"Man schöpft nur ab"

Nikolaus Gelpke im Gespräch mit Susanne Führer |
Wenn eine Ölkatastrophe wie die im Golf von Mexiko passiere, seien am Ende genau die Leute gestraft, die "von dem Ölboom nichts haben": indigene Bevölkerungen, die in der Gegend wohnen, sagt Nikolaus Gelpke, Chefredakteur der Zeitschrift "mare".
Susanne Führer: Der Ölteppich im Golf von Mexiko breitet sich immer weiter aus. Inzwischen ist ein drittes Leck am Förderrohr der untergegangenen Bohrinsel Deep Water Horizon entdeckt worden. 800.000 Liter Öl gelangen pro Tag ins Meer. Tausende Meter unter dem Meeresboden hatte die Deep Water Horizon nach Öl gebohrt, wobei der Meeresboden wiederum 1500 Meter unter dem Wasserspiegel liegt. Eine enorme technologische Leistung also, die vor zehn oder auch vor 20 Jahren entweder als unrentabel oder als unmöglich galt. Heute aber hat nicht nur die Technologie gewaltige Fortschritte gemacht, der Energiehunger ist ebenfalls enorm gewachsen. Und deswegen begeben sich immer mehr auf die Jagd nach den Schätzen der Tiefsee. Ein Freund und Kenner der Meere ist Nikolaus Gelpke, Chefredakteur der Zeitschrift "mare", jetzt zum Gast im "Radiofeuilleton". Guten Tag, Herr Gelpke!

Nikolaus Gelpke: Schönen guten Tag!

Führer: Ja, diese riesigen Ölbohrinseln, also die Deep Water Horizon soll zwei Fußballfelder groß gewesen sein, sind ja eine junge, sehr anspruchsvolle technologische Entwicklung. Wo werden die vor allem eingesetzt?

Gelpke: Na, die werden vor allem da eingesetzt, wo man inzwischen noch Gas- und Ölvorkommen vermutet, die so groß sind, dass sich der technologische Aufwand lohnt. Früher war es halt an Land, die kleinen Bohranlagen, die in Texas standen, und dann ging es ins offene Meer raus, das war in der Nordsee – die Nordsee ist ja bekanntlich sehr untief – und in den ganzen Schelfgebieten direkt am Ufer des Meeres. Und inzwischen wagt man sich, wie Sie eingangs erwähnten, immer weiter in die Tiefsee vor, weil sich aufgrund des Ölpreises und der Verknappung der Rohstoffe das sich inzwischen lohnt. Und das ist überall dort, wo die Ölkonzerne nach langen Untersuchungen vermuten, dass eben so viel Gas und Öl da ist, dass man den Aufwand rechtfertigen kann.

Führer: Und wo ist das noch jetzt außer im Golf von Mexiko, wie wir jetzt gelernt haben?

Gelpke: Das ist viel auch vor der westafrikanischen Küste zum Beispiel und auch vor der Küste von Venezuela sind auch große Felder. Das sind so die Hauptfelder, wo heutzutage der wirkliche Tiefsee-Offshore-Ölboom stattfindet.

Führer: Wer betreibt denn diese Bohrinseln, die Länder selbst, vor denen sie stehen, im Allgemeinen ja nicht, oder?

Gelpke: Nein, das ist auch ein Problem natürlich. Das sind nach wie vor die großen Firmen, wie eben jetzt hier im Golf von Mexiko BP, also die englische Ölfirma, aber auch viel amerikanische Konsortien, zuallererst mal Exxon und in Frankreich ist es Elf, die sind sehr stark an der westafrikanischen Küste tätig. Im Grunde genommen sind die Franzosen zum Beispiel überall da tätig, die französischen Ölkonzerne, wo früher auch die Franzosen Kolonialmacht haben. Und da sieht man schon das Problem, dass die Länder, vor denen gebohrt wird, also gerade jetzt vor Angola oder vor der gesamten westafrikanischen Küste, das Problem dahingehend ist, dass aufgrund des neuen Seerechtes durch die 200-Meilen-Zone – das sind die ersten 200 Meilen vor der Küste, die gehören wirtschaftlich den Anrainerstaaten –, und die Firmen müssen Verträge machen mit diesen Anrainerstaaten, dort bohren zu dürfen. Das Geld, was in die Staaten fließt, fließt natürlich meistens in die Staatskassen von, na ja, unsicheren Regierungen und gelangt eigentlich nie in die Bevölkerungsschichten hinein. Und wer sich hauptsächlich daran verdient, sind natürlich die Konsortien, die Ölkonzerne. Und gerade indigene Bevölkerungen, die dort in den Gegenden wohnen, haben meistens gar nichts davon, im Gegenteil, die haben noch Schäden. Wie man jetzt auch sieht in Mexiko, wenn so was passiert, dann sind natürlich genau die Leute wieder am Ende gestraft, die sowieso von dem ganzen Ölboom nichts haben.

Führer: Also es ist sozusagen Rohstoffexport weiter nach draußen verlagert, in das Meer eben, also so üblich, so für die armen Staaten. Und Sie haben das Beispiel Angola genannt, die verkaufen dann eben die Tiefseelizenzen, aber sie selbst haben technologisch eben nicht die Mittel, um selbst das Öl zu fördern.

Gelpke: Nein, das ist ein alter Kampf, den ich auch schon mit geführt habe seit über 25 Jahren, dass eigentlich nie ein wirklicher Technologietransfer in diese Länder stattgefunden hat. Das Interesse der ersten und zweiten Länder, also der USA und Europas, bestand halt nie, Technologie darin abzugeben in Länder von der Dritten Welt, sondern bestand natürlich immer nur darin, möglichst viel abzuschöpfen. Und das ist sehr zynisch: Auf der anderen Seite geben wir Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe und auf der anderen Seite verhindern wir gerade, dass die Länder sich entwickeln, sondern man schöpft nur ab und zahlt im Grunde genommen nur kleine Beträge an die Regierungen, die das doch meistens in diktatorischem Stile oder absolutärem Stile selbst einstecken.

Führer: Dieser dramatische Unfall jetzt im Golf von Mexiko hat uns natürlich alle wieder sehr skeptisch gemacht, was diese Tiefseeölförderung angeht. Wenn der jetzt nicht passiert wäre, würde man dann sagen, dass diese Technologie ausgereift ist, dass das eigentlich schon Routine geworden ist?

Gelpke: Die Technologie ist sehr weit fortgeschritten, weil im Grunde genommen das Verschließen von Bohrlöchern unter Wasser ja ähnlich ist, ob Sie es in 1000 Metern machen oder in 100 Meter Tiefe. In 100 Meter Tiefe können Sie noch mit Tauchern ran, und das ist ein bisschen einfacher, das heißt, das Risiko steigt mit der Tiefe, weil der technologische Aufwand aufgrund des enormen Druckes sehr viel größer ist. Aber die Technik an sich ist ausgereift, nur man sieht halt immer wieder, wenn einmal was schiefgeht, ist halt die Folge riesig – nicht gerade wie beim Atomreaktor, aber da ist jetzt halt ganz deutlich. Wenn einmal was passiert ist, wie bei Tschernobyl ganz, ganz schlimm, und bei so einem Oilspill dann eben auch. Und dann heißt es immer irgendwie, ja, wir müssen zugucken, wie wir klarkommen. Und es ist etwas bei Ölunfällen sehr Häufiges zu sehen: Am Anfang ist eine große mediale Aufmerksamkeit, gerade wenn Seevögel und Robben und Meeressäugetiere betroffen sind, aber schon nach wenigen Jahren ist kaum mehr medial, also durch Kameras, nachzuweisen, dass es große Schäden gegeben hat. Und das spielt den Ölkonzernen und den beteiligten Regierungen immer sehr stark in die Hände.

Führer: Weil das Öl dann auf den Boden sinkt und da möglicherweise noch viel mehr Schäden anrichtet, aber die sind nicht so sichtbar.

Gelpke: Ganz genau. Und vor allem gehen diese chlorierten Kohlenwasserstoffe natürlich in die Nahrungskette und sind hochgiftig, die sind sehr schwer nachzuweisen. Und gerade in warmen Gebieten wird der Ölteppich sehr stark abgebaut von Bakterien, die man inzwischen auch aktiv versprüht. Aber in arktischen Regionen, wo die Exxon Valdez damals auch gestrandet ist in der Arktis, da sind die Folgeschäden sehr, sehr groß. Durch die niedrigen Temperaturen wird das Öl nicht so schnell abgebaut, und die Langzeitschäden sind sehr viel folgenreicher.

Führer: Über die Bergung der Rohstoffschätze der Tiefsee und den Risiken spreche im Deutschlandradio Kultur mit dem Chefredakteur der Zeitschrift "mare", Nikolaus Gelpke. Herr Gelpke, Öl ist ja nicht der einzige Schatz, den die Tiefsee zu bieten hat – Deutschland hat sich im Pazifik die Schürfrechte an einem Gebiet von 75.000 Quadratkilometern gesichert, das entspricht der Größe Bayerns, um dort Manganknollen zu bergen. Manganknollen, das klingt irgendwie so nach einer interessanten Gemüseart, was ist denn an denen so interessant?

Gelpke: Die wurden erstmals entdeckt so in den Ende-60er-, Anfang-70er-Jahren, und man dachte, man hat jetzt die Zukunft gefunden, um eben diese sehr kostbaren Metalle, eben wie Mangan oder vor allem auch Nickel und Kupfer gewinnbringend einzusammeln und hat aber sehr schnell festgestellt, die kommen hauptsächlich in so ab 6000 Meter Tiefe vor, dass eben die Technologie kaum vorhanden war damals abzubauen, in Deutschland sehr stark hervorgetan. Damals hatte sich Preussag, weltweit einer führenden Konzerne, die sich technologisch sehr interessiert haben Manganknollen abzu ... , also abzubauen ist falsch, einzusammeln. Sie liegen, das sind so Knollen von vielleicht 10, 20 Zentimeter Durchmesser, auch in verschiedenen Größen, und die liegen auf dem flachen Sediment in 6000 Meter Tiefe. Man muss sich das so vorstellen, dass man sie eigentlich nur einsammeln kann, und dazu benötigt man im Grunde genommen große Dretschen, die man über den Meeresboden zieht wie so Bodennetze. Damit zerstört man aber die kompletten Strukturen von Fauna und Flora, also der Gebiete hauptsächlich nur der Fauna, und zerstört den Meeresboden komplett und hat drum – offiziell war immer, die Umweltschäden sind groß, in Wirklichkeit war der technologische Aufwand zu groß und zu teuer. Inzwischen steigen aber die Rohstoffpreise wie beim Öl – das ist der gleiche Effekt – so hoch an, dass man wieder darüber nachdenkt, Manganknollen einzusammeln, obwohl die eigentlich seit 30 Jahren keine Rolle mehr spielen. Und man muss auch ganz klar sehen, das neue internationale Seerecht ist das größte internationale Recht, was je verabschiedet wurde, wurde von den Amerikanern nie ratifiziert, von den Deutschen erst nach sehr, sehr langen Verhandlungen, und böse Zungen behaupten, auch nur deswegen, weil sie den Internationalen Seegerichtshof nach Deutschland haben wollten, als ersten internationalen Gerichtshof nach dem Zweiten Weltkrieg war das politisch nicht unwichtig für Deutschland. Aber im Grunde genommen ist an den Manganknollen und an der Möglichkeit des technologischen Abbaus ist im Prinzip die komplette Ratifizierung dieses Gesetzes gescheitert international. Die Amerikaner müssen sich daran nicht halten, sie haben das nie ratifiziert, bis heute, und im Grunde genommen ein Kernsatz dieses Internationalen Seerechts sagt, dass alles, was in internationalen Gewässern ist und am Boden der internationalen Gewässer, Common Heritage of Mankind ist, das heißt, es gehört allen und nicht niemandem, wie vor dem Gesetz. Da gehörte es niemandem, da konnte jeder ran, wenn es niemandem gehört, können Sie es haben.

Führer: Aber wenn Deutschland sich da jetzt ein Gebiet gesichert hat von 75.000 Quadratkilometern, dann muss doch jemand dieses, was eigentlich allen gehört, doch irgendwie verschiedenen Leuten dann verkaufen. Wie wird das aufgeteilt? Es liegt ja nun weit außerhalb der 200-Meilen-Zone.

Gelpke: Genau. Die Seabed Authority, das ist in Jamaika die Institution von der UNO, die das verwaltet, dieses Gebiet auf dem Meeresgrund, die ist berechtigt eben, quasi Schürfrechte an einzelne Länder zu verkaufen, und dieses Geld geht dann an die UNO und geht an die Weltengemeinschaft. Das ist der Gedanke dahinter. Das funktioniert in dem Fall sehr gut, in anderen Fällen überhaupt nicht. Zum Beispiel die Kabelfirmen, die internationale Kabel legen über dem Meeresgrund, die ganzen Computerkabel und Telefonkabel, da zahlen die Survivor-Firmen, die unglaublich viel Geld verdienen, keinen Cent an die UNO. Das ist schon immer so ein Bedarf gewesen, denen auch mal ein bisschen Geld abzuknöpfen, weil die im Prinzip auch den Boden nutzen. Also es ist nicht konsequent durchgezogen.

Führer: Und man kann nur sagen, wir wissen so wenig über die Tiefsee – Sie haben es vorhin bei den Manganknollen angedeutet –, dass wir die Folgeschäden des Abbaus, also die Folgen einfach wollen wir jetzt mal sagen, dieser massive Eingriff ins Ökosystem dort gar nicht abschätzen können.

Gelpke: Überhaupt nicht. Wir wissen viel zu wenig, und man darf nicht vergessen, es ist ein extrem lebensfeindlicher Bereich da unten. Drum kann man technologisch kaum eingreifen, das ist ganz, ganz schwierig – auch für die Wissenschaft.

Führer: Nikolaus Gelpke war das, der Chefredakteur der Zeitschrift "mare". Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch, Herr Gelpke!

Gelpke: Danke Ihnen!
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