Wie man aus einer heiligen Kuh einen Hamburger macht
Die Man-Booker-Prize-Jury stellt Paul Beatty in eine Reihe mit Mark Twain und Jonathan Swift. Als erster US-Amerikaner hat er den wichtigsten britischen Literaturpreis für seine Gesellschaftssatire "The Sellout" erhalten. Ausgerechnet in Deutschland hat Beatty viel über Sprache gelernt.
"Ich hab mich nie ins Kino geschummelt, nie versäumt, das richtige Wechselgeld im Zeitungskiosk rauszugeben, gleichgültig in Bezug auf die verschlungenen Wege des Merkantilismus und der Hoffnung auf einen Mindestlohn. Ich hab noch nie einen Schnapsladen überfallen, mich noch nie auf einen Behindertenplatz im Bus gesetzt oder in der Öffentlichkeit meinen enormen Penis entblößt, um mit einem lüsternen Grinsen zu masturbieren."
Ein wahrer Musterknabe aus der afro-amerikanischen Mittelschicht ist der Ich-Erzähler also, dessen absurde Geschichte "The Sellout" dem Autor Paul Beatty gestern Abend den Man Booker Prize eingebracht hat. Eine absurde Geschichte in der Tat, denn um die Ehre seiner heruntergekommenen Getto-Viertels zu retten, führt der Ich-Erzähler die Sklaverei und die Rassentrennung an der örtlichen Grundschule wieder ein.
Leser wird unbekümmert "ans Kreuz geschlagen"
"Belletristik sollte nicht gemütlich sein", sagte die Jury-Vorsitzende Amanda Foreman gestern am späten Abend nach dem gesetzten Dinner in Londons gotischer Guildhall:
"Die Wahrheit ist selten hübsch und dieses Buch schlägt den Leser mit fröhlicher Unbekümmertheit ans Kreuz, um ihn zu kitzeln."
Foreman stellte den Preisträger in eine Reihe mit Jonathan Swift und Mark Twain. Dann überreichte Camilla, die Duchess of Cornwall und Ehefrau von Prince Charles, die gläserne Trophäe an den ersten US-amerikanischen Preisträger in der Geschichte des Man Booker Prize für dessen kontroverse Gesellschaftssatire.
Noch ein Beispiel? "Was hat die Bürgerrechtsbewegung unterm Strich gebracht? Schwarze haben weniger Angst vor Hunden, als früher", räsoniert der Ich- Erzähler an einer Stelle. Noch ein Lob? "Beatty kann mit einem Satz aus jeder heiligen Kuh einen Hamburger" machen, schrieb die "New York Times". "Heilige Kühe" hat Paul Beatty nie gekannt, schon als Grundschüler nicht: Während eines Klassenausflugs in Santa Monica malte er einen Vierzeiler auf den Bus der örtlichen Polizei. Die fand das gar nicht lustig und zwang den Schülerdichter, sein Werk teilweise zu übermalen.
Erster Roman führt amerikanischen DJ nach Berlin
Beatty, 1962 geboren, wuchs in Los Angeles auf, mit zwei Schwestern, als einziger Mann im Haus. Der Vater verschwand, als er drei Jahre war. Nach der High School studierte Beatty in New York und Boston kreatives Schreiben und Psychologie. Seine Karriere begann er als Poetry-Slammer. 1996 erschien dann sein erster Roman: "The White Boy Shuffle". Der deutsche Titel "Der Sklavenmessias" verrät, worum es auch hier geht: um offenen und gut versteckten Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft. In "Slumberland", seinem vorletzten Roman, verschlägt es einen amerikanischen DJ auf der Suche nach sich ins Berlin der späten 90er-Jahre.
"In Deutschland habe ich gelernt, über die Macht von Sprache nachzudenken. Im Deutschen achten die Leute auf jeden Konsonanten, jeden Reibelaut, jeden noch so leisen Ton", sagte Beatty neulich in einem Interview. Ein tiefes Gefühl für Sprache, ihren Rhythmus aber auch ihren Missbrauch als bloße Floskeln und politisch-korrekte Lippenbekenntnisse bescheinigte die Booker Prize Jury ihrem Preisträger gestern Abend.
Paul Beatty: "Für mich gibt's keine Absperrgitter, und auch kein: Das kannst du nicht schreiben. Oh, da brauch ich eine Erlaubnis."
Um Erlaubnis wird demnächst Paul Beatty von vielen Menschen gefragt werden. Für ein Foto, ein Autogramm, und hoffentlich viele Übersetzungen seines aktuellen Romans - auch ins Deutsche.
"Ich will ja nicht pathetisch werden: von wegen Schreiben hat mein Leben gerettet und so, aber Schreiben hat mir ein Leben gegeben", sagte Beatty in seiner Danksagung gestern Abend.
"Herzlichen Glückwunsch", sagen wir.