat die komplette Kontrolle. Genau das hatte sie sich gewünscht. Aber gehört zum Muttersein nicht auch das Loslassen des Kindes in eine gefährliche, rätselhafte Welt?

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema