"Man hat uns wirklich in die Irre geleitet"
Einst lebten in Seifhennersdorf an der tschechischen Grenze 10.000 Menschen - mittlerweile nur noch 4000. Weil kaum noch Kinder in der Region sind und das Geld knapp ist, steht die Mittelschule im Ort vor dem Aus. Eltern und Lehrer kämpfen für den Erhalt und üben sich im zivilen Ungehorsam.
Man könnte meinen, es herrsche ganz normaler Schulalltag in der fünften Klasse der Seifhennersdorfer Mittelschule. 16 Schüler, eine Lehrerin steht vor der Tafel. Gemeinsam korrigieren sie im Englischunterricht eine schriftliche Aufgabe. Aber in dem zweistöckigen Schulgebäude aus der Gründerzeit ist es die einzige Klasse und Lehrerin Anita Matitschka ist seit sieben Jahren pensioniert. Dennoch kommt sie dreimal in der Woche in ihre alte Schule, wo sie 30 Jahre unterrichtet hat. Jetzt kommt sie hierher ...
Matitschka: "Ganz freiwillig und umsonst. Um die Schüler und die Eltern zu unterstützen in ihrer Forderung, dass die Schüler hier in die Schule gehen können, damit die Schüler hier noch was von ihrer Kindheit haben."
Seit Schuljahresbeginn organisieren die Eltern den Unterricht in allen Fächern mit sechs pensionierten freiwilligen Lehrern selbst. Auch Andrea Urban gehört zu den Schulrebellen. Sie möchte ihrem Sohn Anton die langen Wege ersparen.
Urban: ""Die Kinder müssten durch die Gegend gefahren werden. Sie könnten teilweise an verschiedenen Nachmittagsangeboten überhaupt nicht mehr teilnehmen. Wenn sie teilnehmen, wären sie dann halb fünf zu Hause. Und früh viertel sieben müssten sie bereits am Bus stehen."
Vor der Schule haben die Eltern ein großes Plakat aufgestellt: Auch mit Lügen und Intrigen, wir lassen uns nicht unterkriegen, steht darauf. Die Eltern sind auf die Behörden wütend und fühlen sich von ihnen verschaukelt, denn zum Stichtag im März gab es die erforderlichen Anmeldungen und damit bereits die Zusage, dass zwei fünfte Klassen eingerichtet werden.
Dirk Schöneich vom Schulförderverein hat die Worte der frisch gebackenen Kultusministerin noch im Ohr.
Dirk Schöneich: ""Wir waren auch bei der Frau Kurth bei der Vereidigung, haben uns nachher mit ihr getroffen und da hatte sie gesagt, über die 5. Klassen brauchen wir nicht reden. Sie sind über 40 Kinder und damit dürfen die gehen."
Plötzlich jedoch wurden im Sommer für vier Schüler Bildungsempfehlungen fürs Gymnasium ausgesprochen. Damit waren es nur noch 38 Fünftklässler. Das Ministerium widerrief seine Entscheidung, strich das Geld für die Lehrer und teilte die Kinder auf umliegende Schulen auf. Die Seifhennersdorfer erfuhren davon wenige Tage vor Schulbeginn. Aber der Streit um den Erhalt der Mittelschule tobt schon seit sechs Jahren. Die Schließung ist im Schulnetzplan des Landkreises beschlossene Sache. Sechst- und Siebtklässler gibt es schon nicht mehr. Unterstützung erhalten die Eltern von Bürgermeisterin Karin Berndt. Da die Gemeinde die Trägerschaft für die Schule innehat, erlaubt sie den Zutritt zum Gebäude. Das hat ihr vom Landratsamt ein Disziplinarverfahren eingebracht. Aber sie will sich nicht Erfüllungsgehilfe für die Abwicklung der Region sein.
Karin Berndt: "Gerade in so einer Notsituation, wo vieles auf dem Prüfstand steht, wo wir wirklich anpassen müssen aufgrund Bevölkerungsrückgang, aufgrund finanzieller Ausstattung der Gemeinde, dann muss man schon überlegen: Was sichert die Zukunft? Mit was kann man denn hier Familien anlocken? Wo kann man denn Zuzüge werben? Wir können ja nicht ewig bei diesen 3900 Einwohnern hocken bleiben, die wir jetzt gerade noch haben."
Einst lebten in dem Lausitzer Ort an der Grenze zu Tschechien 10.000 Menschen. Seit der Wende ist die Zahl der Einwohner auf knapp 4000 geschrumpft. Die Zukunft des Ortes hängt auch vom Schulerhalt ab, sagt die parteilose Politikerin. Deshalb klagt sie auch schon seit sechs Jahren gegen den Schulnetzplan, bisher vergeblich.
Karin Berndt: ""Und wenn man bloß Arroganz und Desinteresse und dann das harte Vorgehen der Behörden spürt, dann regt sich Widerstand. Das ist irgendwo auch eine ganz normale Gesetzmäßigkeit des menschlichen Miteinanders."
Als Kultusministerin Brunhild Kurth vor wenigen Tagen verkündete: "Wir werden nun Recht, Gesetz und Ordnung walten lassen", sahen die Seifhennersdorfer schon die Polizei anrücken. Ein Sprecher des Ministeriums ruderte jedoch zurück und erklärte, man wolle sich weiter in Geduld üben. Das sieht aber für die Betroffenen nicht so aus.
Urban: "Wir haben mehrere Bußgeldbescheide bekommen in Höhe von etwas über 600 Euro. Als Begründung steht drin, dass unser Kind nicht die zugewiesene Schule besucht und demzufolge der Schulpflicht nicht nachkommt."
Andrea Urban und die anderen Eltern haben gegen die Bescheide Widerspruch eingelegt. Vertrauen in die Behörden hat sie nicht mehr.
Urban: "Also, uns wurde eine eigene Trägerschaft vorgeschlagen. Uns wurde auch Hilfe von Seiten des Kultus angeboten. Wir betrachten das Ganze aber als einen großen Fake. Vom Kultus weiß man genau, wir hätten die finanziellen Mittel nicht. In dem persönlichen Gespräch wurde mir persönlich gesagt, wir könnten doch unsere Lehrer, die wir momentan ehrenamtlich beschäftigen weiterhin auch in der freien Trägerschaft ehrenamtlich beschäftigen. Das ist gesetzlich aber überhaupt nicht möglich. Das heißt, man hat uns wirklich in die Irre geleitet."
Die zivilen Ungehorsamen sind entschlossen, weiterzumachen und hoffen auf ein endgültiges Urteil des Oberverwaltungsgerichtes.
Urban: "Wir erwarten, dass das eingehalten wird, was in den Ministerialblättern drinsteht, nämlich auch bei geringfügiger Unterschreitung – was 38 Kinder im Verhältnis zu 40 ja sind – dass diese Klassen auch eingestellt werden könnten."
Mehr zum Thema bei dradio:
Wenn der Job den Ort bestimmt
Schöne neue Arbeitswelt (DLF)
Matitschka: "Ganz freiwillig und umsonst. Um die Schüler und die Eltern zu unterstützen in ihrer Forderung, dass die Schüler hier in die Schule gehen können, damit die Schüler hier noch was von ihrer Kindheit haben."
Seit Schuljahresbeginn organisieren die Eltern den Unterricht in allen Fächern mit sechs pensionierten freiwilligen Lehrern selbst. Auch Andrea Urban gehört zu den Schulrebellen. Sie möchte ihrem Sohn Anton die langen Wege ersparen.
Urban: ""Die Kinder müssten durch die Gegend gefahren werden. Sie könnten teilweise an verschiedenen Nachmittagsangeboten überhaupt nicht mehr teilnehmen. Wenn sie teilnehmen, wären sie dann halb fünf zu Hause. Und früh viertel sieben müssten sie bereits am Bus stehen."
Vor der Schule haben die Eltern ein großes Plakat aufgestellt: Auch mit Lügen und Intrigen, wir lassen uns nicht unterkriegen, steht darauf. Die Eltern sind auf die Behörden wütend und fühlen sich von ihnen verschaukelt, denn zum Stichtag im März gab es die erforderlichen Anmeldungen und damit bereits die Zusage, dass zwei fünfte Klassen eingerichtet werden.
Dirk Schöneich vom Schulförderverein hat die Worte der frisch gebackenen Kultusministerin noch im Ohr.
Dirk Schöneich: ""Wir waren auch bei der Frau Kurth bei der Vereidigung, haben uns nachher mit ihr getroffen und da hatte sie gesagt, über die 5. Klassen brauchen wir nicht reden. Sie sind über 40 Kinder und damit dürfen die gehen."
Plötzlich jedoch wurden im Sommer für vier Schüler Bildungsempfehlungen fürs Gymnasium ausgesprochen. Damit waren es nur noch 38 Fünftklässler. Das Ministerium widerrief seine Entscheidung, strich das Geld für die Lehrer und teilte die Kinder auf umliegende Schulen auf. Die Seifhennersdorfer erfuhren davon wenige Tage vor Schulbeginn. Aber der Streit um den Erhalt der Mittelschule tobt schon seit sechs Jahren. Die Schließung ist im Schulnetzplan des Landkreises beschlossene Sache. Sechst- und Siebtklässler gibt es schon nicht mehr. Unterstützung erhalten die Eltern von Bürgermeisterin Karin Berndt. Da die Gemeinde die Trägerschaft für die Schule innehat, erlaubt sie den Zutritt zum Gebäude. Das hat ihr vom Landratsamt ein Disziplinarverfahren eingebracht. Aber sie will sich nicht Erfüllungsgehilfe für die Abwicklung der Region sein.
Karin Berndt: "Gerade in so einer Notsituation, wo vieles auf dem Prüfstand steht, wo wir wirklich anpassen müssen aufgrund Bevölkerungsrückgang, aufgrund finanzieller Ausstattung der Gemeinde, dann muss man schon überlegen: Was sichert die Zukunft? Mit was kann man denn hier Familien anlocken? Wo kann man denn Zuzüge werben? Wir können ja nicht ewig bei diesen 3900 Einwohnern hocken bleiben, die wir jetzt gerade noch haben."
Einst lebten in dem Lausitzer Ort an der Grenze zu Tschechien 10.000 Menschen. Seit der Wende ist die Zahl der Einwohner auf knapp 4000 geschrumpft. Die Zukunft des Ortes hängt auch vom Schulerhalt ab, sagt die parteilose Politikerin. Deshalb klagt sie auch schon seit sechs Jahren gegen den Schulnetzplan, bisher vergeblich.
Karin Berndt: ""Und wenn man bloß Arroganz und Desinteresse und dann das harte Vorgehen der Behörden spürt, dann regt sich Widerstand. Das ist irgendwo auch eine ganz normale Gesetzmäßigkeit des menschlichen Miteinanders."
Als Kultusministerin Brunhild Kurth vor wenigen Tagen verkündete: "Wir werden nun Recht, Gesetz und Ordnung walten lassen", sahen die Seifhennersdorfer schon die Polizei anrücken. Ein Sprecher des Ministeriums ruderte jedoch zurück und erklärte, man wolle sich weiter in Geduld üben. Das sieht aber für die Betroffenen nicht so aus.
Urban: "Wir haben mehrere Bußgeldbescheide bekommen in Höhe von etwas über 600 Euro. Als Begründung steht drin, dass unser Kind nicht die zugewiesene Schule besucht und demzufolge der Schulpflicht nicht nachkommt."
Andrea Urban und die anderen Eltern haben gegen die Bescheide Widerspruch eingelegt. Vertrauen in die Behörden hat sie nicht mehr.
Urban: "Also, uns wurde eine eigene Trägerschaft vorgeschlagen. Uns wurde auch Hilfe von Seiten des Kultus angeboten. Wir betrachten das Ganze aber als einen großen Fake. Vom Kultus weiß man genau, wir hätten die finanziellen Mittel nicht. In dem persönlichen Gespräch wurde mir persönlich gesagt, wir könnten doch unsere Lehrer, die wir momentan ehrenamtlich beschäftigen weiterhin auch in der freien Trägerschaft ehrenamtlich beschäftigen. Das ist gesetzlich aber überhaupt nicht möglich. Das heißt, man hat uns wirklich in die Irre geleitet."
Die zivilen Ungehorsamen sind entschlossen, weiterzumachen und hoffen auf ein endgültiges Urteil des Oberverwaltungsgerichtes.
Urban: "Wir erwarten, dass das eingehalten wird, was in den Ministerialblättern drinsteht, nämlich auch bei geringfügiger Unterschreitung – was 38 Kinder im Verhältnis zu 40 ja sind – dass diese Klassen auch eingestellt werden könnten."
Mehr zum Thema bei dradio:
Wenn der Job den Ort bestimmt
Schöne neue Arbeitswelt (DLF)