Manja Präkels, geboren 1974 in Zehdenick (Brandenburg), ist Sängerin und Schriftstellerin. Ihr Roman "Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß" (Verbrecher Verlag) erzählt von Jugendlichen in Zehdenick zu Wendezeiten und vor allem davon, wie einige von ihnen sich zu Rechtsradikalen wandeln. Sie wurde für dieses Buch mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2018 und dem Anna-Seghers-Preis 2018 ausgezeichnet.
Kein Konfetti für Merkel
Schriftstellerin Manja Präkels winkt Angela Merkel hinterher und erinnert sich: Als sie den CDU-Parteivorsitz übernahm, wurde viel gelästert. Über die Unbeholfenheit, die Sprache, die Frisur. Heute stehe sie für kühle Verlässlichkeit.
Am 31. Dezember 2005 hielt Angela Merkel ihre erste Neujahrsansprache. Meine Silvestergäste witzelten damals über die ungewohnte Brille. Darüber, dass sie immer "die Regierung" sagte, statt "ich", wie ihre Vorgänger. Wir waren gespannt, wie sie sich schlagen würde. Diese Physikerin. Aus dem Osten. Als Kanzlerin.
Mitschauen mochte ich nicht. Ich war noch ein Teenager gewesen, da hatte sie als Helmut Kohls Jugendministerin versucht, die Verrohung auf Schulhöfen und Marktplätzen, die Welle rassistischer Gewalt rasch mit Geld einzudämmen. Millionen flossen damals in genau die Klubs, aus denen die Gewalttäter kamen. Akzeptierende Jugendarbeit nannte sich das. Ein bis heute nachwirkendes Desaster. Ich nahm ihr das persönlich übel. So verpasste ich den Teil der Rede, in dem sie die bevorstehende Fußball-WM anmoderierte: "... und ich sehe keinen Grund, warum Männer nicht das Gleiche leisten können wie Frauen."
Was hatten sie anfangs gelästert – an Bushaltestellen, in den Redaktionen, beim Abendessen im Familienkreis. Diese Unbeholfenheit. Die Sprache. Die Frisur erst. Merkel wirkte, wie eine Schauspielerin, die in das falsche Stück geraten war – "Kohls Mädchen". Der ätzte später, er habe ihr erst beibringen müssen, mit Messer und Gabel zu essen.
Wie eine Schauspielerin im falschen Stück
In einem Interview hatte sie bekannt, nach zu viel Kirsch-Whisky schon mal aus dem Boot gefallen zu sein und ihre ersten vier Westmark für einen Döner ausgegeben zu haben. So was sprengt den Rahmen von Leuten, die an "natürliche Rollenverteilung" glauben. Von Männern, die in steter Selbsterhöhung die Welt wie durch ein verkehrt herum gehaltenes Fernrohr betrachten, egal ob sie in "die Zone" blicken oder auf das andere Geschlecht. Wen interessierte schon je der Titel ihrer Dissertation: "Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden"? Und wer hätte gedacht, dass sie die alle aus dem Weg räumen würde: Kohl, Schäuble, Merz.
Sie wurde Instanz. Institution. Ikone. Die Mundwinkel. Die Raute. Die bunten Hosenanzüge, so wenig wie ihre Trägerin dazu gemacht, die Arme hochzureißen. Tat sie trotzdem. Bei der WM. Als Deutschland bunt sein sollte. Sechs Jahre später, 2012, ein Tiefpunkt für das Land: "Wir vergessen zu schnell, viel zu schnell. (...) Vielleicht, weil wir zu beschäftigt sind mit anderem; vielleicht auch, weil wir uns ohnmächtig fühlen gegenüber dem, was um uns geschieht", sagte sie auf der Gedenkfeier für die Opfer des NSU. Das klang glaubhaft. Als hätte sie verstanden, dass nicht nur ein paar der "akzeptierten" jungen Rechtsextremen von damals einfach weiter gehasst hatten. Als Pegida-Anhänger, Nein-Zum-Heim-Marschierer und AfD wurden die bald wieder laut. Vereint vor allem im Hass auf sie, die "Wir schaffen das" gesagt hatte.
An der neoliberalen Politik ihrer Amtszeit gibt es nichts zu beschönigen. Die Armen sind ärmer, die Reichen reicher geworden. Dennoch habe ich die Politikerin Angela Merkel schätzen gelernt. Sie repräsentiert ein Maß an Selbstbeherrschung, das die meisten Männerfantasien übersteigt. Kühle Verlässlichkeit gegen rohe Anmaßung. Und jetzt zeigt sie denen noch, wie Rücktritt geht. Dafür Danke, Angela Merkel.