"Man erzieht kein Kind"

Von Anna Mayrhauser |
Diese Woche kommt der Film "Meine keine Familie" des österreichischen Künstlers Paul-Julien Robert in die Kinos - über seine Kindheit in der Muehl-Kommune. Ihr Gründer wurde 1991 wegen Kindesmissbrauchs verurteilt. Trotzdem soll der Film keine Abrechnung sein, sagt der Regisseur.
Babys krabbeln über den Boden, nackte Mütter lachen und streicheln die Kinder. Die Filmaufnahmen aus den 70er-Jahren schimmern sanft gelblich. Eines dieser Kinder ist Paul-Julien Robert. Die Szene stammt aus seinem ersten Film "Meine keine Familie". Robert stellt sich mit diesem autobiografischen Dokumentarfilm seiner Kindheit in der Muehl-Kommune, in die er 1979 hineingeboren wurde. Unzählige Stunden bis dahin ungenutztes Videomaterial aus dem Archiv der Kommune hat er dafür durchforstet. Ein Jahr Recherche. Mindestens.

"Ein Leben lang eigentlich. Ich musste ja nichts recherchieren, ich hab ja das alles erlebt. Ich war eher überrascht, wie nah das gesehene Material an dem war, was ich noch in Erinnerung hatte."

Das Material zeigt Kinder, die in der Mitte eines Kreises tanzen müssen, nach den Anleitungen von Otto Muehl, angefeuert von bis zu 200 Erwachsenen. Selbstdarstellung nach den Regeln der Aktionsanalyse, eine Therapieform, mit der Otto Muehl auch Kinder zu besseren Menschen machen wollte – freier, kreativer, bewusster.

Jetzt sitzt Paul-Julien Robert in einem Kaffeehaus am Wiener Gürtel. Still ist es, unzeitgemäß verraucht. Ganz in der Nähe im 15. Wiener Gemeindebezirk lebt und arbeitet der Regisseur und bildende Künstler heute. Aufgewachsen ist er 60 Kilometer südöstlich von Wien, am Friedrichshof in der Parndorfer Heide, dem Hauptsitz der Kommune.

Der große, blonde Mann tritt in seinem Film raumnehmend und direkt auf, wenn er seiner Mutter Fragen zu ihrer Vergangenheit in der Kommune stellt.

Mutter: "Ihr habt irre viel Projekte gemacht und... aber gut, du empfindest das anders. Du hast das Gefühl, du hast nichts gelernt."

Paul-Julien: "Ich hab das Gefühl, mit dem Potenzial das da war, hätte ich viel mehr lernen können, wenn die Leute nicht so verblödet gewesen wären."

Mutter: "Ja. Und wenn du nicht so einsam..."

Paul-Julien: "Es gab ja auch keine Ziele! Was war das Ziel in der Kommune? Was war die Idee? Wie sollte man werden? Wir sollten alle nur perfekte Mitläufer werden, in Wirklichkeit."

Mutter: "Ja, das kann sein."

Aufgewachsen in der Kindergruppe
Als Robert vier Jahre alt ist, verlässt seine Mutter den Friedrichshof, um in einer Dependance der Kommune in der Schweiz zu arbeiten und Geld für die Gemeinschaft zu verdienen. Der kleine Junge sieht seine Mutter nur noch alle paar Monate für ein Wochenende und wächst in einer Kindergruppe auf. Sein Alltag ist geprägt von Otto Muehls autoritärer Idee der Selbstverwirklichung: Überwindung der Kleinfamilie, freie Sexualität, Gemeinschaftseigentum.

Als die sinnvollste Beschäftigung für Kinder gilt Malen:

"Ich hatte schon nach der Kommune nie wieder die Absicht einen Stift in die Hand zu nehmen. Ich war auch in der Kommune... Ich galt da nicht als begabter Künstler oder Maler und Zeichner."

Seinen Weg in die Kunst hat Paul-Julien Robert trotzdem gefunden. Zwölf Jahre alt ist er, als sich die Kommune auflöst und er mit seiner Mutter endgültig in die Schweiz zieht. Das erste Mal leben sie zu zweit alleine in einer Wohnung. Zu dieser Zeit erfährt er auch, welcher der Ex-Kommunarden sein leiblicher Vater ist. Eine langsame Annäherung beginnt.

Sein Vater, ein begeisterter Fotograf gibt ihm eine Spiegelreflexkamera, eine Zeichenlehrerin ermutigt den Teenager zum Malen. Schließlich studiert er in Wien Konzeptkunst:

"Das war dann auch eine Zeit, wo ich dann das erste Mal zu anderen Menschen, mit denen ich nicht aufgewachsen bin, irgendwo eine Nähe gekriegt hab. Und das hat mir sicher sehr geholfen dann auch."

Paul-Julien Robert ist heute 34 Jahre alt. Er gehört zur zweiten Generation der Kommune, junge Menschen, nun zwischen 25 und 40 Jahren alt, Kommunengeschwister:

"Wir sind damit nie an die Öffentlichkeit gegangen. Aber untereinander haben wir sehr viel darüber gesprochen. Teilweise auch in einer sehr ironischen Weise."

Von der Kommune zur Kleinfamilie
Nicht so mit seiner Mutter Florence – die Gespräche, die sie für "Meine keine Familie" führten, waren ihre ersten gemeinsamen Ausflüge in die Vergangenheit. Ungewöhnlich offen reagierte sie auf die Fragen ihres Sohnes. Zu akzeptieren, dass man zum Mitläufer erzogen wurde, dass man an etwas geglaubt hat, das vielen Kindern geschadet hat – ein schmerzhafter Prozess. Doch beide stellen sich sehr genau dem, was sie geprägt hat – bis heute:

"Die Sicherheit zu finden, das war etwas, das mir in der Kommune sicher genommen wurde. Das war dann ganz wichtig. Zu sehen, okay, ich bin so, ich wusste zwar eh immer, dass ich so bin, aber ich darf auch so sein. Und es gibt niemanden, der mir vorschreibt, wie ich zu sein habe und was meine Meinung ist."

Heute lebt Paul-Julien Robert in einer Kleinfamilie. Vor kurzem ist er mit seiner Freundin zusammen gezogen, in einigen Monaten erwarten sie ihr erstes Kind. Er, der erfahren hat, wie man Kinder manipulieren kann, sagt heute:

"Ich glaube, man erzieht kein Kind. Klar, man übermittelt ganz viel und man zeigt ganz viel, als Vorbildfunktion und natürlich muss man auch Grenzen setzen, aber ich glaube nicht, dass man Kinder erziehen kann."

Der Film, eine Therapie? Nötig, bevor er selbst eine Familie gründen konnte? Paul-Julien Robert psychologisiert nicht. Und er will in der Öffentlichkeit nicht als Opfer wahrgenommen werden. An den Friedrichshof, der heute unter anderem Privatwohnungen und das Archiv und Museum der Kommune beherbergt, fährt Paul-Julien Robert noch manchmal. Bitterer hätte der Film ausfallen können, aber der Filmemacher will keine Abrechnung:

"Ich wollte auch nicht mit dem Finger auf Leute zeigen, Leute so sprachlos machen, in dem ich sie anbrülle. Das hätte mir auch nichts gegeben. Ich bin introvertiert. Ich kann nicht schreien und losbrüllen."

Service:
Am 24. Oktober kommt Paul-Julien Roberts Film "Meine keine Familie" in die Kinos.
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