"Man hätte mehr Vorbehalte einbauen können"
Für Ekkehard Wenger geht das Karlsruher ESM-Urteil nicht weit genug: Man müsse auch Haftungsbeschränkungen für andere Risikopositionen Deutschlands einführen, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler. Außerdem verringere sich jetzt der Reformdruck auf die Staaten, die sich nun beim ESM bedienen können.
Nana Brink: Seit gestern hören wir landauf und landab die erleichterten Seufzer, zumindest bei großen Teilen der politischen Klasse: Gott sei Dank, das Bundesverfassungsgericht hat den Rettungsschirm und den Fiskalpakt abgesegnet! Nicht auszudenken, was die Welt von Deutschland gedacht hätte, wäre das nicht passiert!
Aber in die Erleichterung mischt sich natürlich auch Kritik, enttäuscht sind besonders die, die das Verfassungsgericht angerufen haben wie zum Beispiel der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, weil sie das Budgetrecht des Bundestages in Gefahr sahen und ja auch gefürchtet haben, Deutschland könnte unbegrenzt für notleidende Euro-Staaten haften. Zu den Kritikern gehört auch Professor Ekkehard Wenger von der Universität Würzburg. Er hat dort den Lehrstuhl für Bank- und Kreditwirtschaft inne und er ist jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Wenger!
Ekkehard Wenger: Guten Morgen!
Brink: Das Verfassungsgericht hat zwei Einschränkungen in seinem Urteil verkündet, die Haftung ist auf 190 Milliarden begrenzt und darüber hinausgehende Zahlen sind nur mit Zustimmung des Bundestags möglich. Reicht Ihnen das?
Wenger: Es ist so, dass dieses Urteil am unteren Ende meiner Erwartungen liegt. Man hätte mehr Vorbehalte einbauen können und meines Erachtens auch müssen. Auf der anderen Seite war nicht zu erwarten, dass das Verfassungsgericht von seiner bisherigen Linie abrückt, dass es praktisch alles, was in Sachen Euro und Europa vermasselt wird, schließlich am Ende doch noch durchwinkt.
Brink: Aber die Kläger haben sich doch in einem zentralen Punkt durchgesetzt: Die Haushaltsautonomie des Bundestages darf nicht verletzt werden.
Wenger: Ja, man muss natürlich sehen, dass diese Begrenzung nur eine Begrenzung für den ESM darstellt. Und wir haben keine Begrenzung für die Haftungssumme Deutschlands aus anderen Risikopositionen. Da gibt es zum einen natürlich die aufgekündigten Aufkäufe der Europäischen Zentralbank für Staatsanleihen der Afrika-Anrainer und zum anderen haben wir das Problem, dass die Deutsche Bundesbank [unverständlich] im Moment den Südländern einen unbegrenzten, zinslosen Überziehungskredit einräumen musste aufgrund von Konstruktionsfehlern des ESM, der liegt im Moment etwa bei 700 Milliarden Euro, also dem mehr als Doppelten dessen, worum es in der Karlsruher Angelegenheit jetzt gestern ging.
Brink: Ja, lassen Sie uns das ein bisschen aufdröseln, weil, Sie sprechen jetzt gerade von der gemeinsamen Bankenaufsicht, die EU-Kommissionspräsident Barroso gestern ja auch angekündigt hat. Die ist eine Art Vorbedingung, auf dass der ESM überhaupt in Kraft treten kann. Bleiben wir noch ein bisschen bei dieser Entscheidung: Was hätten Sie denn erwartet, was das Verfassungsgericht entscheidet, was wäre notwendig gewesen Ihrer Meinung nach?
Wenger: Also, was ich erwartet habe und was notwendig ist, sind natürlich zwei Paar Stiefel. Das so etwas rauskommt wie das, was wir gestern gesehen haben, das überrascht mich nicht. Ich hätte mir vorstellen können, dass wie gesagt, wenn man sich darüber Gedanken macht, wie weit die Haftung des deutschen Steuerzahlers insgesamt reicht, und eben nicht nur isoliert betrachtet aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus. Die beiden anderen Risikopositionen, die ich genannt habe, die sind jedenfalls in der Summe bereits jetzt deutlich höher als die 190 Milliarden, die den ESM speziell betreffen.
Brink: Wo ist dann ganz konkret Ihrer Meinung nach der Konstruktionsfehler des ESM?
Wenger: Der Konstruktionsfehler des ESM ist jetzt isoliert so nicht beurteilbar, weil, der ESM ist eben gedacht, dass hier irgendwelche Afrika-Anrainer weitere ...
Brink: ... wen meinen Sie denn damit?
Wenger: Ja, alle Leute, die an Afrika angrenzen: Griechenland, Italien, Spanien, Portugal. Und diese Länder können sich jetzt aus dem ESM bedienen, sobald der Gouverneursrat dazu die Zustimmung erteilt. Und das heißt, dass der Druck auf diese Länder, Reformen durchzuführen, natürlich abnimmt. Und es ist zwar so, dass die Inanspruchnahme des ESM mit Bedingungen verknüpft sein soll, aber wir haben ja gesehen, dass alle Bedingungen, die in der Vergangenheit aufgestellt worden sind etwa für die Beteiligung von Ländern am Euro-System, über den Haufen geworden sind. Wir leben im Zeitalter der permanenten Vertragsbrüche und diese Vertragsbrüche gehen auf Kosten der Nordländer.
Brink: Und jetzt hat man sich aber bemüht, das ja einzugrenzen. Und da kommen wir zu dem zweiten Punkt, den Sie ja auch schon angesprochen haben: Zum ESM gehört ja auch die gemeinsame Bankenaufsicht, wie gesagt, die ist gestern verkündet worden, alle 6000 Banken der Eurozone unter die Aufsicht der EZB zu stellen. Für Sie als Bankenfachmann, ist das nicht eine sinnvolle Maßnahme zur Stabilität gerade der Währung, die Sie ja einfordern?
Wenger: Das hängt natürlich ganz davon ab, wie diese zentrale Bankenaufsicht organisiert wird. So, wie sich das die Herrschaften in Brüssel vorstellen, ist die zentrale Bankenaufsicht natürlich der Schlüssel dazu, um das deutsche Bankensystem auszuplündern, insbesondere die Sparkassen und die Volksbanken, die ja relativ problemlos durch die Finanzkrise gekommen sind, anzuzapfen, indem die Einlagensicherungssysteme europaweit sozialisiert werden.
Brink: Aber man hat ja ganz klar gesagt: Man konzentriert sich erst auf die großen Banken, die die Krisen ausgelöst haben. Das hat auch Bundeskanzlerin Merkel gestern im Bundestag gesagt.
Wenger: Das sagt Frau Merkel und das sagt Herr Schäuble, aber Herr Barnier und auch Herr Barroso sagen, dass alle Banken unter die zentrale Aufsicht kommen sollen. Und es bleibt jetzt abzuwarten, ob Deutschland auch hier wieder Terrain preisgibt oder ob man jetzt den Herrschaften aus Brüssel mal klar erklärt, dass diese Art von Umverteilung zulasten des deutschen Sparers nicht stattfinden wird. Ich bin sehr gespannt, wie das weitergehen wird.
Brink: Professor Ekkehard Wenger, Bankenfachmann an der Universität Würzburg. Schönen Dank, Herr Wenger, für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Aber in die Erleichterung mischt sich natürlich auch Kritik, enttäuscht sind besonders die, die das Verfassungsgericht angerufen haben wie zum Beispiel der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, weil sie das Budgetrecht des Bundestages in Gefahr sahen und ja auch gefürchtet haben, Deutschland könnte unbegrenzt für notleidende Euro-Staaten haften. Zu den Kritikern gehört auch Professor Ekkehard Wenger von der Universität Würzburg. Er hat dort den Lehrstuhl für Bank- und Kreditwirtschaft inne und er ist jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Wenger!
Ekkehard Wenger: Guten Morgen!
Brink: Das Verfassungsgericht hat zwei Einschränkungen in seinem Urteil verkündet, die Haftung ist auf 190 Milliarden begrenzt und darüber hinausgehende Zahlen sind nur mit Zustimmung des Bundestags möglich. Reicht Ihnen das?
Wenger: Es ist so, dass dieses Urteil am unteren Ende meiner Erwartungen liegt. Man hätte mehr Vorbehalte einbauen können und meines Erachtens auch müssen. Auf der anderen Seite war nicht zu erwarten, dass das Verfassungsgericht von seiner bisherigen Linie abrückt, dass es praktisch alles, was in Sachen Euro und Europa vermasselt wird, schließlich am Ende doch noch durchwinkt.
Brink: Aber die Kläger haben sich doch in einem zentralen Punkt durchgesetzt: Die Haushaltsautonomie des Bundestages darf nicht verletzt werden.
Wenger: Ja, man muss natürlich sehen, dass diese Begrenzung nur eine Begrenzung für den ESM darstellt. Und wir haben keine Begrenzung für die Haftungssumme Deutschlands aus anderen Risikopositionen. Da gibt es zum einen natürlich die aufgekündigten Aufkäufe der Europäischen Zentralbank für Staatsanleihen der Afrika-Anrainer und zum anderen haben wir das Problem, dass die Deutsche Bundesbank [unverständlich] im Moment den Südländern einen unbegrenzten, zinslosen Überziehungskredit einräumen musste aufgrund von Konstruktionsfehlern des ESM, der liegt im Moment etwa bei 700 Milliarden Euro, also dem mehr als Doppelten dessen, worum es in der Karlsruher Angelegenheit jetzt gestern ging.
Brink: Ja, lassen Sie uns das ein bisschen aufdröseln, weil, Sie sprechen jetzt gerade von der gemeinsamen Bankenaufsicht, die EU-Kommissionspräsident Barroso gestern ja auch angekündigt hat. Die ist eine Art Vorbedingung, auf dass der ESM überhaupt in Kraft treten kann. Bleiben wir noch ein bisschen bei dieser Entscheidung: Was hätten Sie denn erwartet, was das Verfassungsgericht entscheidet, was wäre notwendig gewesen Ihrer Meinung nach?
Wenger: Also, was ich erwartet habe und was notwendig ist, sind natürlich zwei Paar Stiefel. Das so etwas rauskommt wie das, was wir gestern gesehen haben, das überrascht mich nicht. Ich hätte mir vorstellen können, dass wie gesagt, wenn man sich darüber Gedanken macht, wie weit die Haftung des deutschen Steuerzahlers insgesamt reicht, und eben nicht nur isoliert betrachtet aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus. Die beiden anderen Risikopositionen, die ich genannt habe, die sind jedenfalls in der Summe bereits jetzt deutlich höher als die 190 Milliarden, die den ESM speziell betreffen.
Brink: Wo ist dann ganz konkret Ihrer Meinung nach der Konstruktionsfehler des ESM?
Wenger: Der Konstruktionsfehler des ESM ist jetzt isoliert so nicht beurteilbar, weil, der ESM ist eben gedacht, dass hier irgendwelche Afrika-Anrainer weitere ...
Brink: ... wen meinen Sie denn damit?
Wenger: Ja, alle Leute, die an Afrika angrenzen: Griechenland, Italien, Spanien, Portugal. Und diese Länder können sich jetzt aus dem ESM bedienen, sobald der Gouverneursrat dazu die Zustimmung erteilt. Und das heißt, dass der Druck auf diese Länder, Reformen durchzuführen, natürlich abnimmt. Und es ist zwar so, dass die Inanspruchnahme des ESM mit Bedingungen verknüpft sein soll, aber wir haben ja gesehen, dass alle Bedingungen, die in der Vergangenheit aufgestellt worden sind etwa für die Beteiligung von Ländern am Euro-System, über den Haufen geworden sind. Wir leben im Zeitalter der permanenten Vertragsbrüche und diese Vertragsbrüche gehen auf Kosten der Nordländer.
Brink: Und jetzt hat man sich aber bemüht, das ja einzugrenzen. Und da kommen wir zu dem zweiten Punkt, den Sie ja auch schon angesprochen haben: Zum ESM gehört ja auch die gemeinsame Bankenaufsicht, wie gesagt, die ist gestern verkündet worden, alle 6000 Banken der Eurozone unter die Aufsicht der EZB zu stellen. Für Sie als Bankenfachmann, ist das nicht eine sinnvolle Maßnahme zur Stabilität gerade der Währung, die Sie ja einfordern?
Wenger: Das hängt natürlich ganz davon ab, wie diese zentrale Bankenaufsicht organisiert wird. So, wie sich das die Herrschaften in Brüssel vorstellen, ist die zentrale Bankenaufsicht natürlich der Schlüssel dazu, um das deutsche Bankensystem auszuplündern, insbesondere die Sparkassen und die Volksbanken, die ja relativ problemlos durch die Finanzkrise gekommen sind, anzuzapfen, indem die Einlagensicherungssysteme europaweit sozialisiert werden.
Brink: Aber man hat ja ganz klar gesagt: Man konzentriert sich erst auf die großen Banken, die die Krisen ausgelöst haben. Das hat auch Bundeskanzlerin Merkel gestern im Bundestag gesagt.
Wenger: Das sagt Frau Merkel und das sagt Herr Schäuble, aber Herr Barnier und auch Herr Barroso sagen, dass alle Banken unter die zentrale Aufsicht kommen sollen. Und es bleibt jetzt abzuwarten, ob Deutschland auch hier wieder Terrain preisgibt oder ob man jetzt den Herrschaften aus Brüssel mal klar erklärt, dass diese Art von Umverteilung zulasten des deutschen Sparers nicht stattfinden wird. Ich bin sehr gespannt, wie das weitergehen wird.
Brink: Professor Ekkehard Wenger, Bankenfachmann an der Universität Würzburg. Schönen Dank, Herr Wenger, für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.