"Man schaut eher zu und wartet, wie die Dinge ausgehen"
Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler sieht nicht nur bei den Regierungen, sondern auch innerhalb der Bevölkerungen westlicher Staaten eine tiefe Unsicherheit hinsichtlich der Demokratisierung Ägyptens.
Marietta Schwarz: Mit zunehmender Eskalation der Gewalt in Ägypten sorgen sich auch die Staats- und Regierungschefs der westlichen Welt. Die Worte Barack Obamas und die Stimmen aus der Europäischen Union, sie sind deutlicher geworden: Der Demokratisierungsprozess müsse jetzt beginnen, hieß es, die Ägypter hätten ein Recht auf Versammlungsfreiheit. Der Rücktritt Husni Mubaraks aber, der wurde immer noch nicht gefordert. Doch wie realistisch ist das eigentlich, wo sich der Westen mit dem ägyptischen Despoten jahrelang arrangiert hat? Fragen dazu an den Politikwissenschaftler Herfried Münkler, der telefonisch zugeschaltet ist. Guten Morgen!
Herfried Münkler: Guten Morgen, Frau Schwarz!
Schwarz: Herr Münkler, wenn wir mal in die jüngere Geschichte schauen: Wann haben die Weltmächte eigentlich Despoten zum Rücktritt aufgefordert oder sich sogar noch stärker eingemischt in die Geschicke eines Staates?
Münkler: Ja, sie haben das vor allen Dingen dann effektiv getan, wenn sie es nicht über die Medien getan haben, sondern hinterrücks, in dem sie ihnen das rechtzeitig bedeutet haben, und natürlich auch dann sozusagen den Rücktritt abgesichert haben. Das kommt schon immer mal wieder vor, nicht unbedingt, dass wir das jetzt sozusagen unmittelbar bemerken, sondern das ist dieser stille Druck. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Jetzt muss man sozusagen öffentlich und über die Medien und auch für die ägyptischen Demonstranten sichtbar das tun, und das ist natürlich ein Problem, weil das Folgen hat, nämlich andere, ja, wie Sie sagen, Despoten, das würde ich ja auch gar nicht bestreiten, schauen natürlich da zu und kommen zum Ergebnis möglicherweise: Der Westen ist für uns unzuverlässig, auf den kann man sich nicht verlassen, wenn es ernst wird, lässt er uns im Stich. Also setzen wir dann eher auf die chinesische Karte. Wenn man sich die chinesischen Kommentare anguckt, dann haben die ja in hohem Maße über Stabilität gesprochen und nicht über Demokratisierung, was der chinesischen Grundposition entspricht, aber natürlich auch eine geostrategische Positionierung ist, bei der man aufpassen muss, dass man nicht plötzlich an wichtigen Stellen sozusagen Verbündete Chinas hat und selber die Position verloren hat.
Schwarz: Ist denn Einmischung generell eine Frage kluger Politik oder auch eine moralische Frage?
Münkler: Na ja, gut, es ist immer eine moralische Frage, aber die stellt sich in unterschiedlicher Weise für Nichtregierungsorganisationen, für die Zivilgesellschaft, die das tun kann oder jedenfalls, die da sehr viel höhere Flexibilität besitzt. Aber es ist ja auch auffällig, dass, ja, in den europäischen Hauptstädten nicht demonstriert wird. Das ist bei uns relativ ruhig. Die Menschen zeigen sich nicht. Man schaut eher zu und wartet, wie die Dinge ausgehen. Das heißt also auch im weiteren Sinne für die Zivilgesellschaft spielt der Faktor, dass man sich nicht sicher ist – wenn man auf die Volksbewegung setzt, was dann politisch in konkreto herauskommt –, eine ganz zentrale Rolle. Man könnte sagen, das ist in gewisser Hinsicht das iranische Trauma, wo damals ja, vor etwas mehr als 30 Jahren, sehr viele für den Sturz des Schah und für die Revolutionäre demonstriert haben, und hinterher enttäuscht waren über die Entwicklung. Also in diesem Sinne – Stichwort Islamismus, aber das ist nur ein Stichwort und keine voll inhaltliche Beschreibung –, gibt es eine gewisse Skepsis in den westlichen Gesellschaften, nicht nur in den Regierungszentralen, gegenüber möglichen Entwicklungen in der arabischen Welt.
Schwarz: Jetzt hat sich der Westen ja viele Jahre lang arrangiert mit Ägyptens Präsident Mubarak. Welche Interessen hat er dabei verfolgt, und, frage ich jetzt noch mal nach: War das dann unmoralisch?
Münkler: Ach na ja, wissen Sie, unmoralisch – das ist eine Kategorie in der Politik, also das Anlegen von Moral. Die andere Frage ist: Was kostet das? Also sozusagen, hätte man tatsächlich etwas ändern können, hätte es zu Mubarak, der ja gewissermaßen im Gefolge der Ermordung von Sadat ägyptischer Präsident geworden ist, hätte es dazu Alternativen gegeben? Das muss man bezweifeln. Obendrein hat Mubarak wie auch andere in dieser Region es sehr gut verstanden, seine Herkunft aus dem Militär immer mehr in den Hintergrund treten zu lassen und sich sozusagen als die Spitze eines patrimonialen Regimes, also sozusagen eines Regimes der Fürsorglichkeit auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber natürlich auch der Gewinnung von Anhängern darzustellen. Und wenn Sie bedenken, dass sich in der Zeit der Herrschaft von Mubarak die ägyptische Bevölkerung tendenziell verdoppelt hat, dann gibt es natürlich auch einen Hinweis darauf, dass er am Anfang eine Mehrheit eingebunden hat, also so etwas wie Legitimität besaß, aber mit der rasanten Vermehrung der Bevölkerung sozusagen immer mehr junge Leute nicht mehr auf seinen, in Anführungszeichen, Gehaltslisten standen, und das ist dann gekippt. Also sozusagen heißt: Diese Regime hatten eine Legitimität, die sicherlich nicht demokratisch in unserem Sinne war, aber schon so etwas Ähnliches prätendiert hat, aber die haben sie mit der Zeit verloren. Sie haben noch gefragt nach den Interessen des Westens. Klar, südliche Mittelmeerküste – das ist für uns sozusagen eine offene Flanke, für uns Europäer, da ist es gut, wenn da drüben Regime sitzen, mit denen man gut kooperieren kann und die nicht erpresserische Politik machen – wie Gaddafi mit der Äußerung, wenn die Europäer ihm nicht vier Milliarden zahlen für seine eigene Flüchtlingspolitik, dann wird der weiße christliche Kontinent schwarz werden oder so etwas –, zweitens, der Suezkanal als die wichtigste Verbindungslinie, die ägyptische Armee als ein militärisch ausgesprochen relevanter Akteur der Region, und dann die Sicherheit Israels. Das sind vier sehr gewichtige Punkte.
Schwarz: Herr Münkler, jetzt agieren die USA anscheinend im Hintergrund, das heißt, sie verhandelten mit ägyptischen Regierungsbeamten über den sofortigen Rücktritt Mubaraks – das also reines Eigeninteresse oder doch so etwas auch wie, na ja, ich sage jetzt mal ganz naiv Liebe zur Demokratie?
Münkler: Ja, das kann man bei Obama nicht ausschließen, dass so etwas eine Rolle spielt. Aber natürlich ist auch Obama so viel Politiker und so viel erfahrener Mann, dass er weiß, dass die Liebe zur Demokratie nicht genügt. Demokratie hat im Übrigen strukturelle Voraussetzungen, die so ohne Weiteres gar nicht gegeben sind, sondern er hat begriffen, dass es jetzt darauf ankommt, die Symbolfigur eines Regimes, das so viel Blut hat fließen lassen, aus dem Verkehr zu ziehen, um sich nicht selber zu beschädigen.
Schwarz: Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler war das über die westliche Welt und ihren Umgang mit Despoten. Herr Münkler, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Münkler: Bitte schön!
Herfried Münkler: Guten Morgen, Frau Schwarz!
Schwarz: Herr Münkler, wenn wir mal in die jüngere Geschichte schauen: Wann haben die Weltmächte eigentlich Despoten zum Rücktritt aufgefordert oder sich sogar noch stärker eingemischt in die Geschicke eines Staates?
Münkler: Ja, sie haben das vor allen Dingen dann effektiv getan, wenn sie es nicht über die Medien getan haben, sondern hinterrücks, in dem sie ihnen das rechtzeitig bedeutet haben, und natürlich auch dann sozusagen den Rücktritt abgesichert haben. Das kommt schon immer mal wieder vor, nicht unbedingt, dass wir das jetzt sozusagen unmittelbar bemerken, sondern das ist dieser stille Druck. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Jetzt muss man sozusagen öffentlich und über die Medien und auch für die ägyptischen Demonstranten sichtbar das tun, und das ist natürlich ein Problem, weil das Folgen hat, nämlich andere, ja, wie Sie sagen, Despoten, das würde ich ja auch gar nicht bestreiten, schauen natürlich da zu und kommen zum Ergebnis möglicherweise: Der Westen ist für uns unzuverlässig, auf den kann man sich nicht verlassen, wenn es ernst wird, lässt er uns im Stich. Also setzen wir dann eher auf die chinesische Karte. Wenn man sich die chinesischen Kommentare anguckt, dann haben die ja in hohem Maße über Stabilität gesprochen und nicht über Demokratisierung, was der chinesischen Grundposition entspricht, aber natürlich auch eine geostrategische Positionierung ist, bei der man aufpassen muss, dass man nicht plötzlich an wichtigen Stellen sozusagen Verbündete Chinas hat und selber die Position verloren hat.
Schwarz: Ist denn Einmischung generell eine Frage kluger Politik oder auch eine moralische Frage?
Münkler: Na ja, gut, es ist immer eine moralische Frage, aber die stellt sich in unterschiedlicher Weise für Nichtregierungsorganisationen, für die Zivilgesellschaft, die das tun kann oder jedenfalls, die da sehr viel höhere Flexibilität besitzt. Aber es ist ja auch auffällig, dass, ja, in den europäischen Hauptstädten nicht demonstriert wird. Das ist bei uns relativ ruhig. Die Menschen zeigen sich nicht. Man schaut eher zu und wartet, wie die Dinge ausgehen. Das heißt also auch im weiteren Sinne für die Zivilgesellschaft spielt der Faktor, dass man sich nicht sicher ist – wenn man auf die Volksbewegung setzt, was dann politisch in konkreto herauskommt –, eine ganz zentrale Rolle. Man könnte sagen, das ist in gewisser Hinsicht das iranische Trauma, wo damals ja, vor etwas mehr als 30 Jahren, sehr viele für den Sturz des Schah und für die Revolutionäre demonstriert haben, und hinterher enttäuscht waren über die Entwicklung. Also in diesem Sinne – Stichwort Islamismus, aber das ist nur ein Stichwort und keine voll inhaltliche Beschreibung –, gibt es eine gewisse Skepsis in den westlichen Gesellschaften, nicht nur in den Regierungszentralen, gegenüber möglichen Entwicklungen in der arabischen Welt.
Schwarz: Jetzt hat sich der Westen ja viele Jahre lang arrangiert mit Ägyptens Präsident Mubarak. Welche Interessen hat er dabei verfolgt, und, frage ich jetzt noch mal nach: War das dann unmoralisch?
Münkler: Ach na ja, wissen Sie, unmoralisch – das ist eine Kategorie in der Politik, also das Anlegen von Moral. Die andere Frage ist: Was kostet das? Also sozusagen, hätte man tatsächlich etwas ändern können, hätte es zu Mubarak, der ja gewissermaßen im Gefolge der Ermordung von Sadat ägyptischer Präsident geworden ist, hätte es dazu Alternativen gegeben? Das muss man bezweifeln. Obendrein hat Mubarak wie auch andere in dieser Region es sehr gut verstanden, seine Herkunft aus dem Militär immer mehr in den Hintergrund treten zu lassen und sich sozusagen als die Spitze eines patrimonialen Regimes, also sozusagen eines Regimes der Fürsorglichkeit auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber natürlich auch der Gewinnung von Anhängern darzustellen. Und wenn Sie bedenken, dass sich in der Zeit der Herrschaft von Mubarak die ägyptische Bevölkerung tendenziell verdoppelt hat, dann gibt es natürlich auch einen Hinweis darauf, dass er am Anfang eine Mehrheit eingebunden hat, also so etwas wie Legitimität besaß, aber mit der rasanten Vermehrung der Bevölkerung sozusagen immer mehr junge Leute nicht mehr auf seinen, in Anführungszeichen, Gehaltslisten standen, und das ist dann gekippt. Also sozusagen heißt: Diese Regime hatten eine Legitimität, die sicherlich nicht demokratisch in unserem Sinne war, aber schon so etwas Ähnliches prätendiert hat, aber die haben sie mit der Zeit verloren. Sie haben noch gefragt nach den Interessen des Westens. Klar, südliche Mittelmeerküste – das ist für uns sozusagen eine offene Flanke, für uns Europäer, da ist es gut, wenn da drüben Regime sitzen, mit denen man gut kooperieren kann und die nicht erpresserische Politik machen – wie Gaddafi mit der Äußerung, wenn die Europäer ihm nicht vier Milliarden zahlen für seine eigene Flüchtlingspolitik, dann wird der weiße christliche Kontinent schwarz werden oder so etwas –, zweitens, der Suezkanal als die wichtigste Verbindungslinie, die ägyptische Armee als ein militärisch ausgesprochen relevanter Akteur der Region, und dann die Sicherheit Israels. Das sind vier sehr gewichtige Punkte.
Schwarz: Herr Münkler, jetzt agieren die USA anscheinend im Hintergrund, das heißt, sie verhandelten mit ägyptischen Regierungsbeamten über den sofortigen Rücktritt Mubaraks – das also reines Eigeninteresse oder doch so etwas auch wie, na ja, ich sage jetzt mal ganz naiv Liebe zur Demokratie?
Münkler: Ja, das kann man bei Obama nicht ausschließen, dass so etwas eine Rolle spielt. Aber natürlich ist auch Obama so viel Politiker und so viel erfahrener Mann, dass er weiß, dass die Liebe zur Demokratie nicht genügt. Demokratie hat im Übrigen strukturelle Voraussetzungen, die so ohne Weiteres gar nicht gegeben sind, sondern er hat begriffen, dass es jetzt darauf ankommt, die Symbolfigur eines Regimes, das so viel Blut hat fließen lassen, aus dem Verkehr zu ziehen, um sich nicht selber zu beschädigen.
Schwarz: Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler war das über die westliche Welt und ihren Umgang mit Despoten. Herr Münkler, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Münkler: Bitte schön!