"Man darf sich nie aufgeben!"
Die einen kommen nach Duisburg-Hochfeld, Berlin-Neukölln oder ins Gallusviertel in Frankfurt am Main, weil sie hier die halbe Welt in einem Stadtteil finden - mit einem farbigen Straßenleben, mit exotischen Geschäften und Lokalen, mit vielen Menschen, die Offenheit und Dynamik ausstrahlen.
Die anderen haben Furcht, solche Viertel überhaupt zu betreten - weil sie von Verwahrlosung, von allgegenwärtiger Gewalt, von Abschottung und Hass gehört haben.
In vielen deutschen Städten breiten sich Armutszonen aus - in Altbaugebieten am Rand der City ebenso wie in Hochhausvierteln an der Peripherie.
In dieser Welt leben an der Grenze des Existenzminimums mehrere Millionen Menschen. Die "Lange Nacht" berichtet von unruhigen Stadtteilen in Berlin, Duisburg, Völklingen und Frankfurt am Main.
"Die Angst, die Existenzangst ist wesentlich größer geworden."
Die Sozialarbeiterin Tanja Tobias aus Duisburg-Hochfeld. In vielen Vierteln deutscher Städte bestimmt Armut inzwischen den Alltag, das Lebensgefühl.
"Ich erlebe, wenn Sperrmülltag im Stadtteil ist, dass kaum etwas übrig bleibt. Dinge, die in irgendeiner Weise brauchbar scheinen, werden mitgenommen."
In den benachteiligten Stadtteilen leben manchmal mehr als fünfzig Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze. In ganz Deutschland gelten, je nach Definition, zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig Prozent als arm oder armutsgefährdet - unter Migranten deutlich mehr.
Extreme Armut betrifft nur eine Minderheit. Auch viele Hartz-IV-Bezieher informieren sich, spielen oder lernen am Computer. Nicht wenige waren jahrzehntelang Durchschnittsverdiener und besitzen daher - noch - ein Auto. In den Armutszonen sind Lebensmittel und einfache Dienstleistungen oft billiger als anderswo. Dennoch beobachtet Tanja Tobias:
"Die materielle Belastung bedingt, Dinge nicht mehr tun zu können, die Freunde, die noch einen Job haben, machen können - zum Kegeln gehen, sich abends in der Eckkneipe treffen, mal ins Kino gehen. Die fallen weg, die sind nicht möglich."
Ob sie von Hartz IV oder von Arbeitseinkommen leben - für viele Arme haben nichtstaatliche soziale Netze große Bedeutung, vor allem Großfamilien. Migranten unterstützen oft auch entfernte Verwandte. Außerdem können Selbsthilfeprojekte den Alltag etwas leichter machen. So gibt es in vielen armen Stadtteilen einen organisierten Tausch von Dienstleistungen - etwa Kinderbetreuung gegen Fahrradreparatur. Die mittlerweile recht zahlreichen Einrichtungen von Wohlfahrtsorganisationen und religiösen Gemeinschaften - darunter die "Tafeln" - verbessern die Versorgung gerade mit Essen und Kleidung.
Hochfeld ist ein Stadtteil im Duisburger Stadtbezirk Mitte mit 16.265 Einwohnern
Duisburg-Hochfeld zwischen Strich und Verfall (Der Westen vom 05.09.11)
Die Armutszonen Berlins beginnen nicht weit vom Bundeskanzleramt und vom Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten. In der Rathenower, der Birken- oder der Lehrter Strasse im Stadtteil Moabit liegen ausrangierte Fernseher und Matratzen auf den Gehwegen. Gebeugte Deutsche und nervöse Libanesen verbergen sich in schlecht gelüfteten Eckkneipen und in Shisha Lounges, die schon im Moment der Eröffnung renovierungsbedürftig wirken. In den verwahrlosten Grünanlagen gehen Alkoholabhängige, ausgelassen spielende Familien und Gruppen von Halbwüchsigen mit harten Gesichtern einander aus dem Weg. Die Wagenkolonnen aus dem Regierungsviertel nehmen gewöhnlich andere Routen.
Armutszonen in Deutschland am Anfang des 21. Jahrhunderts. Seit zwei, drei Jahrzehnten breiten sich in westeuropäischen und auch in deutschen Städten oft kilometerweite Zonen "räumlich verdichteter Armut" aus.
"Seit 1999 bin ich in Hochfeld - und da geht es nur bergab. Weil die Leute gettomäßig in eine Siedlung gepresst sind. Die Jugendlichen, die haben keine Perspektiven, die machen nur schlechte Sachen."
Nevzat, arbeitsloser Bauarbeiter. Vielleicht fünf Millionen Menschen leben in Deutschland in dieser düsteren Welt - in Altbaugebieten am Rand der Innenstädte oder in Hochhausvierteln an der Peripherie. Besonders viel zu tun ist in Berlin, im Ruhrgebiet und im Saarland. Probleme gibt es aber auch in Ostdeutschland und sogar in den reichsten Regionen - etwa in Hamburg und Frankfurt am Main. Ein verfestigtes Milieu von "Marginalen", wie es in Westdeutschland existiert, ist aber in den östlichen Bundesländern erst im Entstehen. Anders als häufig angenommen, handelt es sich bei der Krise der armen Stadtteile nicht um ein "typisches Migrantenproblem" - ein großer Teil der Betroffenen ist deutscher Herkunft. Der Stadtsoziologe Thomas Franke vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin fasst zentrale Probleme zusammen:
"Das ist einmal der Bereich Städtebau und Umwelt - da haben wir es zum Teil zu tun mit Modernisierungs- und Instandsetzungsstaus, der Frage der Bausubstanz. Wir haben oft sogenannte Wohnumfeldmängel - dass der öffentliche Raum nicht gerade zum Verweilen einlädt, weil wir wenig Grünflächen haben, wir haben Probleme im Bereich der infrastrukturellen Ausstattung, beispielsweise ungenügende Freizeitmöglichkeiten. Wir haben es oftmals zu tun mit Langzeitarbeitslosigkeit, damit zusammenhängend der Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen wie Hartz IV - letztlich Einkommensarmut, die weit verbreitet ist. Außerdem Spannungen zwischen alteingesessener deutscher Bevölkerung und Migranten, Spannungen zwischen verschiedenen Migrantengruppen. Probleme wie Drogen- und Alkoholmissbrauch, Vandalismus, Drogenbeschaffungskriminalität. Wir haben ein fehlendes Zusammengehörigkeitsgefühl."
Neukölln ist der namensgebende Ortsteil des Bezirks Neukölln von Berlin. Der Ortsteil Neukölln ist der nördlichste und am dichtesten bebaute Teil des Bezirks Neukölln.
Die Berufsschullehrerin Elke Große-Vorholt lebt mit ihrer Familie seit dreißig Jahren im Gallusviertel in Frankfurt am Main.
In Deutschlands heruntergekommenen Stadtteilen sind Armut und soziale Desintegration nicht so extrem wie in den Armutszonen von Paris, Birmingham oder Rotterdam. Staatliche Programme wie "Soziale Stadt" versuchten, den Niedergang aufzuhalten. Aber die Risiken der Entwicklung sind kaum kalkulierbar. In den Großstädten Frankreichs, Großbritanniens oder der Niederlande kam es in den letzten zwanzig Jahren zu massiven Gewaltausbrüchen.
"Mach dich auf was gefasst, jetzt kommt Mitte Hochfeld ... Da sprechen die in verschiedenen Sprachen, Bulgarisch, Albanisch, Jugoslawisch, Türkisch ... Da kann er vielleicht erschrecken - aber vielleicht freut er sich auch."
Armut bedeutet nicht unvermeidlich soziale Desintegration. Familiäre Zerrüttung, Drogensucht oder Jugendgewalt findet man auch in den Wohngebieten der Besserverdienende. Dass bestimmte Probleme in einem Viertel gehäuft auftreten, heißt nicht, dass alle dort davon betroffen sind.
" Das Problem ist die nach wie vor vorhandene Stigmatisierung von Kindern und Jugendlichen, die hier aufwachsen - die konfrontiert werden mit der Meinung, dass das Gallus ein besonders kriminelles und asoziales Viertel wäre. Ein ganz großes Problem ist es, wenn die Ausbildungsplätze suchen."
Mitverantwortlich für Misstrauen und Ablehnung sind sicher die Boulevardmedien. In den armen Vierteln konzentriert ihre Aufmerksamkeit sich auf Themen wie Kriminalität, Hartz IV-Betrug, Integrationsdefizite von Migranten. Die Bücher von Thilo Sarrazin und Kirsten Heisig weisen auf schlimme Probleme hin. Sie verbreiten dennoch ein verzerrtes Bild - vor allem wird die Dimension von Abschottung und Gewalt übertrieben.
Das Gallus (bis 2007 offiziell Gallusviertel) ist ein Stadtteil von Frankfurt am Main. Mit 41 Prozent Ausländern hat das Gallus den höchsten Anteil aller Stadtteile.
Der Name Gallus kommt von Galgenfeld, weil hier der Frankfurter Galgen stand. Der ist weg, aber das Wahrzeichen des Stadtteils, die "Galluswarte" steht noch.
"Die Armut hat sicher zugenommen, die Bildungsprobleme haben zugenommen, die Integrationsprobleme haben zugenommen."
Der Soziologe Reinhard Aehnelt.
Werkhäuser: "An der Ursache ändert sich letztlich nichts. Es ist immer eigentlich zu spät."
Klaus Lorig: "Wenn da nichts passiert, bin ich ganz klar der Meinung, das hat sozialen Sprengstoff. Mehrere Millionen Menschen leben in Deutschlands Armutszonen fern von Wohlstand, bezahlter Arbeit und zukunftsfähiger Bildung. Die bisherige Gegenstrategie - darunter das Programm "Soziale Stadt" - hat zweifellos viel Nützliches geleistet, war aber dem Ausmaß der Probleme nicht angemessen. An den Grundproblemen Arbeitslosigkeit und Armut haben diese Programme kaum etwas geändert. Könnte ein Viertel wie Duisburg-Hochfeld doch zum Slum werden?"
Der Erzieher Tomek:
"Mit jedem Tag, an dem ich hier aufwache, denke ich, das ist überhaupt nicht übertrieben. Es gibt Tage, wo hier auf einmal die Hölle los ist. Tagsüber ist es, als wäre alles in Ordnung, die Leute gehen einkaufen, alle lachen, aber sobald es dunkel wird, ist kaum jemand auf der Straße. Man merkt richtig, dass etwas in der Luft liegt, dass es hier brodelt."
Arne Knudt, der SPD-Kommunalpolitiker aus dem Frankfurter Gallusviertel, rechnet nicht mit Gewaltausbrüchen:
"Nein, das halte ich nicht für möglich. Es ist eine Proteststimmung vorhanden. Aber dass sie sich in dieser Weise äußert - das kann ich hier nicht sehen."
Der Duisburger Stadtteilmanager Georg Fobbe:
"Das, was man in Hochfeld jetzt sieht, wird man in vielen Stadtteilen anderer Städte in Deutschland auch noch sehen. Von daher wird sich die Differenz zu anderen Stadtteilen verringern - nicht, weil es in Hochfeld besser wird, sondern weil es in vielen anderen Stadtteilen ähnlich wird."
In den deutschen Armutszonen gibt es eine schlimme Konzentration von sozialen Problemen. Hier wachsen unzählige Kinder und Jugendliche in einer Stimmung der Ausweglosigkeit auf. Noch wirkt diese vergessene Welt seltsam ruhig. Aber die Risiken der Entwicklung sind kaum kalkulierbar.
MUSIKLISTE
1. Stunde
Titel: Gitme
Interpret: Saite an Seite
Komponist: Ismail Türker
Label: Wonderland Records
Best.-Nr: WR 9056
Titel: Mekik
Interpret: Ulas Hazar
Komponist: Zeki Atagür
Label: Acoustic Music Records
Best.-Nr: 319.1409.2
Titel: Anatolia
Interpret: Ulas Hazar
Komponist: Ulas Hazar
Label: Acoustic Music Records
Best.-Nr: 319.1409.2
Titel: Bettina Welikaja
Interpret: Dr.Bajan
Komponist: Dr. Bajan
Label: Alba Kultur
Best.-Nr: ohne
Titel: Home pt.3
Interpret: David Leahy
Komponist: David Leahy
Label: dafmusic
Best.-Nr: 0601
Titel: Ouidad
Interpret: Ahoar
Komponist: Ahoar
Label: HEAVEN AND EARTH
Best.-Nr: HE 23
Titel: Histoire calme
Interpret: Francois Bayle
Komponist: Francois Bayle
Label: Wergo
Best.-Nr: WER 30252
Titel: Andaluz
Interpret: Ulas Hazar
Komponist: Ulas Hazar
Label: Acoustic Music Records
Best.-Nr: 319.1409.2
Titel: Cranes
Interpret: Ersatzmusika
Komponist: Irina Doubrovskaja
Label: Asphalt Tango Records
Best.-Nr: ATR 1407
Titel: Something said
Interpret: David Leahy
Komponist: David Leahy
Label: dafmusic
Best.-Nr: 0601
2. Stunde
Titel: Bat
Interpret: Ahoar
Komponist: Ahoar
Label: HEAVEN AND EARTH
Best.-Nr: HE 23
Titel: Raques
Interpret: Ahoar
Komponist: Ahoar
Label: HEAVEN AND EARTH
Best.-Nr: HE 23
Titel: The Gold Prospector
Interpret: Ersatzmusika
Komponist: Irina Doubrovskaja
Label: Asphalt Tango Records
Best.-Nr: ATR 1407
Titel: Beside myself to you I came
Interpret: Ersatzmusika
Komponist: Irina Doubrovskaja
Label: Asphalt Tango Records
Best.-Nr: ATR 1407
Titel: Hey onbesli
Interpret: Erkan Ogur
Komponist: trad. Anatolien
Label: Feuer und Eis
Best.-Nr: FUEC 714
Titel: Bani Adam
Interpret: El Houssaine Kili
Komponist: El Houssaine Kili
Label: TROPICAL MUSIC
Best.-Nr: 68.803
Titel: Prinzessin
Interpret: Dr.Bajan
Komponist: Dr. Bajan
Label: Alba Kultur
Best.-Nr: ohne
Titel: Umut
Interpret: Arif Sag
Komponist: Arif Sag
Label: ASM Müzik
Best.-Nr: ohne
Titel: Iki keklik
Interpret: Erkan Ogur
Komponist: trad. Anatolien
Label: Feuer und Eis
Best.-Nr: FUEC 714
Titel: Pique-nique à Nagpur
Interpret: Anouar Brahem
Komponist: Anouar Brahem
Label: ECM-Records
Best.-Nr: ECM 1792
Titel: Ysaye
Interpret: Albrecht Maurer
Komponist: Albrecht Maurer
Label: Kip RECORDS
Best.-Nr: kip 10
Titel: Search Silence
Interpret: Trygve Seim
Komponist: Trygve Seim
Label: ECM-Records
Best.-Nr: ECM 1744
Titel: Mor daglar
Interpret: Erkan Ogur
Komponist: Erkan Ogur
Label: Feuer und Eis
Best.-Nr: FUEC 714
3. Stunde
Titel: Baba Yaga's dream
Interpret: Zulya Kamalova
Komponist: Zulya Kamalova
Label: WESTPARK MUSIC
Best.-Nr: 87194
Titel: Ch'i
Interpret: Albrecht Maurer
Komponist: Albrecht Maurer
Label: Kip RECORDS
Best.-Nr: kip 10
Titel: Ya leyli
Interpret: Fata Morgana
Komponist: Oruc Gürbüz
Label: Raumer Records
Best.-Nr: RR13399
Titel: Sorrows
Interpret: Trygve Seim
Komponist: Trygve Seim
Label: ECM-Records
Best.-Nr: ECM 1744
Titel: Volver daglar
Interpret: Arif Sag
Komponist: Arif Sag
Label: ASM Müzik
Best.-Nr: ohne
Titel: Laz Havasi
Interpret: Saite an Seite
Komponist: Ismail Türker
Label: Wonderland Records
Best.-Nr: WR 9056
Titel: Something Wonderful
Interpret: The Shin
Komponist: The Shin
Label: JARO RECORDS
Best.-Nr: 4279-2
Titel: Eh Kalina
Interpret: Ersatzmusika
Komponist: Irina Doubrovskaja
Label: Asphalt Tango Records
Best.-Nr: ATR 1407
Titel: Hey onbesli
Interpret: Erkan Ogur
Komponist: trad. Anatolien
Label: Feuer und Eis
Best.-Nr: FUEC 714
Titel: To the hidden coast
Interpret: The Shin
Komponist: The Shin
Label: JARO RECORDS
Best.-Nr: 4279-2
In vielen deutschen Städten breiten sich Armutszonen aus - in Altbaugebieten am Rand der City ebenso wie in Hochhausvierteln an der Peripherie.
In dieser Welt leben an der Grenze des Existenzminimums mehrere Millionen Menschen. Die "Lange Nacht" berichtet von unruhigen Stadtteilen in Berlin, Duisburg, Völklingen und Frankfurt am Main.
"Die Angst, die Existenzangst ist wesentlich größer geworden."
Die Sozialarbeiterin Tanja Tobias aus Duisburg-Hochfeld. In vielen Vierteln deutscher Städte bestimmt Armut inzwischen den Alltag, das Lebensgefühl.
"Ich erlebe, wenn Sperrmülltag im Stadtteil ist, dass kaum etwas übrig bleibt. Dinge, die in irgendeiner Weise brauchbar scheinen, werden mitgenommen."
In den benachteiligten Stadtteilen leben manchmal mehr als fünfzig Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze. In ganz Deutschland gelten, je nach Definition, zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig Prozent als arm oder armutsgefährdet - unter Migranten deutlich mehr.
Extreme Armut betrifft nur eine Minderheit. Auch viele Hartz-IV-Bezieher informieren sich, spielen oder lernen am Computer. Nicht wenige waren jahrzehntelang Durchschnittsverdiener und besitzen daher - noch - ein Auto. In den Armutszonen sind Lebensmittel und einfache Dienstleistungen oft billiger als anderswo. Dennoch beobachtet Tanja Tobias:
"Die materielle Belastung bedingt, Dinge nicht mehr tun zu können, die Freunde, die noch einen Job haben, machen können - zum Kegeln gehen, sich abends in der Eckkneipe treffen, mal ins Kino gehen. Die fallen weg, die sind nicht möglich."
Ob sie von Hartz IV oder von Arbeitseinkommen leben - für viele Arme haben nichtstaatliche soziale Netze große Bedeutung, vor allem Großfamilien. Migranten unterstützen oft auch entfernte Verwandte. Außerdem können Selbsthilfeprojekte den Alltag etwas leichter machen. So gibt es in vielen armen Stadtteilen einen organisierten Tausch von Dienstleistungen - etwa Kinderbetreuung gegen Fahrradreparatur. Die mittlerweile recht zahlreichen Einrichtungen von Wohlfahrtsorganisationen und religiösen Gemeinschaften - darunter die "Tafeln" - verbessern die Versorgung gerade mit Essen und Kleidung.
Hochfeld ist ein Stadtteil im Duisburger Stadtbezirk Mitte mit 16.265 Einwohnern
Duisburg-Hochfeld zwischen Strich und Verfall (Der Westen vom 05.09.11)
Die Armutszonen Berlins beginnen nicht weit vom Bundeskanzleramt und vom Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten. In der Rathenower, der Birken- oder der Lehrter Strasse im Stadtteil Moabit liegen ausrangierte Fernseher und Matratzen auf den Gehwegen. Gebeugte Deutsche und nervöse Libanesen verbergen sich in schlecht gelüfteten Eckkneipen und in Shisha Lounges, die schon im Moment der Eröffnung renovierungsbedürftig wirken. In den verwahrlosten Grünanlagen gehen Alkoholabhängige, ausgelassen spielende Familien und Gruppen von Halbwüchsigen mit harten Gesichtern einander aus dem Weg. Die Wagenkolonnen aus dem Regierungsviertel nehmen gewöhnlich andere Routen.
Armutszonen in Deutschland am Anfang des 21. Jahrhunderts. Seit zwei, drei Jahrzehnten breiten sich in westeuropäischen und auch in deutschen Städten oft kilometerweite Zonen "räumlich verdichteter Armut" aus.
"Seit 1999 bin ich in Hochfeld - und da geht es nur bergab. Weil die Leute gettomäßig in eine Siedlung gepresst sind. Die Jugendlichen, die haben keine Perspektiven, die machen nur schlechte Sachen."
Nevzat, arbeitsloser Bauarbeiter. Vielleicht fünf Millionen Menschen leben in Deutschland in dieser düsteren Welt - in Altbaugebieten am Rand der Innenstädte oder in Hochhausvierteln an der Peripherie. Besonders viel zu tun ist in Berlin, im Ruhrgebiet und im Saarland. Probleme gibt es aber auch in Ostdeutschland und sogar in den reichsten Regionen - etwa in Hamburg und Frankfurt am Main. Ein verfestigtes Milieu von "Marginalen", wie es in Westdeutschland existiert, ist aber in den östlichen Bundesländern erst im Entstehen. Anders als häufig angenommen, handelt es sich bei der Krise der armen Stadtteile nicht um ein "typisches Migrantenproblem" - ein großer Teil der Betroffenen ist deutscher Herkunft. Der Stadtsoziologe Thomas Franke vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin fasst zentrale Probleme zusammen:
"Das ist einmal der Bereich Städtebau und Umwelt - da haben wir es zum Teil zu tun mit Modernisierungs- und Instandsetzungsstaus, der Frage der Bausubstanz. Wir haben oft sogenannte Wohnumfeldmängel - dass der öffentliche Raum nicht gerade zum Verweilen einlädt, weil wir wenig Grünflächen haben, wir haben Probleme im Bereich der infrastrukturellen Ausstattung, beispielsweise ungenügende Freizeitmöglichkeiten. Wir haben es oftmals zu tun mit Langzeitarbeitslosigkeit, damit zusammenhängend der Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen wie Hartz IV - letztlich Einkommensarmut, die weit verbreitet ist. Außerdem Spannungen zwischen alteingesessener deutscher Bevölkerung und Migranten, Spannungen zwischen verschiedenen Migrantengruppen. Probleme wie Drogen- und Alkoholmissbrauch, Vandalismus, Drogenbeschaffungskriminalität. Wir haben ein fehlendes Zusammengehörigkeitsgefühl."
Neukölln ist der namensgebende Ortsteil des Bezirks Neukölln von Berlin. Der Ortsteil Neukölln ist der nördlichste und am dichtesten bebaute Teil des Bezirks Neukölln.
Die Berufsschullehrerin Elke Große-Vorholt lebt mit ihrer Familie seit dreißig Jahren im Gallusviertel in Frankfurt am Main.
In Deutschlands heruntergekommenen Stadtteilen sind Armut und soziale Desintegration nicht so extrem wie in den Armutszonen von Paris, Birmingham oder Rotterdam. Staatliche Programme wie "Soziale Stadt" versuchten, den Niedergang aufzuhalten. Aber die Risiken der Entwicklung sind kaum kalkulierbar. In den Großstädten Frankreichs, Großbritanniens oder der Niederlande kam es in den letzten zwanzig Jahren zu massiven Gewaltausbrüchen.
"Mach dich auf was gefasst, jetzt kommt Mitte Hochfeld ... Da sprechen die in verschiedenen Sprachen, Bulgarisch, Albanisch, Jugoslawisch, Türkisch ... Da kann er vielleicht erschrecken - aber vielleicht freut er sich auch."
Armut bedeutet nicht unvermeidlich soziale Desintegration. Familiäre Zerrüttung, Drogensucht oder Jugendgewalt findet man auch in den Wohngebieten der Besserverdienende. Dass bestimmte Probleme in einem Viertel gehäuft auftreten, heißt nicht, dass alle dort davon betroffen sind.
" Das Problem ist die nach wie vor vorhandene Stigmatisierung von Kindern und Jugendlichen, die hier aufwachsen - die konfrontiert werden mit der Meinung, dass das Gallus ein besonders kriminelles und asoziales Viertel wäre. Ein ganz großes Problem ist es, wenn die Ausbildungsplätze suchen."
Mitverantwortlich für Misstrauen und Ablehnung sind sicher die Boulevardmedien. In den armen Vierteln konzentriert ihre Aufmerksamkeit sich auf Themen wie Kriminalität, Hartz IV-Betrug, Integrationsdefizite von Migranten. Die Bücher von Thilo Sarrazin und Kirsten Heisig weisen auf schlimme Probleme hin. Sie verbreiten dennoch ein verzerrtes Bild - vor allem wird die Dimension von Abschottung und Gewalt übertrieben.
Das Gallus (bis 2007 offiziell Gallusviertel) ist ein Stadtteil von Frankfurt am Main. Mit 41 Prozent Ausländern hat das Gallus den höchsten Anteil aller Stadtteile.
Der Name Gallus kommt von Galgenfeld, weil hier der Frankfurter Galgen stand. Der ist weg, aber das Wahrzeichen des Stadtteils, die "Galluswarte" steht noch.
"Die Armut hat sicher zugenommen, die Bildungsprobleme haben zugenommen, die Integrationsprobleme haben zugenommen."
Der Soziologe Reinhard Aehnelt.
Werkhäuser: "An der Ursache ändert sich letztlich nichts. Es ist immer eigentlich zu spät."
Klaus Lorig: "Wenn da nichts passiert, bin ich ganz klar der Meinung, das hat sozialen Sprengstoff. Mehrere Millionen Menschen leben in Deutschlands Armutszonen fern von Wohlstand, bezahlter Arbeit und zukunftsfähiger Bildung. Die bisherige Gegenstrategie - darunter das Programm "Soziale Stadt" - hat zweifellos viel Nützliches geleistet, war aber dem Ausmaß der Probleme nicht angemessen. An den Grundproblemen Arbeitslosigkeit und Armut haben diese Programme kaum etwas geändert. Könnte ein Viertel wie Duisburg-Hochfeld doch zum Slum werden?"
Der Erzieher Tomek:
"Mit jedem Tag, an dem ich hier aufwache, denke ich, das ist überhaupt nicht übertrieben. Es gibt Tage, wo hier auf einmal die Hölle los ist. Tagsüber ist es, als wäre alles in Ordnung, die Leute gehen einkaufen, alle lachen, aber sobald es dunkel wird, ist kaum jemand auf der Straße. Man merkt richtig, dass etwas in der Luft liegt, dass es hier brodelt."
Arne Knudt, der SPD-Kommunalpolitiker aus dem Frankfurter Gallusviertel, rechnet nicht mit Gewaltausbrüchen:
"Nein, das halte ich nicht für möglich. Es ist eine Proteststimmung vorhanden. Aber dass sie sich in dieser Weise äußert - das kann ich hier nicht sehen."
Der Duisburger Stadtteilmanager Georg Fobbe:
"Das, was man in Hochfeld jetzt sieht, wird man in vielen Stadtteilen anderer Städte in Deutschland auch noch sehen. Von daher wird sich die Differenz zu anderen Stadtteilen verringern - nicht, weil es in Hochfeld besser wird, sondern weil es in vielen anderen Stadtteilen ähnlich wird."
In den deutschen Armutszonen gibt es eine schlimme Konzentration von sozialen Problemen. Hier wachsen unzählige Kinder und Jugendliche in einer Stimmung der Ausweglosigkeit auf. Noch wirkt diese vergessene Welt seltsam ruhig. Aber die Risiken der Entwicklung sind kaum kalkulierbar.
MUSIKLISTE
1. Stunde
Titel: Gitme
Interpret: Saite an Seite
Komponist: Ismail Türker
Label: Wonderland Records
Best.-Nr: WR 9056
Titel: Mekik
Interpret: Ulas Hazar
Komponist: Zeki Atagür
Label: Acoustic Music Records
Best.-Nr: 319.1409.2
Titel: Anatolia
Interpret: Ulas Hazar
Komponist: Ulas Hazar
Label: Acoustic Music Records
Best.-Nr: 319.1409.2
Titel: Bettina Welikaja
Interpret: Dr.Bajan
Komponist: Dr. Bajan
Label: Alba Kultur
Best.-Nr: ohne
Titel: Home pt.3
Interpret: David Leahy
Komponist: David Leahy
Label: dafmusic
Best.-Nr: 0601
Titel: Ouidad
Interpret: Ahoar
Komponist: Ahoar
Label: HEAVEN AND EARTH
Best.-Nr: HE 23
Titel: Histoire calme
Interpret: Francois Bayle
Komponist: Francois Bayle
Label: Wergo
Best.-Nr: WER 30252
Titel: Andaluz
Interpret: Ulas Hazar
Komponist: Ulas Hazar
Label: Acoustic Music Records
Best.-Nr: 319.1409.2
Titel: Cranes
Interpret: Ersatzmusika
Komponist: Irina Doubrovskaja
Label: Asphalt Tango Records
Best.-Nr: ATR 1407
Titel: Something said
Interpret: David Leahy
Komponist: David Leahy
Label: dafmusic
Best.-Nr: 0601
2. Stunde
Titel: Bat
Interpret: Ahoar
Komponist: Ahoar
Label: HEAVEN AND EARTH
Best.-Nr: HE 23
Titel: Raques
Interpret: Ahoar
Komponist: Ahoar
Label: HEAVEN AND EARTH
Best.-Nr: HE 23
Titel: The Gold Prospector
Interpret: Ersatzmusika
Komponist: Irina Doubrovskaja
Label: Asphalt Tango Records
Best.-Nr: ATR 1407
Titel: Beside myself to you I came
Interpret: Ersatzmusika
Komponist: Irina Doubrovskaja
Label: Asphalt Tango Records
Best.-Nr: ATR 1407
Titel: Hey onbesli
Interpret: Erkan Ogur
Komponist: trad. Anatolien
Label: Feuer und Eis
Best.-Nr: FUEC 714
Titel: Bani Adam
Interpret: El Houssaine Kili
Komponist: El Houssaine Kili
Label: TROPICAL MUSIC
Best.-Nr: 68.803
Titel: Prinzessin
Interpret: Dr.Bajan
Komponist: Dr. Bajan
Label: Alba Kultur
Best.-Nr: ohne
Titel: Umut
Interpret: Arif Sag
Komponist: Arif Sag
Label: ASM Müzik
Best.-Nr: ohne
Titel: Iki keklik
Interpret: Erkan Ogur
Komponist: trad. Anatolien
Label: Feuer und Eis
Best.-Nr: FUEC 714
Titel: Pique-nique à Nagpur
Interpret: Anouar Brahem
Komponist: Anouar Brahem
Label: ECM-Records
Best.-Nr: ECM 1792
Titel: Ysaye
Interpret: Albrecht Maurer
Komponist: Albrecht Maurer
Label: Kip RECORDS
Best.-Nr: kip 10
Titel: Search Silence
Interpret: Trygve Seim
Komponist: Trygve Seim
Label: ECM-Records
Best.-Nr: ECM 1744
Titel: Mor daglar
Interpret: Erkan Ogur
Komponist: Erkan Ogur
Label: Feuer und Eis
Best.-Nr: FUEC 714
3. Stunde
Titel: Baba Yaga's dream
Interpret: Zulya Kamalova
Komponist: Zulya Kamalova
Label: WESTPARK MUSIC
Best.-Nr: 87194
Titel: Ch'i
Interpret: Albrecht Maurer
Komponist: Albrecht Maurer
Label: Kip RECORDS
Best.-Nr: kip 10
Titel: Ya leyli
Interpret: Fata Morgana
Komponist: Oruc Gürbüz
Label: Raumer Records
Best.-Nr: RR13399
Titel: Sorrows
Interpret: Trygve Seim
Komponist: Trygve Seim
Label: ECM-Records
Best.-Nr: ECM 1744
Titel: Volver daglar
Interpret: Arif Sag
Komponist: Arif Sag
Label: ASM Müzik
Best.-Nr: ohne
Titel: Laz Havasi
Interpret: Saite an Seite
Komponist: Ismail Türker
Label: Wonderland Records
Best.-Nr: WR 9056
Titel: Something Wonderful
Interpret: The Shin
Komponist: The Shin
Label: JARO RECORDS
Best.-Nr: 4279-2
Titel: Eh Kalina
Interpret: Ersatzmusika
Komponist: Irina Doubrovskaja
Label: Asphalt Tango Records
Best.-Nr: ATR 1407
Titel: Hey onbesli
Interpret: Erkan Ogur
Komponist: trad. Anatolien
Label: Feuer und Eis
Best.-Nr: FUEC 714
Titel: To the hidden coast
Interpret: The Shin
Komponist: The Shin
Label: JARO RECORDS
Best.-Nr: 4279-2