"Man versucht, Normalität zu leben"

Ulrich Nowak im Gespräch mit Ute Welty |
Unter den internationalen Sanktionen habe in Syrien nicht nur das Assad-Regime, sondern auch die Bevölkerung zu leiden, meint der Leiter des Goethe-Instituts in Damaskus, Ulrich Nowak. Viele Produkte würden teurer, außerdem gebe es in der syrischen Hauptstadt täglich Stromausfälle.
Ute Welty: "Vorübergehend geschlossen" – so steht es auf der Homepage des Goethe-Institutes Damaskus. Und das muss einen nicht wundern angesichts der Schreckensnachrichten aus Syrien. Aber "vorübergehend geschlossen" bedeutet nicht, dass sich gar niemand mehr kümmert. Ulrich Nowak leitet das Goethe-Institut Damaskus und hat sich bis vor Kurzem auch in Syrien befunden. Und er hat es einrichten können, mit uns über seine Arbeit und seinen Aufenthalt dort zu sprechen. Ich wollte zunächst von ihm wissen, wie viel Zeit er überhaupt in Syrien verbringen will und kann?

Ulrich Nowak: Diesmal waren es drei Tage. In der Regel sind es zwischen drei und fünf Tagen. Bis Januar ungefähr war ich alle zehn Tage in Damaskus, in Syrien. Jetzt ist es etwas seltener, weil ich ja gleichzeitig das Institut in Beirut zu verantworten habe.

Welty: Und wonach entscheiden Sie, ob Sie einreisen oder ob Sie lieber im Libanon bleiben?

Nowak: Ich entscheide es ein bisschen natürlich nach der aktuellen Situation, nach der jeweiligen Lage. Aber ansonsten ist es halt auch ganz, ganz wichtig für die Mitarbeiter dort, dass sie ein Gesicht haben, auf dass sie sich verlassen können, dass sie einfach wissen, ich komme regelmäßig, und um ihnen ein kleines Stück Normalität also auch zu vermitteln.

Welty: Wie geht es denn den einheimischen Kolleginnen und Kollegen, wie handeln die die unübersichtliche Lage im Land?

Nowak: Den Kolleginnen und Kollegen geht es soweit ganz gut. Natürlich hat jeder Sorge, wie es weiter geht, auch wir können das noch nicht so richtig absehen, aber wir hoffen doch, dass alles weitergeht.

Welty: Was bedeutet das denn praktisch, wenn das Institut vorübergehend geschlossen ist? Wie sieht denn dann Ihr Arbeitsalltag dort aus?

Nowak: Das sieht so aus, dass es einige Kollegen gibt, die trotzdem kommen, weil, es muss sich ja jemand um das Gebäude kümmern, da muss man einfach nach dem Rechten schauen, da müssen Rechnungen bezahlt werden, da muss auch mal geputzt werden. Und ein Teil der Mitarbeiter ist zu Hause und kommt nicht ins Institut, weil es keine Arbeit gibt momentan.

Welty: Und wenn Sie sich in Syrien, in Damaskus aufhalten, haben Sie das Gefühl, Sie sind einigermaßen sicher?

Nowak: Ich bin absolut sicher.

Welty: Auf wen oder was können Sie sich verlassen?

Nowak: Wie soll ich sagen … Ich komme gerade aus Damaskus. Ich weiß, was in Deutschland geschrieben wird. Davon finden Sie nichts in Damaskus. Das ist eine Stadt, wie ich sie seit vielen Jahren kenne. Wenn Sie nicht wüssten, dass es da auch anderes gibt, Sie würden es nicht glauben. Ich bin tagsüber im Institut und am Abend gehe ich spazieren oder essen oder auf den Markt, die Straßen sind voll, jetzt ist es wärmer geworden, es ist Frühling. Wir hatten gerade gestern so ungefähr 24 Grad, Wochenende, die Leute kommen raus, als ob nichts wäre.

Welty: Spiegelt sich denn das, was in den Medien hier zutage tritt, in irgendeiner Form wider, beispielsweise auch in den Gesprächen mit den Mitarbeiterinnen, mit den Mitarbeitern?

Nowak: Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass die Berichterstattung im Ausland nur zum Teil zur Kenntnis genommen wird. Man ist irgendwo auch müde dieser ganzen Geschichte. Natürlich weiß man, dass das Land Schwierigkeiten hat, aber man versucht trotzdem, Normalität zu leben. Außerdem, ja, wie soll ich sagen, hat sich jetzt auch so ein bisschen die Haltung eingestellt: Ja, wir wissen ja eh, was das Ausland über uns denkt, und wir müssen halt damit leben.

Welty: Das klingt sehr fatalistisch.

Nowak: Es ist ziemlich fatalistisch, ja. Zumal sich ja diese Situation für das Land immer mal wiederholt. Ich will nicht sagen, man ist es gewöhnt, aber man hat sich schon ein Stück weit daran gewöhnt, dass das so ist. Man lebt mit dem, was man hat, man lebt zum Teil gut. Für die Menschen ist es zum Teil auch schwer nachvollziehbar, zumal ja auch im syrischen Fernsehen etwas anderes kommuniziert wird.

Welty: Erleben Sie auch in solchen Gesprächen, dass von Ihnen als Europäer, als Deutscher mehr Hilfe gefordert wird als einem Vertreter der westlichen Welt?

Nowak: Nein. Überhaupt nicht. Ich habe den Vorteil, dass ich sehr, sehr gut integriert bin, weil ich eine arabische Familie habe und Teil dieser arabischen Familie bin und mich halt auch … auf Arabisch halt frei bewege. Und da geht es um anderes. Also, mit diesen Problemen belästigt man mich nie.

Welty: Worum geht es denn dann?

Nowak: Es geht um Alltägliches. Es geht darum, was erzählt wird über das Land, es geht um die Probleme, die man hat, es geht jetzt zum Beispiel darum, dass verschiedene Produkte teurer werden, es geht um die Sanktionen, unter denen halt auch viele, viele Syrer zu leiden haben, auch um das, was jetzt beschlossen wurde, eventuell keine Passagierflieger mehr nach Syrien … Es geht um Alltag.

Welty: Das heißt, Sie stellen auch fest, dass die europäischen Sanktionen die Versorgungslage verschärfen?

Nowak: Die Versorgungslage ist stabil. Was ein Problem ist, das ist allerdings Strom. Es gibt in Damaskus Stromabschaltungen zwischen, sagen wir, fünf und zwölf Stunden pro Tag. Das ist natürlich schwierig, das ist ein Problem. Was die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln angeht, gibt es keinerlei Probleme, keinerlei. Es gibt Teuerungen, ja, aber die Basics sind nach wie vor fast zu den gleichen Preisen da, und vor allem, es gibt alles in ausreichenden Mengen.

Welty: Eine Vokabel, die hier viel transportiert wird, das ist die des Bürgerkriegs. Würden Sie sagen, Syrien befindet sich im Bürgerkrieg?

Nowak: Ein Beispiel: Ich bin gerade über die Grenze gekommen. Monatelang war die Grenze zwischen Syrien und Libanon leer. Jetzt, in der letzten Woche, kam die Nachricht, dass die Kämpfe in Homs beendet sind. Die Grenze, die ich erlebt habe, die war die Grenze, wie ich sie kenne aus Friedenszeiten: voll, voll, voll, nach beiden Seiten hin, nach Syrien rein, in den Libanon rein. Die Leute, die Syrer interpretieren das als ein Zeichen, dass langsam wieder Normalität einzieht.

Welty: Sie sind ja ein weit gereister Mann mit viel internationaler Erfahrung, unter anderem aus Peking und Singapur. Angesichts dieser Ihrer Erfahrungen, blicken Sie eher optimistisch oder eher pessimistisch in die syrische Zukunft?

Nowak: Ich wünsche dem Land und seinen Leuten, dass Normalität wieder einzieht, dass es keinen Bürgerkrieg gibt, den es in Ansätzen gab. Ich bin ein bisschen optimistischer geworden, aber das ist noch lange nicht genug, dass es ausreichen würde. Es gibt sehr, sehr viele interessierte Parteien in dieser Geschichte und ich vermag in keinster Weise abzusehen, welche dieser Parteien halt mit ihren Interessen sich dann durchsetzt. Aber ich hoffe, es ist alles für Syrien und für das syrische Volk. Die haben es verdient.

Welty: Ulrich Nowak leitet das Goethe-Institut in Damaskus und hat uns einen Einblick gegeben in seinen syrischen Alltag. Dafür ganz herzlichen Dank!

Nowak: Bitte, gern!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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