"Man kann nicht alles schwarz-weiß sehen"

Von Jörg Taszman |
Der Film "Anonyma" schildert die Erlebnisse einer jungen Frau, die in ihrem Tagebuch von den Vergewaltigungen durch die Rote Armee 1945 schrieb, aber auch von ihrer Zuneigung zu einem russischen Offizier. Die Verfilmung des Buches in der Hauptrolle mit Nina Hoss versucht, dem historischen Kontext gerecht zu werden, ohne zu beschönigen.
Mit Nina Hoss in der Hauptrolle hat Regisseur Max Färberböck die Erlebnisse einer anonym gebliebenen, jungen Frau verfilmt, die von den Vergewaltigungen durch die Rote Armee 1945 schrieb, aber auch von ihrer Zuneigung zu einem russischen Offizier. Das Buch brach im kalten Krieg Tabus, weil es davon berichtete, dass sich Frauen auch ganz pragmatisch, russische Beschützer suchten. Die Verfilmung versucht nun dem historischen Kontext gerecht zu werden, ohne zu beschönigen. Jörg Taszman traf die Schauspielerin Nina Hoss während der Berliner Premiere zu "Anonyma" und den Regisseur Max Färberböck zu einem Interview und stellt den Film vor.

Berlin in den letzten Apriltagen 1945. Bei blutigen Häuserkämpfen nimmt die Rote Armee Straße um Straße und Haus um Haus ein. Immer wieder flackert sinnloser Widerstand auf, der nur unnötige Opfer fordert. Völlig verängstigt sitzen wehruntaugliche Männer, Frauen und Kinder in einem Keller - unter ihnen die von Nina Hoss verkörperte junge Journalistin und Hauptfigur ohne Namen. Sie hat beschlossen, Tagebuch zu führen, über das, was mit ihr, was mit den anderen geschieht. Es kommt zu ersten Vergewaltigungen. Auch die russisch sprechende Journalistin, eben Anonyma, wird vergewaltigt. Daraufhin wendet sie sich an einen russischen Major.

Szene aus dem Film:
" Mit wem wollen Sie sprechen ?
Mit Ihnen!
Svobodno.
Darf ich mich setzen?
Nein!
Gestern wurde unser Haus besetzt und viele Frauen vergewaltigt…es ist Ihre Pflicht zu helfen.
(russisch) Komy, moi ljudi ili waschi?
Diese paar Minuten was ist das schon?"
Der Film bemüht sich um Fairness und Authentizität. So lässt sich das Chaos im zerstörten Berlin nachvollziehen. Da sind die relativ emanzipierten Frauen, die lernen müssen, ohne ihre Männer klarzukommen und die beim Einmarsch der Roten Armee plötzlich zu Freiwild werden. Dabei versuchen sie, sich zu schützen, zu arrangieren und ihre Würde zu behalten.

Regisseur Max Färberböck erzählt jedoch auch von den Kriegsgräueln der Deutschen in Russland und genau das überzeugte die Hauptdarstellerin Nina Hoss:

" Was ich tatsächlich interessant fand oder auch den Ansatz aus seiner Sicht, dass er über die Russen sich an dieses Thema herangemacht hat, weil das finde ich auch an diesem Film sehr schön, dass man über die Russen etwas erfährt. Man kann nicht schwarz-weiß alles sehen, sondern man muss sich mit den, wie es damals hieß, "Bestien" auseinandersetzen, mit dem was sie vorher gesehen haben. Sie sind durch ein Russland durchgezogen, das verwüstet worden war, um dann nach Berlin zu kommen. Was überhaupt nicht entschuldigt, was sie dann getan haben. Aber das fand ich auch das Interessante an der Anonyma, dass sie reflektierte und noch einen Kopf dafür hatte… dass sie in einem Zustand, wo man jeder Frau zugestanden hätte: "Ich hasse die einfach, weil sie mir das antun", dass sie sich hinsetzt und schreibt und plötzlich anfängt, über die Russen nachzudenken."

Ein großes Plus sind die vielen russischen Darsteller, die Regisseur Max Färberböck in einem ausführlichen Casting in Russland aussuchte. Die Rolle des Majors verkörpert der bekannte russische Darsteller Jewgeni Sidichin. Auch viele der Dialoge unter den Soldaten sind auf Russisch und Nina Hoss musste ihre russischen Dialogzeilen auswendig lernen, um authentischer zu wirken. War aber nun die lange tabuisierte Vergewaltigung deutscher Frauen durch Soldaten der Roten Armee auch ein Thema zwischen den deutschen und russischen Schauspielkollegen?

Nina Hoss: " Ja, man hat schon drüber geredet, gerade auch an der Hand von Szenen, wenn man gearbeitet hat. Ich habe festgestellt, dass jeder von ihnen hat eine Geschichte aus der Familie davon zu erzählen. Der II. Weltkrieg ist für die Russen wirklich ein ganz, ganz großes Thema und der Sieg war auch wesentlich. Das ist etwas, woraus sich dieses nationale Zusammengehörigkeitsgefühl noch sehr speist. Wenn man sich nirgendwo mehr trifft, alle treffen sich, wenn sie vom II. Weltkrieg erzählen. Alle fühlen sich zusammengehörig. Da kann man auch kaum kritisch werden. Das habe ich irgendwann aufgegeben, weil das auch nichts brachte in dem Fall. Aber es ist schon so, dass sie sich damit auseinandersetzen, sonst hätten sie alle nicht mitgespielt."
Regisseur Max Färberböck merkte bei der Arbeit mit dem Stoff, wie bereitwillig man in Deutschland die Russen als anonyme, amorphe Masse betrachtet, und nicht als einzelne Personen. In Deutschland halten sich so gewisse Vorurteile, die bis in die heutige Zeit reichen. Färberböck zieht so interessante Parallelen, die auch erklären, warum er das Buch von "Anonyma" auf die große Leinwand bringen wollte:

" Eigentlich sollen die so bleiben, wie sie sind. Damals die Verbrechen des Stalinismus, der Armee. Jetzt sind es Geschäftsleute, die absolut unberechenbar sind. Im Grunde liegt der weltpolitische Fehler ganz schnell bei den Russen. Ist ein bisschen übertrieben formuliert, aber so was gibt es. Und es gab einen emotionalen Auslöser für diese Geschichte. Als ich zum 60. Jahrestag zum Kriegsende in Karlshorst war, haben Russen weiße Zelte aufgebaut, ne ganze Menge. Und da waren verschiedene Orchester in jedem Zelt und diese Zelte waren leer. Das Fernsehen war voll von Berichterstattung über den II. Weltkrieg und Dokumentationen. Aber es ist niemand gekommen. Und da hat irgendetwas in mir revoltiert."
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