"Manifesta" als Vermittler
Es ist die Besonderheit der "Manifesta", das sie nicht an Orte geht, die man sonst mit Kunst und Kultur in Verbindung bringt.
Gründungsdirektorin Hedwig Fijen
verweist darauf, dass die Ausstellung deshalb 2014 in St. Petersburg gewesen sei und 2018 in Palermo: "Der Stadt der Mafia."
Die "Manifesta" wolle in solchen Städten eine Vermittlungsfunktion einnehmen, aber im Fall des Kosovo auch die Geschichte des Krieges 1999 mit den Blick nehmen. Auf diese Weise wolle die "Manifesta" auch die politischen Schwierigkeiten auf dem Balkan mehr bekannt machen.
Die "Manifesta" ist eine europäische Biennale für zeitgenössische Kunst, deren Ausstellungsorte alle zwei Jahre wechseln. Die erste Manifesta fand 1996 in Rotterdam statt. Träger ist die Internationale Foundation Manifesta. Die diesjährige 14. "Manifesta" in Pristina dauert bis zum 30. Oktober 2022. Im nächsten Jahr ist die Ausstellung in Barcelona geplant.
Pristina sei architektonisch fazinierend, sagt die
Kuratorin Catherine Nichols
. Es gebe die osmanische Tradition, Bauwerke aus jugoslawischer Zeit und den "Turbokapitalismus". Auch das wenige Grün falle einem in den Straßen der Hauptstadt sofort auf - ebenso die vielen Autos, die nur sehr wenigen Parks und dass es kaum Bürgersteige gibt. Hier wolle die "Manifesta" zu einm Wandel beitragen.
Junge Kunstszene
Die Stadt habe eine "verführerische Energie", sagt die Kuratorin. Es gebe eine sehr junge Bevölkerung. Zwei Drittel aller Kosovaren sind unter 30 Jahre alt. "Die Kunstszene ist vielfältig, es gibt wahnsinnig viele Menschen, die Kunst machen." Aber es fehlte bisher an Sichtbarkeit nach außen.
Am 22. Juli ist die Manifesta 14 in Pristina gestartet. Zum Auftakt haben wir mit unter anderem mit der künstlerischen Leiterin der Kunstausstellung, Catherine Nichols, aber auch mit dem Bürgermeister der Stadt, Përparim Rama,
gesprochen
.
Beide zeigen sich begeistert von der Energie, die momentan die Stadt durchströmt, und hoffen auf strukturelle Veränderungen im Nachgang der Schau: etwa bei massiven Reisebeschränkungen und neuen Formen der Bürgerbeteiligung.
Für den Kosovo birgt die "Manifesta" die Hoffnung, dass sich internationale Galerien dort stärker engagieren und sich ein Fenster zur Kunstwelt öffnet, sagt unsere
Kulturkorrespondentin Claudia Wheeler
. Bisher gibt es nur eine einzige Galerie in Pristina, die international arbeitet.
"Die Manifesta ist in der ganzen Stadt verteilt", schildert Wheeler ihre Eindrücke vor Ort. In der kosovarischen Hauptstadt seien jetzt 24 Kernorte ausgemacht worden, damit die "Manifesta" zum "Motor für die Zukunft" werden könne, so
Wheeler
.
Öffentliche Räume wieder beleben
Die Ausstellungsmacher hätten zunächst ein Architekturbüro beauftragt, um das besondere in der Stadt zu ermitteln. "Im Kern dreht sich alles um die Frage, was braucht diese Stadt überhaupt?" Diese Recherche sei im engen Austausch mit den kosovarischen Künstlerinnen und Künstlern, aber auch mit der Stadtregierung, der Universität und der normalen Bevölkerung geschehen.
Dabei gehe es sehr stark darum, öffentliche Räume in Pristina zurückzuerobern, sagt Wheeler. "Viele Gebäude verfallen und man will versuchen, diesen Verfall irgendwie aufzuhalten."
Das sei auch ein großes Anliegen des neuen Bürgermeisters, der sich sehr stark bei der "Manifesta" engagiere. "Es geht darum, über die Kunst in dauerhafte Strukturen zu investieren", erläutert Wheeler.
Das Grand Hotel in Pristina hat seine besten Zeiten hinter sich, dient aber bei der Manifesta als zentraler Ausstellungsort. © Imago / Le Pictorium
Es stehen vor allem Orte im MIttelpunkt, die für die Geschichte des Kosovo und Pristinas wichtig sind. Zentraler Spielort der "Manifesta" ist deshalb das "Grand Hotel". Die frühere Luxusherberge von 1978 war einst vom jugoslawischen Staatschef Josip Broz Tito in Auftrag gegeben worden, hat ihre fünf Sterne von einst aber längst eingebüßt. "Es sieht heute aus wie ein Geisterhaus", so Wheeler. "Hier ist die Zeit wirklich stehengeblieben." Dennoch sind Übernachtungen weiter möglich.
Ein Schub in die Zukunft
Es existiere eine alte Bibliothek in einer kleinen Villa, die als einstiger Treffpunkt für die Nachbarschaft wieder dauerhaft eröffnet werde, so Wheeler. Auch eine alte Ziegelfabrik, die bis vor kurzem Schrottplatz und Müllhalde war, werde zum Veranstaltungsort und Treffpunkt. "Der Bürgermeister von Pristina liebt diesen Ort und möchte dort am liebsten ein Museum für zeitgenössische Kunst errichten." Es seien alles Gebäude, für die man sich von der "Manifesta" einen "Schub in die Zukunft" erhoffe.
Leuchtende Sterne am Nachthimmel
Es gebe einige künstlerisch interessante Arbeiten, sagt Wheeler. Der Künstler Petrit Halilaj arbeitet in Kosovo, Deutschland und Italien und ist einer der Stars bei der "Manifesta". Er installierte die fünf Sterne des Grand-Hotels wieder neu und brachte an der Fassade zahlreiche weitere Sterne an.
In der gesamten Stadt wird Kunst zu erleben sein, so auch im Grand Hotel und in der Nationalbibliothek. Das Festival soll vor allem auch für die Stadtgesellschaft sein – und das könnte klappen. Claudia Wheeler und Vladimir Balzer berichten aus Pristina über einzelne Ausstellungsorte.
Bei Einbruch der Dunkelheit will er am Freitag mit den Einwohnern Pristinas den Himmel beleuchten. "Jeder soll möglichst mitmachen." Es gehe bei dieser Aktion darum, sich selber sichtbar zu machen und sich selber zum Leuchten zu bringen, sagt Wheeler.
Die Künstlerin Melinda Hoxha hat frühere Mitarbeiter des Grand-Hotels porträtiert und interviewt. Die Fotos hängen jetzt im Hotel verteilt und man kann sich deren Geschichten anhören. "Man bekommt so ein gutes Porträt dieses außergewöhnlichen Hotels", so Weeler. "Ich denke, die Gefahr, dass die Gebäude der Kunst die Schau stehlen, ist durchaus gegeben."