Mangelland Mosambik

Krisen soweit das Auge reicht

21:51 Minuten
Ein Mann läuft in Maputo an einer Wand entlang, die mit roten Plakaten des mosambikanischen Staatschefs Filipe Jacinto Nyusi von der Frelimo beklebt ist.
Seit über 40 Jahren regiert in Mosambik die Frelimo - daran wird sich auch nach diesen Wahlen nichts ändern. © Imago / epd / Stefan Ehlert
Von Leonie March |
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Armut, Katastrophen, Korruption, Gewalt: Mosambik in Ostafrika, wo heute gewählt wird, ist ein Land der Krisen. Seit der Unabhängigkeit von Portugal im Jahr 1975 regiert die Befreiungsbewegung Frelimo - keine Erfolgsgeschichte, wie der Alltag zeigt.
Flora George hängt Wäsche zum Trocknen auf die Leine vor ihrem Haus - oder eher ihrer Behausung. Denn die ist nicht aus Stein gebaut, sondern aus Wellblech. Mehrere winzige Räume, die windschief an der Mauer eines Rohbaus befestigt sind.

Im Podcast der Weltzeit spricht David Jacob von der Welthungerhilfe über seine Erlebnisse in Mosambik beim Einsatz nach der Verwüstung durch zwei Zyklone.

Hier in Infulene, einem Viertel von Matola, wohnt die 37-Jährige mit ihren sieben Kindern und ihrer alten Mutter. Die Familie lebt von der Hand in den Mund.
"Manchmal gehe ich zu einer Familie und putze ihr Haus. Dafür geben sie mir etwas Reis und andere Lebensmittel. Ansonsten suche ich dort drüben in der Müllhalde nach Dingen, die noch gebraucht und verkauft werden können."
Dionisio, der Sohn von Flora George, sitzt mit 18 Jahren in der sechsten Klasse. Er hatte einen schweren Autounfall auf einer der katastrophalen Straßen. Neben ihm stehen kleine Geschwister.
Dionisio, der Sohn von Flora George, besucht mit 18 Jahren die erst die sechste Klasse.© Leonie March
Flora George ist eine zierliche Frau mit dem Körperbau einer Teenagerin. Das könnte darauf hinweisen, dass sie bereits als Kind chronisch mangelernährt war. So wie über 40 Prozent der Kinder in Mosambik. Ganze 80 Prozent der Bevölkerung können sich keine adäquate Ernährung leisten, schätzt das Welternährungsprogramm. Durch Dürre, Überschwemmungen und die beiden Zyklone, die im Frühjahr große Regionen im Norden des Landes verwüstet hatten, hat sich die ohnehin prekäre Lage weiter zugespitzt. Menschen ziehen vom Land in Städte wie Matola, doch dort wartet nicht unbedingt ein besseres Leben auf sie.

40 Prozent Analphabeten

Matola grenzt an die Hauptstadt Maputo. Rund 1,6 Millionen Menschen leben hier, mehr als in Maputo. Getrennt sind die beiden Städte durch eine Art grüne Grenze. Landwirtschaftliche Flächen, bewirtschaftet von Kleinbauern, die damit ihre Familien ernähren und den Überschuss verkaufen. "Die meisten meiner Nachbarn haben dort ein Stückchen Land", erzählt Flora George.
"Ich selbst habe hier, direkt neben meinem Haus noch bis vor kurzem etwas Gemüse angebaut, damit wir etwas zu essen haben. Aber das Grundstück gehört einer Kirche und die baut dort nun ein neues Gebäude. Also musste ich meinen kleinen Garten räumen. Ich hoffe, dass sie uns nun nicht auch noch aus unserem Haus vertreiben."
Denn die Familie hat schon so genug Probleme. Zur bitteren Armut kommen Schicksalsschläge. Zwei ihrer Söhne sind bei Autounfällen auf den katastrophalen Straßen Mosambiks schwer verletzt worden. Ob im Krankenhaus wirklich alles Erdenkliche für sie getan wurde, weiß die Mutter nicht. Staatliche Kliniken sind in Mosambik schlecht ausgestattet, es mangelt unter anderem an Personal, Diagnoseinstrumenten und Medikamenten.
Jedenfalls lernt ihr Ältester, Dionisio, seit dem Unfall schwer und ist deshalb jahrelang gar nicht zur Schule gegangen: "Ich habe mir ein paar Gelegenheitsjobs gesucht und meiner Mutter bei der Arbeit auf der Müllhalde geholfen. Mit dem Geld, das ich verdient habe, konnte ich Schulmaterialien für meine jüngeren Brüder kaufen."
Stolz erzählt Dionisio, dass er nun selbst wieder zur Schule geht. Dank eines Pilotprojekts für inklusive Bildung. Nicht etwa vom Staat, sondern, wie so oft in Mosambik, von einer internationalen Hilfsorganisation finanziert, in diesem Fall "Handicap International". Mit 18 Jahren sitzt Dionisio jetzt in der sechsten Klasse. Trotzdem schöpft seine Mutter Hoffnung.
Sie selbst ist Analphabetin, so wie über 40 Prozent der Mosambikaner: "Ich hoffe, dass Dionisio etwas aus seiner Zukunft machen kann, dass es unserer Familie dadurch langfristig besser gehen wird und wir vielleicht sogar den Nachbarn helfen können, die uns in schweren Zeiten unterstützt haben. Mein größter Traum wäre ein richtiges Haus, und dass alle meine Kinder zur Schule gehen können."

Knappe Finanzen: Schule im Dreischicht-System

Nachmittags trifft Dionisio zum Unterricht in seiner Schule ein. Er hat sich schick gemacht und trägt ein makellos weißes Hemd, frisch von der Wäscheleine.
Über 50 Mitschüler sitzen in Dionisios Klasse. Der Raum ist zum Bersten voll. Dabei werden die Kinder an dieser, wie an vielen Schulen Mosambiks, bereits über den Tag verteilt in drei Schichten unterrichtet. Es mangelt an Lehrern und Klassenzimmern.
"Hier werden die knappen Staatsfinanzen sichtbar", räumt Inocencia Langa ein, die Vertreterin des Bildungsministeriums in Matola. "Lassen sie es mich so ausdrücken, ohne konkrete Zahlen zu nennen: Wenn der Bildungssektor Geld hätte, dann gäbe es ausreichend Klassenräume für alle Schüler. In der Realität werden viele von ihnen jedoch bis heute unter freiem Himmel, buchstäblich unter Bäumen, unterrichtet. Wir brauchen also mehr Geld. Das jetzige Budget reicht bei weitem nicht aus."
Doch der Grund für diesen Mangel, der ebenso den Gesundheits- und andere wichtige Bereiche der öffentlichen Versorgung betrifft, liegt nicht allein darin, dass Mosambik eines der ärmsten Länder der Welt ist. Das Problem ist teilweise hausgemacht. Jahrelang war der Staat von der Budgethilfe internationaler Geber abhängig, doch dann kam die Eiszeit. Gelder wurden eingefroren, als der "versteckte Schuldenskandal" vor drei Jahren öffentlich wurde und weltweit Schlagzeilen machte.

Skandal 2016: Regierung veruntreut zwei Milliarden US-Dollar

Kredite in einer Höhe von über zwei Milliarden US-Dollar hatte die Regierung heimlich aufgenommen, am Parlament und den Gebern vorbei, gestützt mit illegalen Staatsgarantien. Drei halbstaatliche Firmen sollten damit angeblich den Kauf von Patrouillenbooten und einer Thunfisch-Flotte finanzieren. Stattdessen versickerte ein großer Teil der Summe, Schmiergelder wurden gezahlt, Verantwortliche mehrerer Ministerien und des Gemeindienstes haben profitiert.
Nachdem Medien den Skandal publik machten, stürzte die Währung ab, die Staatsverschuldung schnellte in die Höhe. Es war der Beginn einer schweren Wirtschaftskrise in dem sowieso gebeutelten Land, von der sich Mosambik nur langsam erholt.
In der Hauptstadt Maputo sind die Zeichen der Krise deutlich sichtbar: Läden stehen leer, die in den Jahren des Aufschwungs noch floriert hatten. Die Zahl der fliegenden Händler hat dagegen augenscheinlich zugenommen. Ebenso wie die Zahl jener Menschen, die gar nichts haben: Zerlumpte Gestalten stochern in Müllcontainern, auf der Suche nach Essensresten, die sie hungrig verschlingen.
Zeca Cossa geht schweigend an ihnen vorbei. Erst ein paar Schritte weiter macht er seiner Wut Luft: "Wir haben Gauner hier, wir haben keine Regierung." Cossa spricht Deutsch, weil er mehrere Jahre in der ehemaligen DDR gelebt hat, wie insgesamt 16.000 Vertragsarbeiter aus Mosambik von 1979 bis 1990.
"Diese Krise bringt viele Leute wirklich zur Armut", sagt er. "Es gibt Leute im Land, die produzieren so viele Tomaten, Zwiebeln und was weiß ich. Niemand kauft hier in der Stadt, weil es eine große Krise gibt. Viele Projekte in Maputo oder in Mosambik funktionieren nicht, weil es an Geld mangel. Die haben diese Schiffe gekauft und viele Leute hier, die haben kein Geld mehr. Viele Betriebe, die schließen die Tür und viele Leute die werden jetzt langsam arbeitslos. Viele."
Zeca Cossa selbst hält sich und seine Familie mit einem kleinen Kiosk über Wasser. Wir verabreden uns dort für den Nachmittag.
Zeca Cossa steht vor einem Schild.
Zeca Cossa war in den 1980er Jahren Vertragsarbeiter in der DDR. Er hat einen Kiosk in Mosambiks Hauptstadt Maputo.© Leonie March
In den Seitenstraßen der Altstadt herrscht das alltägliche Chaos: Junge Männer waschen ihre Minibustaxis, die in Mosambik Chapas genannt werden. Passanten und Autos drängen sich an ihnen vorbei, weil auf den Bürgersteigen vor lauter kleinen Ständen kaum Platz für Fußgänger ist.
Hier stehen die kleinen Buden, in denen Händler Handy-Guthaben und kalte Getränke verkaufen. Marktfrauen bieten Gemüse und Garnelen feil, andere haben Capulanas vor sich ausgebreitet. Farbenfrohe, meist großgemusterte Stoffe, die in Mosambik allgegenwärtig sind. Sie werden um die Hüften gewickelt als Rock getragen, als Tragetücher für Babys, Tischtücher und vieles mehr genutzt.
"Das hat uns auf eine Geschäftsidee gebracht", erzählt Djamila Machava de Sousa. "Die meisten Capulanas werden heutzutage nicht in Mosambik hergestellt. Früher, bis in die 80er Jahre, gab es hier noch Textilfabriken, in denen auch die Designs entworfen wurden. Aber seit dem Niedergang der Textilindustrie werden sie importiert. Dieser Entwicklung wollten wir etwas entgegensetzen."

Zwei Gründerinnen verfolgen ihren Traum

Im Haus ihrer Geschäftspartnerin Wacy Zacarias haben die beiden eine kleine Textilmanufaktur eingerichtet. Sie haben Mode- und Textildesign studiert und im Ausland gearbeitet, bevor sie in ihre Heimat zurückgekehrt sind. "Die Wirtschaftskrise konnte uns nicht abhalten", erzählt Wacy Zacarias.
"Es kann ein Vorteil sein, dass wir unser Start-up zu Beginn der Krise gegründet haben. Jedes Geschäft, das eine solche Zeit übersteht, zeigt, dass es überleben kann. Aber natürlich ist nicht alles rosig: Unser Geschäft hat sich langsamer entwickelt als erhofft. Wir spüren, dass die Leute wenig Geld haben. Außerdem gibt es kaum staatliche Unterstützung Es ist einfach kein Umfeld, das auf kleine und mittelständische Unternehmen zugeschnitten ist."
Immer wieder klagen Geschäftsleute auch über die Schmiergelder, die von ihnen verlangt werden. Djamila Machava de Sousa drückt sich diplomatischer aus: Für die Zusammenarbeit mit den Behörden, etwa beim Zoll, brauche man viel Geduld.
Die Designerinnen Wacy Zacarias (l.) und Djamila Machava de Sousa aus Mosambik vor ihren Capulanas - den bunt bedruckten Stoffen aus Mosambik
Die Designerinnen Wacy Zacarias (l.) und Djamila Machava de Sousa aus Mosambik vor ihren Capulanas© Deutschlandradio/Leonie March
"Es ist alles sehr schwierig und bürokratisch. Niemand kann einem eine umfassende Auskunft geben. Man wird von einer staatlichen Stelle zur nächsten geschickt. Die Abläufe und Gebühren sind nie klar oder übersichtlich. Zwar ist es gerade in Mode, über die Förderung von Start-Ups zu sprechen, aber in der Realität spürt man davon nichts. Das beginnt schon bei der mangelnden Ausbildung für Fachkräfte. In unserem Bereich fehlt es vor allem an technischer Expertise. Wir bilden also selbst aus, indem wir unser Wissen teilen. Aber immer wieder springen Mitarbeiter danach ab oder werden abgeworben und wir müssen wieder bei Null anfangen."
Die beiden Gründerinnen lassen sich von alldem bislang noch nicht von ihrem Traum abbringen, die mosambikanische Textilbranche wiederzubeleben. Wirtschaftlich scheine sich ihre Heimat langsam wieder aufzurappeln.
"Die Lage verbessert sich langsam. Vielleicht war es auch ein Glück, dass wir unser Unternehmen schon mit Blick auf die Krise strukturiert haben. Denn wir haben ein Geschäftsmodell entwickelt, mit dem wir, mit unserer dann etablierten Marke, im schlimmsten Fall auch ins Ausland umziehen können."
Die beiden hoffen, dass es nicht dazu kommt. Aber dieser Plan B gibt ihnen eine Gelassenheit, die die meisten anderen nicht haben.
Der kurze Weg von der kleinen Manufaktur zu Zeca Cossas Kiosk wirkt vor diesem Hintergrund wie ein Realitätsschock. Da ist sie wieder, die Armut und die Perspektivlosigkeit.

Deal unter Bruderländern: DDR und Mosambik

Die Straßenzüge sind schäbig, gesäumt von Apartmentblocks aus der sozialistischen Zeit. Männer hängen auf der Straße herum, aus Autolautsprechern dröhnt Musik. Sie ist bis in den Hinterhof zu hören, in dem Cossa seinen Kiosk betreibt. Aus einem Schiffscontainer heraus verkauft er Getränke und Snacks. Aber obwohl es ein Freitagabend ist, hat er nur einen Kunden. Der Blick so trüb wie das Bier vor ihm.
Cossa holt zwei weitere Plastikstühle aus dem Container und stellt sie neben sein Schild: "Complexo do Alemão" steht darauf. Eine Erinnerung an seine Zeit in Deutschland. 1983 wurde er zur Tischler-Ausbildung in die damalige DDR entsandt. Mosambik brauchte das Know-how, die DDR Arbeitskräfte, es war ein Deal unter Bruderstaaten.
Nach der Lehre hat er als Vertragsarbeiter in einem Betrieb bei Gera gearbeitet. Ein erheblicher Teil des Verdienstes wurde damals nach Mosambik überwiesen. Als Startkapital für seine Rückkehr, hieß es: "Dann sage ich: Ok, ich habe so viel Geld in Mosambik. Ich werde arbeiten in Mosambik, so eine kleine Werkstatt. Ich werde, was ich gelernt habe, hier in der Praxis bringen und überleben. Und das habe ich leider nicht geschafft. Nachdem wir zurückkamen, war von diesem Geld keine Spur."
Das vermeintliche Startkapital aus der DDR-Arbeit floss in den Schuldenabbau Mosambiks und nicht an die Rückkehrer. Damit war auch die Idee, Aufbauhilfe zu leisten, tot. Bis heute pocht Cossa gemeinsam mit rund 16.000 anderen ehemaligen Vertragsarbeitern auf dieses Geld. Jeden Mittwoch demonstrieren sie mitten in Maputo. Doch die Regierung hält sie nach 30 Jahren weiter hin. Kein Wunder, dass er nicht gut auf sie zu sprechen ist.
"Wir haben hier Rohstoffe, Diamanten, Gold, Gas, Petroleum, wir haben fast alles. Aber die Leute, die an die Regierung kommen, die nehmen es als Jackpot. Die kommen arm an die Regierung - und in zwei, drei Jahren sind sie reich. Es geht nur um die Familie von diesen Leuten, die gehen im Ausland studieren. Und ich, ich habe keine Chance, sogar hier in Mosambik mein Kind zu einer Uni zu schicken. Das ist zu teuer."
Cossa erwartet bei einem erneuten Wahlsieg der Regierungspartei Frelimo bei den heutigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen keine Veränderung, sondern eine Fortsetzung von Korruption und Vetternwirtschaft auf Kosten der Bevölkerung. Aber die Hoffnung gibt er nicht auf. Er will weiter demonstrieren und sich für eine gerechtere, bessere Zukunft engagieren.
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