"Man verlässt im Grunde sein Leben"
Eine bizarre russische Großmutter, ein Vater, der an den demokratischen Sozialismus glaubt, und ein Enkel, der aus der DDR ausreist: In seinem Romandebüt "In Zeiten des abnehmenden Lichts" erzählt Eugen Ruge, Gewinner des deutschen Buchpreises, eine Familiengeschichte.
Sigrid Brinkmann: Ich wollte von Eugen Ruge wissen, wie diese drei Generationen miteinander klarkommen und ob die Romanfiguren Personen aus seiner Familie ähneln.
Eugen Ruge: Ja, natürlich gibt es da Ähnlichkeiten, es gibt aber auch große Unterschiede. Zum Beispiel haben meine Großeltern die Wende gar nicht erlebt, während, im Roman ist es ja so, dass der 90. Geburtstag des Großvaters oder Stiefgroßvaters, der direkt vor der Wende stattfindet, eine entscheidende Rolle spielt, also auch für die Konstruktion des Romans, aber auch für die Geschichte.
Brinkmann: Ihr Roman ist in viele Kapitel gegliedert, die tragen alle lediglich Jahreszahlen. Sie hatten den 90. Geburtstag erwähnt, ist das der 1. Oktober 1989, der sechsmal auftaucht?
Ruge: Ja, sechsmal wird der Geburtstag des Großvaters, der natürlich des wirklichen Großvaters, den weiß ich gar nicht mehr, irgendwann im März, aber dieses Datum habe ich ja bewusst gewählt, kurz vor der Wende. Dieser Geburtstag wird und die Situation praktisch vor der Wende wird dann von sechs verschiedenen Figuren auf sechs verschiedene Weisen erzählt, das ist sehr wichtig für dieses Buch, diese verschiedenen, wechselnden Sichtweisen, Perspektiven. Jeder kommt also zu Wort mit seiner Sicht, ohne dass der Autor sich da übermäßig einmischt.
Brinkmann: Was ist passiert an diesem 1. Oktober, was kulminierte an Handlungen an diesem Tag, dem 90. Geburtstag?
Ruge: Ja, das ist im Einzelnen jetzt sehr schwer zu beschreiben, weil zumal es so ist, dass es sechs verschiedene Geschichten sind und für jeden ist es eine verschiedene Geschichte. Die russische Großmutter zum Beispiel, eine der auch ganz bizzaren Gestalten des Buches, beschließt zum Beispiel, nach Russland zurückzukehren und dort zu sterben. Das ist aber nur eine Geschichte von vielen, von sechs verschiedenen, die eben dort stattfinden. Sagen wir mal, entscheidend für diesen Geburtstag ist vielleicht Folgendes: dass der Enkel, Alexander, der von allen dort dringend erwartet wird, dass der also, wie sich herausstellt, gerade an dem Tag in den Westen geflohen ist. Das hält sozusagen die Sache dramaturgisch zusammen.
Brinkmann: Ihr Vater, Eugen Ruge, war Historiker. Haben Sie mit ihm viel über politische Geschichte geredet?
Ruge: Ja, natürlich haben wir eine ganze Menge darüber geredet. Mein Vater war ein sehr kritischer Geist, wie übrigens auch der Kurt im Stück, er war ein kritischer Intellektueller, der sozusagen so Vorstellungen vom demokratischen Sozialismus hatte, aber natürlich ganz klar antikapitalistisch eingestellt war. Also, wir haben schon während der DDR-Zeit eine Menge diskutiert, wobei wir uns immer einig waren, zu der Zeit. Und nach der Wende stellte sich heraus, dass es doch in vielen Punkten Differenzen gab.
Brinkmann: Hat Ihre Familie den Entschluss, den Sie selber gefasst haben 1988, die DDR zu verlassen, verstanden?
Ruge: Also, meine Großeltern lebten in Wirklichkeit gar nicht mehr, mein Vater hat das verstanden, der hatte auch die Nase ziemlich voll natürlich vom real existierenden Sozialismus in der DDR. Und meine Mutter war eine eher unpolitische Person, die hat das von einer ganz anderen Seite her genommen, die war schon enttäuscht, aber einfach, weil ich sozusagen die Familie nun verließ. Das ist ja auch ein Aspekt an einer Flucht immer, das darf man ja nicht vergessen, da verlässt man ja auch nicht nur ein Land, verlässt nicht nur ein politisches System, sondern man verlässt ja auch Menschen, man verlässt Freunde, man verlässt die Familie, man verlässt im Grunde sein Leben, das Leben, was man bis dahin gelebt hat.
Brinkmann: Wenn Sie auf Ihren Protagonisten Alexander schauen, wie steht der in der Welt?
Ruge: Na ja, Alexander ist jemand, von dem der Kurt mal sagt, der hat eigentlich alle seine Probleme dadurch gelöst, dass er flieht, dass er immer abhaut, dass er sich scheiden lässt, dass er das Studium hinschmeißt, wenn es ihm also irgendwie reicht, und der dann schließlich auch in den Westen abhaut. Ja, und irgendwie bringt ihn das natürlich schon am Ende in Schwierigkeiten. Zum Schluss, als er sozusagen erfährt, dass er krank ist, flieht er gewissermaßen in einer etwas irrationalen Reaktion nach Mexiko. Also, das ist eine ewige Fluchtbewegung, ja, und findet vielleicht dann am Ende dort zumindest zu einem Zustand der Schwebe und der Ruhe.
Brinkmann: Eugen Ruge, der Deutsche-Buchpreis-Träger 2011 im Deutschlandradio Kultur. "In Zeiten des abnehmenden Lichts" heißt Ihr ausgezeichneter Roman, Sie sind in der Sowjetunion geboren und mit zwei Jahren in die DDR gezogen, Sie haben als Mathematiker gearbeitet, dann gekündigt, Sie haben angefangen, für das Theater zu schreiben, Hörspiele, Filmszenarien. Wie alt ist denn Ihr Wunsch, das Leben als Schriftsteller zu erforschen und auch in die Hand zu nehmen?
Ruge: Dieser Wunsch ist irgendwie schon eine Weile da, ich erinnere mich da immer ganz gerne an eine Episode im Kindergarten, als meine Kindergärtnerinnen mich fragten, was macht denn dein Vater, und ich sagte dann, ja, der sitzt zu Hause und schreibt auf der Schreibmaschine. Und dann sagten sie beide, oh, er ist Schriftsteller! Das ist so was, woran ich mich erinnere, dass ich also offensichtlich als sehr kleines Kind verstanden habe, dass das etwas ist, was also zumindest damals eine sehr respektvolle Sache war. Also, heute ist es vielleicht nicht so stark, da gibt es andere Dinge, andere Berufe, andere, die mehr im Vordergrund stehen, aber damals hat mich das sehr beeindruckt. Und ja, ich weiß nicht, vielleicht habe ich da …
Brinkmann: … ist auf jeden Fall haften geblieben …
Ruge: … ist auf jeden Fall haften geblieben, möglicherweise kam mir zum ersten Mal die Idee, ja, das könnte man werden.
Brinkmann: Wie hat sich denn die Idee für diesen Roman – es ist Ihr Debütroman – langsam verfestigt?
Ruge: Ja, das war ein sehr langer Prozess. Also, ich bin ja abgehauen, ein bisschen früher als der Alexander im Roman, und hatte erst mal gar kein Interesse für die DDR, kam mir alles grau und langweilig vor. Und erst nach der Wende, als die DDR dann verschwunden war, fing das an, überhaupt wieder interessant zu werden, habe ich mehr und mehr begriffen, dass auch die Familie und die einzelnen Familienmitglieder durchaus bizarre und interessante Figuren sind, und habe dann angefangen, darüber mit einem Kapitel über meine Großmutter väterlicherseits, also die deutsche oder mexikanische Großmutter, weil die in Mexiko im Exil war. Es hat dann nicht funktioniert, dann habe ich irgendwann ein Theaterstück geschrieben und das hat funktioniert, aber war dann irgendwie doch zu klein für den ganzen Stoff. Also, das ist ein sehr, sehr langer Prozess, bis ich dann irgendwann mich hingesetzt habe und dann tatsächlich gesagt habe, so, jetzt schreibst du dieses Ding mal komplett auf.
Brinkmann: Was mir an Ihrem Roman gefällt, ist der manchmal schnoddrige Ton, in dem bissig-ironische Bemerkungen dann auch in Klammern gesetzt und als Kommentar angefügt werden, es gibt sehr burleske Szenen, fein beobachtete Alltagsszenen, entblößt wird das lächerliche Gehabe einer alten, abgewrackten Funktionselite. Wie leicht, Eugen Ruge, ist es Ihnen gefallen, so distanziert auf Menschen zu schauen, die ja doch von ihrer Wichtigkeit doch auch überzeugt sind?
Ruge: Die Distanz stellt sich natürlich nach und nach erst ein. Sehr wichtig fürs Schreiben war, dass die Familienmitglieder, die ich da zum Vorbild nehme, alle verstorben waren irgendwann, das erleichtert sowohl beim Nachahmen, als auch beim Erfinden. Ich habe einfach den Blick, den ich habe, verstehen Sie, ich habe keinen anderen, und der hat sich mit der Zeit entwickelt. Und da ist eine bestimmte Distanz, ich spüre das selbst, ist da. Aber ja, ich habe sozusagen die ja nicht künstlich erzeugt oder so, es ist einfach so, wie es ist.
Brinkmann: Der Deutsche Buchpreis ist mit 25.000 Euro gut dotiert, in dieser Woche erhalten Sie noch den aspekte-Preis 2012. Kommt diese materielle Unterstützung gerade recht, um ein nächstes literarisches Projekt zu beginnen? Denn eigentlich müssten sie nach einem so erfolgreichen Debüt ja unbedingt weiterschreiben?
Ruge: Ja, natürlich, ich schreibe seit 20 Jahren, schreibe ich eigentlich ununterbrochen, also fast jeden Tag, muss man sagen. Und ich muss auch sagen, dass Schreiben und das Zustandekriegen von einer halbwegs vernünftigen Seite, dass das auch mein Lebensstoff ist, das macht den gelungenen Tag aus. Das Problem im Augenblick ist natürlich, dass das nicht funktioniert jetzt und wahrscheinlich auch die nächsten Wochen nicht. Ich hoffe, dass ich so bald wie möglich irgendwie die Ruhe und Gelassenheit wiederfinde und auch die äußere Situation, wo das möglich ist, wieder zum Schreiben zurückzukehren. Was ich dann mache, das weiß ich noch nicht genau und wenn ich es wüsste, würde ich es jetzt auch nicht sagen. Weil ich habe sozusagen ein bisschen unter Beobachtung gestanden jetzt seit dem Alfred-Döblin-Preis, den ich ja für das Manuskript bekommen habe, und schreibe sozusagen seit zwei Jahren mehr oder weniger unter Aufsicht und mit großen Erwartungen auch. Und …
Brinkmann: … da gibt es ein Recht auf Rückzug.
Ruge: Da gibt es ein gewisses Recht auf Rückzug und ich sage mal jetzt nichts darüber, was ich vorhabe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links auf dradio.de:
DRadio Wissen: Deutscher Buchpreis für Eugen Ruge
Eugen Ruge: Ja, natürlich gibt es da Ähnlichkeiten, es gibt aber auch große Unterschiede. Zum Beispiel haben meine Großeltern die Wende gar nicht erlebt, während, im Roman ist es ja so, dass der 90. Geburtstag des Großvaters oder Stiefgroßvaters, der direkt vor der Wende stattfindet, eine entscheidende Rolle spielt, also auch für die Konstruktion des Romans, aber auch für die Geschichte.
Brinkmann: Ihr Roman ist in viele Kapitel gegliedert, die tragen alle lediglich Jahreszahlen. Sie hatten den 90. Geburtstag erwähnt, ist das der 1. Oktober 1989, der sechsmal auftaucht?
Ruge: Ja, sechsmal wird der Geburtstag des Großvaters, der natürlich des wirklichen Großvaters, den weiß ich gar nicht mehr, irgendwann im März, aber dieses Datum habe ich ja bewusst gewählt, kurz vor der Wende. Dieser Geburtstag wird und die Situation praktisch vor der Wende wird dann von sechs verschiedenen Figuren auf sechs verschiedene Weisen erzählt, das ist sehr wichtig für dieses Buch, diese verschiedenen, wechselnden Sichtweisen, Perspektiven. Jeder kommt also zu Wort mit seiner Sicht, ohne dass der Autor sich da übermäßig einmischt.
Brinkmann: Was ist passiert an diesem 1. Oktober, was kulminierte an Handlungen an diesem Tag, dem 90. Geburtstag?
Ruge: Ja, das ist im Einzelnen jetzt sehr schwer zu beschreiben, weil zumal es so ist, dass es sechs verschiedene Geschichten sind und für jeden ist es eine verschiedene Geschichte. Die russische Großmutter zum Beispiel, eine der auch ganz bizzaren Gestalten des Buches, beschließt zum Beispiel, nach Russland zurückzukehren und dort zu sterben. Das ist aber nur eine Geschichte von vielen, von sechs verschiedenen, die eben dort stattfinden. Sagen wir mal, entscheidend für diesen Geburtstag ist vielleicht Folgendes: dass der Enkel, Alexander, der von allen dort dringend erwartet wird, dass der also, wie sich herausstellt, gerade an dem Tag in den Westen geflohen ist. Das hält sozusagen die Sache dramaturgisch zusammen.
Brinkmann: Ihr Vater, Eugen Ruge, war Historiker. Haben Sie mit ihm viel über politische Geschichte geredet?
Ruge: Ja, natürlich haben wir eine ganze Menge darüber geredet. Mein Vater war ein sehr kritischer Geist, wie übrigens auch der Kurt im Stück, er war ein kritischer Intellektueller, der sozusagen so Vorstellungen vom demokratischen Sozialismus hatte, aber natürlich ganz klar antikapitalistisch eingestellt war. Also, wir haben schon während der DDR-Zeit eine Menge diskutiert, wobei wir uns immer einig waren, zu der Zeit. Und nach der Wende stellte sich heraus, dass es doch in vielen Punkten Differenzen gab.
Brinkmann: Hat Ihre Familie den Entschluss, den Sie selber gefasst haben 1988, die DDR zu verlassen, verstanden?
Ruge: Also, meine Großeltern lebten in Wirklichkeit gar nicht mehr, mein Vater hat das verstanden, der hatte auch die Nase ziemlich voll natürlich vom real existierenden Sozialismus in der DDR. Und meine Mutter war eine eher unpolitische Person, die hat das von einer ganz anderen Seite her genommen, die war schon enttäuscht, aber einfach, weil ich sozusagen die Familie nun verließ. Das ist ja auch ein Aspekt an einer Flucht immer, das darf man ja nicht vergessen, da verlässt man ja auch nicht nur ein Land, verlässt nicht nur ein politisches System, sondern man verlässt ja auch Menschen, man verlässt Freunde, man verlässt die Familie, man verlässt im Grunde sein Leben, das Leben, was man bis dahin gelebt hat.
Brinkmann: Wenn Sie auf Ihren Protagonisten Alexander schauen, wie steht der in der Welt?
Ruge: Na ja, Alexander ist jemand, von dem der Kurt mal sagt, der hat eigentlich alle seine Probleme dadurch gelöst, dass er flieht, dass er immer abhaut, dass er sich scheiden lässt, dass er das Studium hinschmeißt, wenn es ihm also irgendwie reicht, und der dann schließlich auch in den Westen abhaut. Ja, und irgendwie bringt ihn das natürlich schon am Ende in Schwierigkeiten. Zum Schluss, als er sozusagen erfährt, dass er krank ist, flieht er gewissermaßen in einer etwas irrationalen Reaktion nach Mexiko. Also, das ist eine ewige Fluchtbewegung, ja, und findet vielleicht dann am Ende dort zumindest zu einem Zustand der Schwebe und der Ruhe.
Brinkmann: Eugen Ruge, der Deutsche-Buchpreis-Träger 2011 im Deutschlandradio Kultur. "In Zeiten des abnehmenden Lichts" heißt Ihr ausgezeichneter Roman, Sie sind in der Sowjetunion geboren und mit zwei Jahren in die DDR gezogen, Sie haben als Mathematiker gearbeitet, dann gekündigt, Sie haben angefangen, für das Theater zu schreiben, Hörspiele, Filmszenarien. Wie alt ist denn Ihr Wunsch, das Leben als Schriftsteller zu erforschen und auch in die Hand zu nehmen?
Ruge: Dieser Wunsch ist irgendwie schon eine Weile da, ich erinnere mich da immer ganz gerne an eine Episode im Kindergarten, als meine Kindergärtnerinnen mich fragten, was macht denn dein Vater, und ich sagte dann, ja, der sitzt zu Hause und schreibt auf der Schreibmaschine. Und dann sagten sie beide, oh, er ist Schriftsteller! Das ist so was, woran ich mich erinnere, dass ich also offensichtlich als sehr kleines Kind verstanden habe, dass das etwas ist, was also zumindest damals eine sehr respektvolle Sache war. Also, heute ist es vielleicht nicht so stark, da gibt es andere Dinge, andere Berufe, andere, die mehr im Vordergrund stehen, aber damals hat mich das sehr beeindruckt. Und ja, ich weiß nicht, vielleicht habe ich da …
Brinkmann: … ist auf jeden Fall haften geblieben …
Ruge: … ist auf jeden Fall haften geblieben, möglicherweise kam mir zum ersten Mal die Idee, ja, das könnte man werden.
Brinkmann: Wie hat sich denn die Idee für diesen Roman – es ist Ihr Debütroman – langsam verfestigt?
Ruge: Ja, das war ein sehr langer Prozess. Also, ich bin ja abgehauen, ein bisschen früher als der Alexander im Roman, und hatte erst mal gar kein Interesse für die DDR, kam mir alles grau und langweilig vor. Und erst nach der Wende, als die DDR dann verschwunden war, fing das an, überhaupt wieder interessant zu werden, habe ich mehr und mehr begriffen, dass auch die Familie und die einzelnen Familienmitglieder durchaus bizarre und interessante Figuren sind, und habe dann angefangen, darüber mit einem Kapitel über meine Großmutter väterlicherseits, also die deutsche oder mexikanische Großmutter, weil die in Mexiko im Exil war. Es hat dann nicht funktioniert, dann habe ich irgendwann ein Theaterstück geschrieben und das hat funktioniert, aber war dann irgendwie doch zu klein für den ganzen Stoff. Also, das ist ein sehr, sehr langer Prozess, bis ich dann irgendwann mich hingesetzt habe und dann tatsächlich gesagt habe, so, jetzt schreibst du dieses Ding mal komplett auf.
Brinkmann: Was mir an Ihrem Roman gefällt, ist der manchmal schnoddrige Ton, in dem bissig-ironische Bemerkungen dann auch in Klammern gesetzt und als Kommentar angefügt werden, es gibt sehr burleske Szenen, fein beobachtete Alltagsszenen, entblößt wird das lächerliche Gehabe einer alten, abgewrackten Funktionselite. Wie leicht, Eugen Ruge, ist es Ihnen gefallen, so distanziert auf Menschen zu schauen, die ja doch von ihrer Wichtigkeit doch auch überzeugt sind?
Ruge: Die Distanz stellt sich natürlich nach und nach erst ein. Sehr wichtig fürs Schreiben war, dass die Familienmitglieder, die ich da zum Vorbild nehme, alle verstorben waren irgendwann, das erleichtert sowohl beim Nachahmen, als auch beim Erfinden. Ich habe einfach den Blick, den ich habe, verstehen Sie, ich habe keinen anderen, und der hat sich mit der Zeit entwickelt. Und da ist eine bestimmte Distanz, ich spüre das selbst, ist da. Aber ja, ich habe sozusagen die ja nicht künstlich erzeugt oder so, es ist einfach so, wie es ist.
Brinkmann: Der Deutsche Buchpreis ist mit 25.000 Euro gut dotiert, in dieser Woche erhalten Sie noch den aspekte-Preis 2012. Kommt diese materielle Unterstützung gerade recht, um ein nächstes literarisches Projekt zu beginnen? Denn eigentlich müssten sie nach einem so erfolgreichen Debüt ja unbedingt weiterschreiben?
Ruge: Ja, natürlich, ich schreibe seit 20 Jahren, schreibe ich eigentlich ununterbrochen, also fast jeden Tag, muss man sagen. Und ich muss auch sagen, dass Schreiben und das Zustandekriegen von einer halbwegs vernünftigen Seite, dass das auch mein Lebensstoff ist, das macht den gelungenen Tag aus. Das Problem im Augenblick ist natürlich, dass das nicht funktioniert jetzt und wahrscheinlich auch die nächsten Wochen nicht. Ich hoffe, dass ich so bald wie möglich irgendwie die Ruhe und Gelassenheit wiederfinde und auch die äußere Situation, wo das möglich ist, wieder zum Schreiben zurückzukehren. Was ich dann mache, das weiß ich noch nicht genau und wenn ich es wüsste, würde ich es jetzt auch nicht sagen. Weil ich habe sozusagen ein bisschen unter Beobachtung gestanden jetzt seit dem Alfred-Döblin-Preis, den ich ja für das Manuskript bekommen habe, und schreibe sozusagen seit zwei Jahren mehr oder weniger unter Aufsicht und mit großen Erwartungen auch. Und …
Brinkmann: … da gibt es ein Recht auf Rückzug.
Ruge: Da gibt es ein gewisses Recht auf Rückzug und ich sage mal jetzt nichts darüber, was ich vorhabe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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DRadio Wissen: Deutscher Buchpreis für Eugen Ruge