"Man kann keine Geschichte von sich selbst schreiben"
Nach elf Jahren wurde der Direktor des Deutschen Historischen Museums, Hans Ottomeyer, in Berlin mit einem Festakt in den Ruhestand verabschiedet. Er hinterlässt ein Museum, das unter ihm so erfolgreich war wie nie zuvor. Befremdlich ist, dass erst heute ein Nachfolger benannt wurde, obwohl Ottomeyers Ausscheiden im März 2011 seit Jahren klar war.
Eine Verabschiedung ist eine Verabschiedung ist eine Verabschiedung. Bei der in feierlichem Rahmen Dank ausgesprochen wird für eine Zeit, in der Großes vollbracht wurde. Das war auch jetzt nicht anders. Im festlichen Schlüterhof des Zeughauses wurde Professor Hans Ottomeyer gedankt für elf Jahre an der Spitze des Deutschen Historischen Museums, das er zu einer großen Institution gemacht habe, die international inzwischen als Vorbild gelte. Kulturstaatsminister Bernd Neumann zeigte sich launig -
"Ich habe mich immer gefragt, zu welchem Ereignis eigentlich die traurigen Masken der Titanenkrieger passen sollen, mit denen Andreas Schlüter den Hof des Zeughauses dekoriert hat. Jetzt weiß ich es: Sie sind allein einem Abschied angemessen. Ende des Monats verlässt mit Prof. Hans Ottomeyer ein Direktor das Haus, der das bedeutendste Museum unseres Landes in den letzten elf Jahren entscheidend geprägt hat."
Und er ging auch auf Kritiker ein, die immer mal wieder angemahnt hatten, das Deutsche Historische Museum müsse doch als das Nationale Geschichtsmuseum die großen Debatten der Zeitgeschichte mit intellektuellem Feuer, mit provozierender Brillanz versehen, Hans Ottomeyer dagegen, so die Kritiker, kümmere sich zu sehr um die Vollständigkeit seiner Sammlungen.
"Man sagt Ihnen ja nach, sich immer als Erster auch unmittelbar mit den Exponaten des Hauses befasst zu haben. Es gibt Kritiker, dies deshalb meinen, Sie hätten sich zu sehr auf die Exponate und Sammlungen konzentriert. Aber denen muss man entgegenhalten, dass die Qualität der Sammlungen überhaupt der Grundstock eines Museums ist und gerade durch Sie ein Museum für den normalen Zuschauer erst attraktiv wird. Und diese Attraktivität des Deutschen Historischen Museums wird von keinem bestritten."
Bundestagspräsident Norbert Lammert machte die Erinnerungskultur gegenwärtig ...
"Erinnerungskultur ist heute, jedenfalls nach der Wahrnehmung der Zeithistoriker, die beherrschende Form der Vergangenheitsvergegenwärtigung. Und auch wenn es sicher eine zugespitzte Beobachtung ist, ist sie doch offensichtlich nicht aus der Luft gegriffen: Unsere Zeit misst dem Gedächtnis offensichtlich eine ähnliche affektive Bedeutung bei wie vorausgegangene Generationen der Idee des Fortschritts und dem Bild einer strahlenden Zukunft."
Hans Ottomeyer schließlich erläuterte noch einmal die europäische Ausrichtung seines Hauses und seiner Ausstellungen.
"Gerade auch durch das Glück des Zusammenwachsens Deutschlands wurde der Blick noch einmal mehr und intensiver nach außen gelenkt; dieses Bild von Deutschland in Europa hat sich ganz wesentlich für das Museum als ein Ziel herausgestellt. Wir haben an einem Geschichtsbild gearbeitet, das die lange Geschichte konstruiert hat und die große Geschichte, nämlich die Geschichte Europas – ist doch klar: Man kann keine Geschichte von sich selbst schreiben. Man kann nur eine Geschichte von den anderen und sich schreiben, von diesen Wechselwirkungen, die wir ständig erleben und an denen wir mitgestalten."
Eine Verabschiedung ist eine Verabschiedung ist eine Verabschiedung. Mehr nicht. Oder doch? Irgendwann war dem Berichterstatter nicht mehr feierlich zumute. Erinnerungen stiegen auf. Nicht an Otto den Großen oder die Anfänge Preußens, sondern an Interviews der letzten Tage, in denen Hans Ottomeyer gesagt hatte, dass er ja doch froh sein, diesen riesigen Verwaltungsapparat los zu sein und mit ihnen die Ministerien, die ihm bindende Vorschriften gemacht hätten und dass diese ganze Idee, eine Kultureinrichtung als Stiftung aufzuziehen, "der Teufel gesät" habe.
Die Pressemitteilung des Kulturstaatsministers war plötzlich wieder da, nur Stunden vor der Verabschiedung herumgeschickt mit der Botschaft: Ein Nachfolger Hans Ottomeyers sei "in seiner heutigen Sitzung" vom Kuratorium der Stiftung Deutsches Historisches Museum gewählt worden. Seltsam. Wo doch jedes Stadttheater, wird es solide geführt, mindestens zwei Jahre im Voraus nach einem neuen Intendanten Ausschau hält, halten muss: schon um Spielpläne gestalten zu können. Was ja doch beim Deutschen Historischen Museum nicht viel anders sein dürfte. Warum brauchen Gremien im Kulturföderalismus so lange?
Die Bundestagswahlen vom Herbst 2009 brachten veränderte politische Verhältnisse und also für die Stiftung ein neues Kuratorium, mit neuen Vertretern des Bundestages, der Bundesregierung und der Bundesländer, brachten auch: einen neuen wissenschaftlichen Beirat. Im Juli erst trat das neue Kuratorium zum ersten Mal zusammen, der Beirat im September. Nicht um einen Kandidaten für das Präsidentenamt zu benennen, sondern um eine Findungskommission einzuberufen, die tagte zum ersten Mal im Dezember. Im Dezember! Das Ergebnis ihrer Arbeit wurde heute verkündet: Wir haben heute einen neuen Präsidenten gewählt, einstimmig! Prof. Alexander Koch, bisher Direktor und Geschäftsführer der Stiftung Historisches Museum der Pfalz in Speyer.
Er trat am Abend nicht auf, war aber im Saal. Was mag er empfunden haben? Gefreut haben wird er sich, natürlich, aber ob ihn auch der Gedanke beschlich, dass mancher in der Hauptstadt ihn als Notlösung ansehen wird? Am Tag der Verabschiedung Hans Ottomeyers noch schnell gewählt, damit am Abend der Kulturstaatsminister einen Nachfolger präsentieren und ihn als "junge und innovative Persönlichkeit" lobpreisen kann? Sein Amt wird er im Sommer antreten, bis dahin hat das Haus keinen Direktor. Auch seltsam, aber bestimmt findet sich bald jemand, der diese führungslose Zeit als "anregende Denkpause" gut findet.
Doch wer weiß, vielleicht war der Berichterstatter auch nur trübsinnig, wegen des Wetters - und hatte deshalb kein Gespür für den Glanz des Abends, der andere vielleicht berauschte.
"Ich habe mich immer gefragt, zu welchem Ereignis eigentlich die traurigen Masken der Titanenkrieger passen sollen, mit denen Andreas Schlüter den Hof des Zeughauses dekoriert hat. Jetzt weiß ich es: Sie sind allein einem Abschied angemessen. Ende des Monats verlässt mit Prof. Hans Ottomeyer ein Direktor das Haus, der das bedeutendste Museum unseres Landes in den letzten elf Jahren entscheidend geprägt hat."
Und er ging auch auf Kritiker ein, die immer mal wieder angemahnt hatten, das Deutsche Historische Museum müsse doch als das Nationale Geschichtsmuseum die großen Debatten der Zeitgeschichte mit intellektuellem Feuer, mit provozierender Brillanz versehen, Hans Ottomeyer dagegen, so die Kritiker, kümmere sich zu sehr um die Vollständigkeit seiner Sammlungen.
"Man sagt Ihnen ja nach, sich immer als Erster auch unmittelbar mit den Exponaten des Hauses befasst zu haben. Es gibt Kritiker, dies deshalb meinen, Sie hätten sich zu sehr auf die Exponate und Sammlungen konzentriert. Aber denen muss man entgegenhalten, dass die Qualität der Sammlungen überhaupt der Grundstock eines Museums ist und gerade durch Sie ein Museum für den normalen Zuschauer erst attraktiv wird. Und diese Attraktivität des Deutschen Historischen Museums wird von keinem bestritten."
Bundestagspräsident Norbert Lammert machte die Erinnerungskultur gegenwärtig ...
"Erinnerungskultur ist heute, jedenfalls nach der Wahrnehmung der Zeithistoriker, die beherrschende Form der Vergangenheitsvergegenwärtigung. Und auch wenn es sicher eine zugespitzte Beobachtung ist, ist sie doch offensichtlich nicht aus der Luft gegriffen: Unsere Zeit misst dem Gedächtnis offensichtlich eine ähnliche affektive Bedeutung bei wie vorausgegangene Generationen der Idee des Fortschritts und dem Bild einer strahlenden Zukunft."
Hans Ottomeyer schließlich erläuterte noch einmal die europäische Ausrichtung seines Hauses und seiner Ausstellungen.
"Gerade auch durch das Glück des Zusammenwachsens Deutschlands wurde der Blick noch einmal mehr und intensiver nach außen gelenkt; dieses Bild von Deutschland in Europa hat sich ganz wesentlich für das Museum als ein Ziel herausgestellt. Wir haben an einem Geschichtsbild gearbeitet, das die lange Geschichte konstruiert hat und die große Geschichte, nämlich die Geschichte Europas – ist doch klar: Man kann keine Geschichte von sich selbst schreiben. Man kann nur eine Geschichte von den anderen und sich schreiben, von diesen Wechselwirkungen, die wir ständig erleben und an denen wir mitgestalten."
Eine Verabschiedung ist eine Verabschiedung ist eine Verabschiedung. Mehr nicht. Oder doch? Irgendwann war dem Berichterstatter nicht mehr feierlich zumute. Erinnerungen stiegen auf. Nicht an Otto den Großen oder die Anfänge Preußens, sondern an Interviews der letzten Tage, in denen Hans Ottomeyer gesagt hatte, dass er ja doch froh sein, diesen riesigen Verwaltungsapparat los zu sein und mit ihnen die Ministerien, die ihm bindende Vorschriften gemacht hätten und dass diese ganze Idee, eine Kultureinrichtung als Stiftung aufzuziehen, "der Teufel gesät" habe.
Die Pressemitteilung des Kulturstaatsministers war plötzlich wieder da, nur Stunden vor der Verabschiedung herumgeschickt mit der Botschaft: Ein Nachfolger Hans Ottomeyers sei "in seiner heutigen Sitzung" vom Kuratorium der Stiftung Deutsches Historisches Museum gewählt worden. Seltsam. Wo doch jedes Stadttheater, wird es solide geführt, mindestens zwei Jahre im Voraus nach einem neuen Intendanten Ausschau hält, halten muss: schon um Spielpläne gestalten zu können. Was ja doch beim Deutschen Historischen Museum nicht viel anders sein dürfte. Warum brauchen Gremien im Kulturföderalismus so lange?
Die Bundestagswahlen vom Herbst 2009 brachten veränderte politische Verhältnisse und also für die Stiftung ein neues Kuratorium, mit neuen Vertretern des Bundestages, der Bundesregierung und der Bundesländer, brachten auch: einen neuen wissenschaftlichen Beirat. Im Juli erst trat das neue Kuratorium zum ersten Mal zusammen, der Beirat im September. Nicht um einen Kandidaten für das Präsidentenamt zu benennen, sondern um eine Findungskommission einzuberufen, die tagte zum ersten Mal im Dezember. Im Dezember! Das Ergebnis ihrer Arbeit wurde heute verkündet: Wir haben heute einen neuen Präsidenten gewählt, einstimmig! Prof. Alexander Koch, bisher Direktor und Geschäftsführer der Stiftung Historisches Museum der Pfalz in Speyer.
Er trat am Abend nicht auf, war aber im Saal. Was mag er empfunden haben? Gefreut haben wird er sich, natürlich, aber ob ihn auch der Gedanke beschlich, dass mancher in der Hauptstadt ihn als Notlösung ansehen wird? Am Tag der Verabschiedung Hans Ottomeyers noch schnell gewählt, damit am Abend der Kulturstaatsminister einen Nachfolger präsentieren und ihn als "junge und innovative Persönlichkeit" lobpreisen kann? Sein Amt wird er im Sommer antreten, bis dahin hat das Haus keinen Direktor. Auch seltsam, aber bestimmt findet sich bald jemand, der diese führungslose Zeit als "anregende Denkpause" gut findet.
Doch wer weiß, vielleicht war der Berichterstatter auch nur trübsinnig, wegen des Wetters - und hatte deshalb kein Gespür für den Glanz des Abends, der andere vielleicht berauschte.