Manja Präkels: "Welt im Widerhall oder war das eine Plastiktüte?"
© Verbrecher Verlag
Beobachtungen rechter Gewalt
06:30 Minuten
Manja Präkels
Welt im Widerhall oder war das eine Plastiktüte?Verbrecher, Berlin 2022192 Seiten
20,00 Euro
Sie ist Dauerbeobachterin der Gesellschaft und rechter Verbrechen: Manja Präkels verknüpft in ihren Essays Ereignisse in ihrer Umgebung mit eigenen Erinnerungen ans Aufwachsen im Osten Deutschlands.
Trotz der getrübten Fensterscheiben ihres Hochhauses hat die Berliner Schriftstellerin Manja Präkels den besten Überblick. Von hoch oben beobachtet sie an einem der „Seuchentage“ der vergangenen Pandemiemonate das sich auflösende städtische Gefüge. Dabei interessieren sie weniger die menschenleere Metropole oder eine S-Bahn ohne Passagiere, vielmehr das, was verschwindet: All die Zufluchtsorte im Kiez schließen, Jugendtreff, Kiezstube sind dicht, sogar der Supermarkt, der abends Trost und Licht spendete.
Als in einer der Sperrstunden ein Streifenwagen samt Hundestaffel Jugendliche zusammendrängt und von der Straße holt, ist die „aufkeimende Wut gut zu hören". Pandemieblicke, Momentaufnahmen unserer Gegenwart, klar und nüchtern. Manja Präkels weiß, wovon sie spricht: Die Zerstörung kleiner sozialer Welten kann schnell gehen, ihr Aufbau jedoch Jahre dauern.
Gesellschaftsblicke und Erinnerung
Die Geschichten in Manja Präkels neuem Essayband sind mehr als pure Zeitdokumente, sondern immer auch Gesellschaftsblicke im Spiegel ihrer eigenen mitreisenden Erinnerungen. Ihr Text „Hasshasenangst“ spürt der Angst in vielen Facetten nach, der Angstlust: im wimmern, weinen, betteln, auch der Angstsprache: die einsilbig, sparsam ist. Wer ihn liest, der ahnt, wie tief hier eigene Erfahrungen sitzen: „Meine Jugend ist ein Schmerzbuch. Ein Angstbuch.“
In ihrem preisgekrönten Roman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ hat Manja Präkels festgehalten, wie 1989 mit der Mauer auch die Hemmungen fielen, die angestaute Wut über dem untergehenden Land tobte, wie sich eine neue Uniformierung Platz machte, Glatzen- und Seitenscheitelbanden, und wer nicht mitmachte, zur Zielscheibe der Aggressionen wurde. Wie die Autorin selbst in ihrem Heimatort im brandenburgischen Zehdenick. Eruptionen rassistischer Gewalt diesseits und jenseits der Mauerreste zeigen sich seit jeher, es ist ihr Thema geblieben.
Beobachterin von Verbrechen
Es scheint, als habe Manja Präkels in der deutschen Gegenwartsliteratur, wenn auch unfreiwillig, die dünn besetzte Rolle der Dauerbeobachterin der Verbrechen rechter Gewalt, des Schreckens und Unrechts übernommen. Ihre Geschichten tragen Titel wie „Die das Fürchten lehren“, „Echte Männer, geile Angst“, „Wir waren Mädchen in extremen Zeiten“.
In unzähligen Beispielen erzählen sie von Böller-Kanonen vor dem Zehdenicker Flüchtlingsheim, wie eine Rassistin einer Schwangeren den Einkaufswagen in den Bauch rammt oder zwei Männer aus Somalia an der Tankstelle überfallen werden. Allesamt Jagdszenen, die Manja Präkels aufzählt, aneinanderreiht, als würde derselbe Film in Endlosschleife weiterlaufen. In der Dichte dieser Gegenwartsbeschreibungen entwickeln die Texte eine Intensität, wachrüttelnd, augenöffnend. Während in der Öffentlichkeit darüber gestritten wird, was man sagen darf, zeigt Manja Präkels in ihren Geschichten: „Was geschieht, das können alle sehen.“
Reisen in den Osten
Die Wucht ihrer Texte verdankt sich auch der sprachlichen Kraft. Puristisch, lakonisch ist ihr Stil. Eine verknappte Sprache ihres heimatlichen Brandenburgisch, dass „allem Unausgesprochenen, all den verschluckten Buchstaben und Satzenden zum Trotz, ein Verstehen möglich macht“: „Kammamachn!“. Dieser Sound, den man nicht hetzen darf, dieser Rhythmus gehört der Autorin. In diesem Takt entstehen ihre Texte. Auch ganz poetische, im Legendenton verfasst, die die Eigenart feiern, den Eigensinn und die Mundart.
Ebenso jene über ihre Reisen zu Schreib- und Stipendienorten. Es sind ruhige, klare, zum Teil skurrile Beobachtungen aus dem Osten der Welt: Über stille Eisangler mit Atemwölkchen in Riga, über sowjetische Arbeitsblocks in Lettland, hier erinnern der raue Straßensound, Gesichter und Kleider noch an die Sowjetunion – oder über russische Zuhälter in Transnistiren, mit denen sie unfreiwillig über den Preis einer Djewotschka verhandelt.
Geschichten muss man hören wollen
Alltagsgeschichten und Lebenswelten aus Stadt und Land, „so viel unsichtbarer Stoff liegt überall vor den Hauseingängen, achtlos liegengelassen“, Manja Präkels hat ihn in ihren Texten aufgehoben.
„Welt im Widerhall oder war es nur eine Plastiktüte“ heißt ihre essayistische Reise durch unsere Gegenwart, ein kleines starkes Buch, das vor allem davon erzählt, dass man diese Geschichten auch hören wollen muss.