Mangelnde Konzentration

Gucken, klicken, konsumieren

Eine Uhr zeigt zwei Minuten nach Zwölf.
Eine Uhr am Flughafen in Lissabon: Wir lieben es in der Zeit, immer wieder mit Neuem überrascht zu werden. © Deutschlandradio / Ellen Wilke
Von Klaus Weinert |
Wer täglich elektronische Medien konsumiert, kann sich - angeblich - im Schnitt nicht länger als acht Sekunden auf eine Sache konzentrieren. Im Sinne des Kapitalismus sei unser fortwährendes Bedürfnis nach Neuem aber geradezu ideal, meint der Journalist Klaus Weinert.
Aufgepasst, bitte konzentrieren Sie sich. Ich brauche für rund dreieinhalb Minuten Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Das ist ziemlich viel verlangt, besonders falls Sie täglich elektronische Medien konsumieren. Dann nämlich, das hat unlängst eine Microsoft-Studie ergeben, liegt Ihre Aufmerksamkeitsspanne bei gerade mal acht Sekunden. Und die sind jetzt schon vorbei.
Versuchen wir es trotzdem. Laut Studie nimmt unsere Fähigkeit ab, uns nur einer Sache zu widmen. Im Jahr 2000 sei die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne noch eineinhalbmal so lang gewesen. Warum Microsoft so etwas erforscht? Um zu wissen, welche Aufmerksamkeit die Werbeindustrie bei jenen Menschen voraussetzen kann, die von Info zu Info hetzen.
Die heutige Informationsflut ist eine neue Heimat für Surfer, die nie vor Anker gehen wollen, sondern ständig in Bewegung sind. Sie halten nicht mehr inne, um Nachrichten zu ordnen und sie in Zusammenhänge zu bringen. Die kleine Spanne der Gegenwart - Psychologen meinen festgestellt zu haben, dass sie gerade einmal drei Sekunden dauere - genügt ihnen. Wozu sich noch auf ergänzende oder verbundene Informationen konzentrieren? Wir merken uns einzelne Nachrichtenbits besser als früher, können uns aber weniger gut auf Zusammenhänge konzentrieren, mit denen wir uns länger beschäftigen müssten.
Ein Kapitalismus, dem die Gier nach immer mehr innewohnt
Immer muss etwas Neues oder zumindest Anderes her! Wir User konditionieren unsere Gehirne. Und passen uns damit einem Kapitalismus an, dem die Gier nach immer mehr innewohnt. Denn in diesem Wirtschaftssystem sind wir ständig auf der Suche nach neuen Produkten und Märkte. Wir wollen unsere Chancen erhöhen, kurzum: Wachstum generieren, ein Mehr von allem zu haben! Das bedeutet auch ein Mehr an Information und notgedrungen die Fähigkeit, diese Menge auch zu konsumieren. Auf der Strecke bleibt dabei meist die kritische Auswahl, die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.
Für diese Unfähigkeit liebt uns der Kapitalismus. Denn er verlangt zwar einerseits rationales und diszipliniertes Arbeiten, andererseits aber auch unüberlegtes Konsumieren: die emotionale und unbedachte Entscheidung für eine Ware. Wer rational überlegend nur die Produkte einkaufen würde, die er unverzichtbar zum Leben benötigt, wer also länger als acht Sekunden nachdenken würde, der brächte das ökonomische System in ernsthafte Schwierigkeiten.
Friedell: Das Neue ist fast immer eine Lüge
Das gilt auch für das Produkt "Information". Mark Zuckerberg macht sich das zunutze und hat mit Facebook eine Plattform zum ungehemmten Nachrichten- und Informationsrausch ausgebaut. Zur Kommunikation genügt oft ein Bild, ein Link, ein Like. Diese Häkchenkommunikation steigert kaum unsere Aufmerksamkeitsspanne oder unseren klugen Umgang mit den Medien – sie steigert aber den Umsatz. Die Zeitleiste spült beständig vermeintlich Neues herbei.
Der Kulturhistoriker Egon Friedell war skeptisch gegenüber dem Neuen. Er meinte, das Neue sei fast immer eine Lüge. Damit hatte er durchaus Recht, denn im Neuen steckt oft das Alte. Die Algorithmen von Facebook & Co. sorgen penibel dafür, ihren Usern stets mehr von demselben vorzusetzen. Dass diese dennoch glauben, ständig noch nie Dagewesenes zu entdecken, verdanken sie vor allem einer Sache: der eigenen kurzen Aufmerksamkeitsspanne.
Wie lang war die noch einmal? Richtig, viel zu kurz für diesen Text.
Klaus Weinert, ist Wirtschafts- und Fachjournalist. Er studierte Germanistik, Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Filmwissenschaften. Weinert arbeitet für Rundfunk, Fernsehen und Printmedien.
Klaus Peter Weinert
Klaus Peter Weinert© privat