"Man darf Erlösung nicht einfach auf den Tod Jesu reduzieren"

Josef Imbach im Gespräch mit Ita Niehaus |
Der Theologe Josef Imbach möchte dem Opfer-Begriff der christlichen Lehre seinen Schrecken nehmen. Man müsse sich Gottes Gunst mit nichts erkaufen, sagt er. Denn Gott sei den Menschen gegenüber grundsätzlich gütig gestimmt.
Ita Niehaus: Ostern ist für Christen der Höhepunkt des Kirchenjahres. Sie gedenken Jesu Christi, der am Kreuz von Golgota gestorben ist, und feiern am Ostersonntag seine Auferstehung.

Dass der Sohn Gottes gekreuzigt wurde, ist unter Christen unumstritten. Doch musste er tatsächlich als Lamm Gottes für die Sünden der Menschen am Kreuz sterben, weil wir Menschen uns selbst nicht mit Gott versöhnen können? Darüber wurde im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder diskutiert, auch in unserer Zeit stößt der Gedanke des sogenannten Sühneopfers bei zahlreichen Christen auf Widerspruch, vor zwei Jahren etwa entbrannte eine heftige Debatte vor allem unter protestantischen Theologen.

Und die Diskussion geht weiter. Vor Kurzem erschien das neue Buch des Schweizer katholischen Theologen Josef Imbach, in dem er die christliche Erlösungslehre auf den Prüfstand stellt. Josef Imbach, unter anderem Autor zahlreicher Bücher über aktuelle Lebens- und Glaubensfragen, war viele Jahre Professor für Fundamentaltheologie an der Päpstlichen theologischen Fakultät San Bonaventura in Rom. 2002 erhielt er von der Glaubenskongregation unter Joseph Ratzinger ein weltweites Lehrverbot. Später nahm Imbach einen Lehrstuhl an der Evangelischen Fakultät der Universität Basel an. Vor dieser Sendung sprach ich mit Josef Imbach. Ich fragte ihn zunächst, warum er für sein neues Buch so einen provozierenden Titel gewählt hat, nämlich: "Ist Gott käuflich?"

Josef Imbach: Ja, weil viele Menschen eben doch denken, Gläubige denken, dass Gott tatsächlich käuflich sei, dass man Gottes Zuwendung, Gottes Liebe, Gottes Erbarmen sich nur mit Opfer, mit Verzicht und so weiter erkaufen könne, ich benutze bewusst diesen Begriff, erkaufen könne oder erkaufen müsse. Ja, dass man sich im Endeffekt auch den Himmel verdienen müsse. Und das scheint mir doch ziemlich gewagt.

Niehaus: Die Vorstellung vom Sühneopfer ist fest in christlicher Tradition verwurzelt, auch für Katholiken zählt ja die Opferlehre zu den Kernthesen ihres Glaubens. Und für manche Theologen und für viele Christen ist es sogar Ketzerei, sich davon abzuwenden. Warum, glauben Sie, ist diese Vorstellung vom Sühneopfer so wichtig für die Kirche und viele Christen?

Imbach: Diese Vorstellung ist so wichtig, weil sie sich durchzusetzen vermochte. Aber es gibt noch eine ganze Reihe von anderen Vorstellungen, das heißt von Deutungsmodellen des Todes Jesu, und die sind dann im Laufe der Zeit, im Laufe der Kirchengeschichte etwas aus dem Blick geraten.

Und diese unterschiedlichen Deutungsmodelle, die sind ja schon im Neuen Testament enthalten, zum Beispiel wird da gesagt etwa, dass Jesus das Schicksal der erstbundlichen Propheten erlitten habe. Oder es wird gesagt, Gott hat ihn, Jesus, erwählt, ihr aber, die ihr ihn verworfen habt, habt ihn gekreuzigt. Oder es wird auch gesagt im Neuen Testament, dass Jesu Tod das Zeichen der Liebe Gottes sei, so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eigenen Sohn dahingab. Dahingab, das heißt, in diese Welt gesandt hat. Das steht im dritten Kapitel des Johannesevangeliums, und das bezieht sich nicht einfach auf den Kreuzestod Jesu.

Natürlich, als Jesus diesen Tod erlitten hat, da haben die Apostel einen Schock erlitten und sie sind ja geflohen nach Galiläa, und erst in einem zweiten Moment haben sie dann eben diesen Schock überwinden können, und der Schocküberwindung diente dann eben der Rückgriff aufs Erste Testament. Und da gibt es ja auch Sühneopfer und eines dieser Modelle, das wurde dann auf Jesus angewandt. Aber das ist wie gesagt eines unter anderen Modellen.

Niehaus: Argumentiert wird ja unter anderem mit dem letzten Abendmahl. In den Einsetzungsworten bezeichnet Jesus das Brot als seinen Leib und er sagt, das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das ich für euch und für alle vergossen habe, das vergossen wird zur Vergebung der Sünden.

Imbach: Wenn wir vom letzten Abendmahl sprechen, dann müssen wir vielleicht zuerst einmal bedenken, was Jesus damit sagt und zeigen will. Er fasst sein ganzes Leben zusammen, zeitlebens war er da für die anderen, hat sich in den Dienst seiner Landsleute, seiner Mitmenschen gestellt. In der theologischen Terminologie spricht man in diesem Zusammenhang von Proexistenz. Und das zeigt er nun im Abendmahl, indem er sagt, das ist mein Leib, das ist mein Blut, also mit anderen Worten, der Geber ist die Gabe, er gibt sich selbst noch einmal hin.

Niehaus: Das heißt, Ihrer Meinung nach ist die Erlösungslehre gar nicht so fest in der Bibel verankert?

Imbach: Die Erlösungslehre ist sehr fest in der Bibel verankert, aber man darf Erlösung nicht einfach auf den Tod Jesu reduzieren. Man hört ja gelegentlich heute noch so in Predigten, dass Jesus uns mit seinem kostbaren Blut erlöst hat. Das ist eine Engführung, die so einfach nicht zutrifft. Jesus hat uns erlöst durch seine Predigt, durch sein Handeln, durch seine Zuwendung zu den Menschen, durch seine konsequente Haltung, die ihn schließlich ans Kreuz gebracht hat. All das zusammen gehört zur Erlösung und natürlich gehört zu dieser Erlösung auch sein Tod, den er aber nicht gesucht hat – er betet ja selber im Ölgarten, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, so wendet er sich an Gott, und er hat das Leiden nicht gesucht –, sondern er "musste" – ich setze das in Anführungszeichen – er "musste" leiden, weil eben die damaligen Religionsbeamten befürchteten, mit seiner Predigt würde er das ganze bestehende System, die Rechtfertigungslehre, über den Haufen werfen, weil er sich ja den Menschen zuwandte, den Schuldigen zuwandte, ohne auf den damals vorher üblichen Sühneleistungen als Vorleistung für Versöhnung zu bestehen.

Niehaus: In Ihrem Buch greifen Sie zentrale Merkmale der Erlösungslehre auf, deuten sie neu. Lassen Sie uns noch mal ganz konkret werden, nehmen wir doch zum Beispiel das sogenannte Abrahamsopfer, die Geschichte von Abraham, der beinahe seinen Sohn Isaak opfert. Wie deuten Sie das neu?

Imbach: Es geht darum, die Zusammenhänge zu beachten. Natürlich, wer das so liest, denkt sofort, das ist eine unmögliche Geschichte, das ist ein horrender Gott, der einem Vater so etwas abverlangt. Wir versetzen uns damit gleichsam in die Rolle Isaaks und vielleicht auch seiner Mutter Sara. Gott wird so zum Sadisten. Aber die Sache ist eine ganz andere, wir müssen den Zeithintergrund sehen: Wenn wir bedenken, dass diese Geschichte entstand zu einer Zeit, als das Volk Israel von Feinden bedroht war, in seiner Existenz bedroht war, dann befindet es sich doch in der gleichen oder in einer ähnlichen Lage, wie seinerzeit Abraham.

Der hat die Verheißung erhalten und nun soll er seinen eigenen Sohn opfern. Er kann also nicht mehr Vater eines Volkes, eines ganzen Volkes werden, und trotzdem denkt er eben, was Gott sagt, das ist auszuführen, er wird einen Weg finden. Und diese Geschichte konnte natürlich in der Zeit, als Israel in seiner Existenz bedroht war, konnte diese Geschichte natürlich den Menschen wirklich Mut machen, trotz allem eben wirklich an Gottes Führung zu glauben, an Gottes Macht zu glauben und so den Weg weiterzugehen.

Niehaus: Deutungsmodelle, sagen Sie, sind zeitgemäß. Was kann das konkret heißen bei einer 2000 Jahre alten Religion?

Imbach: Bei einer 2000 Jahre alten Religion bedeutet das zuerst einmal, dass wir die Texte, die biblischen Texte vor dem Zeithintergrund ihrer Entstehung betrachten müssen und auslegen müssen. Keiner der biblischen Autoren – das müssen wir uns einmal vergegenwärtigen –, kein einziger der biblischen Autoren hat für uns Heutige geschrieben. Die hatten ein ganz bestimmtes Zielpublikum vor Augen und haben natürlich bei der Niederschrift ihrer Bücher eben auch die Fragen, die Probleme, die Schwierigkeiten dieser Zielleserschaft eben mit berücksichtigt und darauf auch konkrete Antworten gesucht.

Dann gilt es dann in einem zweiten Schritt, diese Texte zu aktualisieren, und dann können wir in diesen Texten eben finden, was sie für uns heute, in unserer heutigen Situation sagen. Aber das ist dann eigentlich, oder wäre die Aufgabe eben der kirchlichen Verkündigung.

Niehaus: Greifen wir doch diesen Gedanken mal auf: Welche Konsequenzen hat Ihre Deutung der christlichen Botschaft also zum Beispiel auf die katholische Gottesdienstfeier? Sollte das Opfer Jesu weniger im Mittelpunkt stehen?

Imbach: Nein, das Opfer Jesu darf durchaus ganz im Mittelpunkt stehen, aber wir müssen uns im Klaren sein, was der Begriff Opfer in diesem Zusammenhang bedeutet. Der Begriff ist allergrößten Missverständnissen ausgesetzt, in der Regel, in den Religionen, in den alten Religionen, da führt beim Opfer der Weg von unten nach oben. Der Mensch leistet Verzicht, um die Gottheit günstig zu stimmen, er bringt Opfer dar, um irgendetwas zu erhalten, der Mensch will also die Gottheit beeinflussen. Irgendwie geht er einen Handel ein mit dieser Gottheit.

Und im Christentum nun verhält es sich gerade umgekehrt: Wenn Gott seinen Sohn in diese Welt sendet, dann ist es nicht Jesus, der mit seinem Leiden einen erzürnten Gott zufriedenstellt, dann ist es Gott, der den Menschen entgegenkommt. Da führt im Unterschied zu den Religionen der Weg von oben nach unten. Und dieser Jesus zeigt den Menschen einen Weg, der zur Ganzheit führt, zum Frieden führt mit sich selber, mit der Mitwelt, den Mitmenschen, und auch zum Frieden mit Gott. Der Opfergedanke wird also hier geradezu auf den Kopf gestellt.

Wenn wir im Zusammenhang mit der Eucharistie und auch mit dem Kreuzestod Jesu von Opfer sprechen, dann müssen wir vielleicht am besten ein Modell herbeiziehen, um das verständlich zu machen. Und da denke ich jetzt an Eltern, die sich aufopfern für ihre Kinder. Sie sind für sie da, sie widmen ihnen ihre Zeit, sie sorgen sich ihre Kinder, und wie gesagt, das alles drücken wir aus mit dem Begriff, sie opfern sich auf. Und in diesem Sinn opfert sich Jesus auch für die Menschheit auf und dann hat der Opferbegriff eben einen Inhalt, der den neutestamentlichen Schriften auch gerecht wird. Und vor allem, der dem Gottesbild der Bibel gerecht wird.

Niehaus: Josef Imbach war das, sein Buch heißt "Ist Gott käuflich? Die Rede vom Opfertod Jesu auf dem Prüfstand". Es hat 270 Seiten, kostet 19,95 Euro und ist 2011 im Gütersloher Verlagshaus erschienen.