Mann-Frau-Klischees sind "wahnsinnig lebendig"

Stephan Bartels und Till Raether im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 31.08.2011
Das Autoren-Duo Bartels und Raether hat sich die langjährige Arbeit für die "Brigitte" zunutze gemacht, um das Nicht-Verstehen der Geschlechter aufzuklären. Ihr Buch "Männergefühle" handele davon, warum Frauen und Männer lieber übereinander statt miteinander redeten.
Stephan Karkowsky: Zwei Männer, die für eine Frauenzeitschrift arbeiten, schreiben ein Buch namens "Männergefühle: Eine Enthüllung". Ob sie damit mehr bezwecken wollen als Mario Barth mit seinen Geschlechterklischees, das sollen sie uns nun selbst erzählen, die "Brigitte"-Autoren Till Raether und Stephan Bartels. Guten Morgen!

Stephan Bartels: Guten Morgen, Herr Karkowsky!

Till Raether: Schönen guten Morgen!

Karkowsky: Die Herren – was macht Sie denn zu Experten fürs Mannsein, außer dass Sie selbst welche sind?

Bartels/Raether: Also ich denke, das ist schon mal eine gute Voraussetzung, selber einer zu sein. Was uns zu Experten macht, ist glaube ich tatsächlich aber auch die Tatsache, dass wir beide seit anderthalb Jahrzehnten ungefähr bei der "Brigitte" arbeiten, das heißt, wir kriegen von Frauen relativ deutlich gespiegelt, wie Männer immer noch gesehen werden.

Bartels/Raether: Und davon abgesehen viele Gespräche untereinander und mit anderen Männern, oft so einfach auf der anekdotischen Ebene, also am Wochenende Streit gehabt und der Auslöser gegenseitiges Nicht-Verstehen, gegenseitige Missverständnisse – also ich glaube, dass auch so eine gewisse Gesprächs- und Zuhörbereitschaft uns durchaus dafür qualifiziert hat, es zumindest zu versuchen, ein Buch über Männergefühle zu schreiben.

Karkowsky: Sie haben also das Leben studiert und spielen nun mit dem Klischee, Männer hätten keine Gefühle oder könnten zumindest nicht drüber reden, und kündigen, so der Untertitel, eine Enthüllung an. Ist das wirklich so, dass es im Jahr 2011 noch Menschen überrascht, dass auch Männer Gefühle haben?

Bartels/Raether: Ich finde es ganz interessant, dass Sie auch gleich Mario Barth erwähnt haben und das nächste, was einem einfällt, sind Alan und Barbara Pease mit "Warum ... " – ich muss mich immer konzentrieren, wenn ich das sage –, "Warum Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können" und diese ganzen Sachen.

Also ich glaube, wir glauben oder wir sehen, dass diese Klischees einfach wahnsinnig lebendig sind, vielleicht auch wieder in einer Wechselwirkung dann zurückschwappen in den privaten Bereich, und dieses Klischee, dass der Mann sich eher entzieht und dass der Mann vielleicht eher schweigt, dass der Mann sich eher in Interessen und Hobbys wie Fußball und so weiter flüchtet, ... Das sind alles Klischees, absolut zutreffend, aber ja, uns hat wirklich interessiert: Was steckt möglicherweise dahinter?

Wir versuchen in dem Buch, diese Gefühle, die wir damit verbinden, etwas genauer zu beschreiben, aber es geht uns durchaus auch darum: Was steckt dahinter und wie können wir uns alle, Männer untereinander, Männer und Männer und Frauen natürlich vor allem, einander besser verstehen?

Karkowsky: Haben Sie denn Antworten gefunden?

Bartels/Raether: Also ich ... Es ist ganz lustig, wir haben vor zwei Wochen aus dem Buch hier in Hamburg gelesen, und das war ein sehr lustiger Abend, und als ich da nach Hause gegangen bin, habe ich für mich gedacht: Wir haben doch eigentlich ein Buch voller Witze geschrieben über Männer und Frauen. Aber dann habe ich mir das Buch noch mal angeguckt: Heute denke ich eigentlich wirklich eher, dass dahinter tatsächlich auch ... Also es steckt eine, ich finde, es steckt eine gesellschaftliche Analyse dahinter, die auch in dem Buch drinsteht.

Ich glaube, dass dieses einander nicht Missverstehen ... Ich glaube, dass die Tatsache, dass gerade wieder, nachdem wir das eigentlich in den 80er-, 90er-Jahren alles durchgearbeitet hatten und so weiter, dass gerade wieder Männer und Frauen anfangen, so auf ihre Klischees reduziert zu werden und vielleicht auch sogar aktiv sich auf Klischees zurückzuziehen. Ich bin davon überzeugt, und davon handelt auch das Buch, dass die neuen Anforderungen – neue Rollenverteilung, neue Aufgabenverteilung, die Anforderung als Paar, als Mann und als Frau im Grunde genommen immer ähnlichere Dinge bewältigen zu können, nicht mehr, Gott sei Dank und der Emanzipation sei Dank, nicht mehr festgelegt zu sein auf alte Rollenmuster.

Diese Anforderungen führen paradoxerweise dazu, dass wir uns plötzlich wieder anfangen, an den Klischees abzuarbeiten, weil es eben einfacher ist, auch in einem Streit, zu sagen, ach, du ziehst dich ja nur zurück oder zu sagen, du verstehst mich nicht, als wirklich darüber zu reden, was wir hier eigentlich gerade erleben, nämlich, dass wir vor einem Umbruch im Verhältnis von Männern und Frauen stehen, wie es ihn wirklich eigentlich noch nie gegeben hat.

Karkowsky: Wir können es ja mal eine Ebene tiefer hängen, Sie haben nämlich ein paar sehr charmante Texte in diesem Buch drin, zum Beispiel wird die Frage beantwortet, warum wir anderen Frauen hinterherschauen. Warum tun wir das denn?

Raether: Es hört sich so an, als würde Herr Bartels den schweigenden Mann hier geben. Ich muss das kurz beantworten, weil wir haben uns das so ein bisschen aufgeteilt, das ist ein Kapitel, das ich geschrieben habe, ich glaube, Herr Bartels schaut Frauen wirklich nur aus erotischem Interesse hinterher.

Bartels: Absolut.

Karkowsky: Das überrascht jetzt natürlich sehr. Welches andere sollte das denn sein?

Bartels: Dazu kommt Herr Raether jetzt.

Raether: Also ich habe die These aufgestellt, dass wir wirklich relativ auch, ja, fast ... also gar nicht aufgrund von körperlichen Merkmalen oder scheinbarer oder offensichtlicher körperlicher Attraktivität Frauen hinterherschauen, sondern weil wir in dem Augenblick uns sozusagen in ein Paralleluniversum begeben und für wenige Augenblicke, vielleicht für eine halbe Minute oder so, uns vorstellen, wie unser Leben verlaufen wäre oder verlaufen würde und wie es wäre, wenn wir unser Leben mit dieser Frau, der wir gerade hinterherschauen, verbringen würden, und nicht mit der Frau, mit der wir möglicherweise am Cafétisch sitzen oder mit der wir verheiratet sind. Aus meiner Sicht steckt dahinter aber auch einfach so eine kleine Flucht aus Unübersichtlichkeit und Überforderung.

Karkowsky: Stephan Barthels und Till Raether haben das Buch geschrieben "Männergefühle: Eine Enthüllung", darüber reden wir gerade mit den Autoren selbst. Glauben Sie denn, das geht Frauen anders? Die schauen Männern nicht aus denselben Gründen hinterher?

Bartels/Raether: Ich glaube schon, dass ... Na, ich bin nicht sicher, ich weiß es nicht, wir können es letztendlich gar nicht wissen.

Karkowsky: Weil das würde ja dann erklären, dass sich Männer und Frauen nicht verstehen in dieser Frage.

Bartels/Raether: Ich finde die Frage sehr interessant, weil ich absolut glaube – und damit kommen wir eigentlich auch so ein bisschen zu dem Ausgangspunkt der Klischeefalle oder auch dem Klischeeverdacht, unter dem das Buch steht –, ich glaube absolut, dass Frauen auch Männern hinterherschauen und wahrscheinlich aus genau dem gleichen Grund. Aber das Klischee ist eben immer, ach, ihr schaut anderen Frauen hinterher, also dass es oft gehört worden wäre und dass man oft darüber reden würde, warum Frauen immer anderen Männern hinterherschauen, das passiert halt nicht.

Bartels/Raether: Kein großes Thema.

Karkowsky: In Ihrem Buch erfahren Frauen also Geheimnisse über Männer, lassen wir es mal einfach so stehen, zum Beispiel, dass Männer, wenn sie allein sind, ihre Exfreundinnen googeln. Wer von Ihnen beiden macht das denn?

Bartels: Also ich kann nicht für Till sprechen, wir haben da gar nicht drüber geredet, aber ich definitiv.

Karkowsky: Das liegt daran, dass Männer so selten über diese Dinge reden, richtig?

Raether: Wir haben übereinander doch auch eine ganze Menge gelernt beim Schreiben des Buches, beim Lesen der Kapitel.

Bartels: Das ist richtig.

Karkowsky: Also wen müssen wir denn jetzt schützen? Hört Ihre Frau zu, Ihre Freundin?

Bartels: Nein, geschützt werden muss da niemand, ich weiß nicht, ob die zuhören. Aber geschützt werden muss da wirklich niemand, weil das ja nichts ist, was in deren Leben eingreift. Also im Grunde ist das ja nichts weiter als ein Akt der Sentimentalität, ein Akt der Nostalgie, weil das ist ja etwas, wozu Männer sowieso und absolut neigen.

Karkowsky: Warum tun sie das, die Männer?

Bartels: Das ist eine gute Frage.

Karkowsky: Ich dachte, die Antwort steht im Buch.

Bartels: Ja, Till, warum neigen wir zur Nostalgie? Hast du das aufgeschrieben?

Raether: Na ja, ich glaube, dass das ... Für mich läuft es wirklich darauf hinaus, dass wir uns nach einer gewissen Art von Kontinuität sehnen und dass wir auch verstehen wollen, woher wir kommen, weil wir einfach nicht genau wissen, wohin die Reise geht. Also für mich – ja, wir haben ein lustiges Buch geschrieben, aber ich gebe hier trotzdem den Onkel, der immer wieder auf die gesellschaftliche Ebene zurückkommt, auch dieses, wir sehnen uns nach der Vergangenheit, wir googeln Exfreundinnen, hängt für mich damit zusammen, dass wir im Moment einfach wirklich nicht so genau wissen, wie wir das alles schaffen wollen.

Wir erleben das, was Frauen uns vorgelebt haben, nämlich eine Doppel- und Dreifachbelastung. Wir haben die Anforderung an uns selbst, es gibt die völlig berechtigte gesellschaftliche Anforderung, ganz vielen Rollen auch als Mann gerecht zu werden. Und das Komische – und davon handelt auch das Buch –, das Komische ist eben, dass wir uns dann zurückziehen und unsere Exfreundinnen googeln, uns nach der Vergangenheit sehnen und überlegen, wie konnte es dazu kommen und so weiter, und das Komische ist, dass Frauen uns vorwerfen, ihr zieht euch zurück.

Das Buch handelt eigentlich davon, vor allem dann auch gegen Ende und so weiter, warum wir es nicht schaffen, bei diesen gemeinsamen Anforderungen, die sich an Männer und Frauen genau gleich stellen – warum reden wir übereinander und warum reden wir nicht miteinander?

Karkowsky: Sie verraten im Buch auch, welche Vorbilder Männer so haben, und das sind dann nicht Pierre Bourdieu, Günter Grass oder Loriot meinetwegen, sondern jemand wie Patrick Duffy. Wer ist Patrick Duffy?

Bartels/Raether: Patrick Duffy ist nicht etwa Bobby Ewing aus der Fernsehserie "Dallas", der zwar auch so hieß, aber Patrick Duffy ist in dem Fall der graubärtige, grauhaarige Erzieher meines Sohnes im Kinderladen gewesen, der mit ... der ist ihm so mit Ende 40 widerfahren, also Patrick Duffy war Ende 40, mein Sohn ist in diesen Kindergarten gekommen und es war natürlich eine absolute Luxusstellung für einen Jungen, weil Jungen in dem Alter ja im Grunde nur von Frauen erzogen werden. Zuhause warten die Mütter, die Männer gehen ja meistens arbeiten, im Kindergarten werden sie von Frauen erzogen und in der Grundschule sind die Lehrerinnen ja meistens auch weiblich. Und Patrick Duffy war sozusagen neben mir das erste männliche Vorbild für meinen Sohn, und das war ein absolut wilder, piratesker Ire, und das war einfach großartig, also ganz großes Vorbild bis heute für meinen Sohn, der mittlerweile 18 ist.

Karkowsky: Wir sollten am Ende aber doch noch mal zu den Männergefühlen zurückkommen, die ja dem Buch den Namen geben. Gleich in der Einleitung zementieren Sie das alte Rollenbild: Mädchen würden seit Generationen dazu ermutigt, sich um ihre und die Gefühle anderer zu kümmern, während Jungs seit jeher die Zähne zusammenbeißen müssten. Unterstellen Sie dem Feminismus damit auf ganzer Ebene, gescheitert zu sein?

Bartels/Raether: Nein. Letztendlich ist das, das ist ja nur ein Teilaspekt dessen, also Jungs haben auch das gelernt.

Bartels/Raether: Wir bezeichnen es ausdrücklich als Klischee in der Einleitung.

Bartels/Raether: Genau, das ist richtig, und wir wissen, dass es bei uns auch so ist, aber eben nicht ausschließlich. Also wir sind ja Männer knapp über 40 und wir sind in den 80ern mit Ina Deter und Grönemeyer und Svende Merian aufgewachsen und wir wissen durchaus, dass Gefühle von uns ja seitdem eingefordert werden, und wir sind ja auch bereit, die zu geben, so ist es nicht, wir versuchen ja unser Bestes, aber wir merken eben auch, dass wir daran scheitern, und zwar deshalb, weil Frauen im Grunde immer noch diejenigen sind, die die Gefühle vorgeben. Also Frauen sind diejenigen, die die Gefühlswelt schaffen, in die wir uns eigentlich begeben müssen. Und daran können wir fast nur scheitern.

Karkowsky: Wann ist der Mann ein Mann? Alte Frage, zum Teil immerhin beantwortet von Stephan Bartels und Till Raether, die beiden Autoren von "Männergefühle: Eine Enthüllung", das Buch erschienen im Krüger Verlag, 270 Seiten, amüsante Seiten, muss ich sagen, Kosten: 14,95 Euro. Die Herren, danke für das Gespräch!

Bartels/Raether: Sehr gerne!

Bartels/Raether: Sehr gerne, danke auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Anmerkung der Redaktion: Leider war es nicht möglich, die Antworten immer einem der beiden Gesprächspartner eindeutig zuzuordnen.
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