Mann in der Falle
Ein junger, erfolgreicher Klimatologe kommt aus Amerika nach London geflogen, um sich für einen Job zu bewerben. Unglückliche Umstände lassen ihn wenige Stunden nach dem Vorstellungsgespräch bei einem Mann am Bett stehen, dem ein Messer in der Brust steckt. Er zieht es - auf Geheiß des Sterbenden - heraus.
Und sitzt in der Falle.
Er ist der letzte Besucher, seine Fingerabdrücke sind überall, alle Indizien sprechen gegen ihn. Wenn er sich der Polizei stellt, wird er mit Sicherheit eingebuchtet. Er flieht. Und geht in den Untergrund. Mitten in London. Zu Beginn des 21.Jahrhunderts. Darf weder telefonieren, noch Geld abheben, kann sich erst ins Waschhaus begeben, nachdem ein Bart gewachsen ist, fängt in seiner Verzweiflung eine Möwe an der Themse und brät sie sich als Überlebensmahl. Der Wissenschaftler mutiert zum erfolgreichen Bettler. Intelligenz ist auch in diesem Metier nicht gerade hinderlich.
Und nicht nur die Polizei sucht ihn, sondern auch - und natürlich viel erfolgreicher - ein gedungener Killer. Denn der Ermordete war ein gewissenhafter Pharmakologe, der die Herausgabe eines Asthma-Medikaments torpedieren wollte, weil er es noch nicht genügend getestet hatte.
Das allerdings hätte bedeutet, ein Milliardengeschäft zu vermasseln. Der Mann musste weg mitsamt seiner Aufzeichnungen. Doch diese Akten hat unglücklicherweise unser Held. Der Adam heißt. Der erste Mann der Welt. Der nicht Gott gegen sich hat, aber einen abgefeimten Teil der Menschheit.
William Boyds Roman ist nicht nur aufregend, er ist auch anregend. Zieht den Leser hinein in Fragen des existentiellen Daseins, des Betrugs, der Lebenslügen, der Identität. Wir haben nicht alle einen Mord zu verschweigen, den wir nie begangen haben, um überleben zu können – aber mit kleinen Notwahrheiten manövrieren auch wir uns immer wieder durch die Liebe und das Leben. Stehen nicht wirklich zu uns - aus Angst, die Gesellschaft könne uns aussortieren. Als Adam sich verliebt, wer verliebt sich da? Der Akademiker und Wolkenkammerspezialist oder der Bettler mit dem neuen Namen? Ist Adam noch Adam?
Natürlich formuliert Boyd keine dieser Fragen. Er ist ein viel zu ausgebuffter Erzähler, um uns mit Grübeleien zu behelligen, die man ohnehin mitlesen kann. Man kann es auch lassen und nur einen fulminanten Wirtschaftsthriller lesen, der auch eine politisch provozierende Lektüre ist. Denn die Machenschaften der Pharmamafia, die Boyd so detailliert und vermutlich erschreckend wirklichkeitsnah erzählt, sind auch hiesigen Arzneimittelkritikern nicht unbekannt. Wenn es um Geschäft und Gesundheit geht, bleibt wohl eher das Geschäft nicht auf der Strecke.
Boyd erzählt mit einer so stringenten Souveränität, dass man sich nie fürchtet, mit ihm in einer Sackgasse zu landen. Dafür landen wir in vielen Milieus. Wir wandern von den Villen der Pharmabosse zur Suppenküche einer suspekten Sekte. Wir sind im Milieu der Polizei und der geklauten Pässe, der Killer, die einst im Irak gekämpft haben und deren Auftraggeber heute verdammt nah, wenn nicht mittendrin im offiziellen Politbetrieb sitzen. Boyd liebt es, dem Bösen auf die Pelle, unter die Haut, ins Ich zu kriechen. Immer wieder packt einen der Zorn ob der möglichen, wohl allzu möglichen Wahrheitsgehalte dieser penibel recherchierten und glänzend geschriebenen Fiktion.
Besprochen von Gabriele von Arnim
William Boyd: Einfache Gewitter
Aus dem Englischen von Chris Hirte
Berlin Verlag, Berlin 2009
445 Seiten, 25 Euro
Er ist der letzte Besucher, seine Fingerabdrücke sind überall, alle Indizien sprechen gegen ihn. Wenn er sich der Polizei stellt, wird er mit Sicherheit eingebuchtet. Er flieht. Und geht in den Untergrund. Mitten in London. Zu Beginn des 21.Jahrhunderts. Darf weder telefonieren, noch Geld abheben, kann sich erst ins Waschhaus begeben, nachdem ein Bart gewachsen ist, fängt in seiner Verzweiflung eine Möwe an der Themse und brät sie sich als Überlebensmahl. Der Wissenschaftler mutiert zum erfolgreichen Bettler. Intelligenz ist auch in diesem Metier nicht gerade hinderlich.
Und nicht nur die Polizei sucht ihn, sondern auch - und natürlich viel erfolgreicher - ein gedungener Killer. Denn der Ermordete war ein gewissenhafter Pharmakologe, der die Herausgabe eines Asthma-Medikaments torpedieren wollte, weil er es noch nicht genügend getestet hatte.
Das allerdings hätte bedeutet, ein Milliardengeschäft zu vermasseln. Der Mann musste weg mitsamt seiner Aufzeichnungen. Doch diese Akten hat unglücklicherweise unser Held. Der Adam heißt. Der erste Mann der Welt. Der nicht Gott gegen sich hat, aber einen abgefeimten Teil der Menschheit.
William Boyds Roman ist nicht nur aufregend, er ist auch anregend. Zieht den Leser hinein in Fragen des existentiellen Daseins, des Betrugs, der Lebenslügen, der Identität. Wir haben nicht alle einen Mord zu verschweigen, den wir nie begangen haben, um überleben zu können – aber mit kleinen Notwahrheiten manövrieren auch wir uns immer wieder durch die Liebe und das Leben. Stehen nicht wirklich zu uns - aus Angst, die Gesellschaft könne uns aussortieren. Als Adam sich verliebt, wer verliebt sich da? Der Akademiker und Wolkenkammerspezialist oder der Bettler mit dem neuen Namen? Ist Adam noch Adam?
Natürlich formuliert Boyd keine dieser Fragen. Er ist ein viel zu ausgebuffter Erzähler, um uns mit Grübeleien zu behelligen, die man ohnehin mitlesen kann. Man kann es auch lassen und nur einen fulminanten Wirtschaftsthriller lesen, der auch eine politisch provozierende Lektüre ist. Denn die Machenschaften der Pharmamafia, die Boyd so detailliert und vermutlich erschreckend wirklichkeitsnah erzählt, sind auch hiesigen Arzneimittelkritikern nicht unbekannt. Wenn es um Geschäft und Gesundheit geht, bleibt wohl eher das Geschäft nicht auf der Strecke.
Boyd erzählt mit einer so stringenten Souveränität, dass man sich nie fürchtet, mit ihm in einer Sackgasse zu landen. Dafür landen wir in vielen Milieus. Wir wandern von den Villen der Pharmabosse zur Suppenküche einer suspekten Sekte. Wir sind im Milieu der Polizei und der geklauten Pässe, der Killer, die einst im Irak gekämpft haben und deren Auftraggeber heute verdammt nah, wenn nicht mittendrin im offiziellen Politbetrieb sitzen. Boyd liebt es, dem Bösen auf die Pelle, unter die Haut, ins Ich zu kriechen. Immer wieder packt einen der Zorn ob der möglichen, wohl allzu möglichen Wahrheitsgehalte dieser penibel recherchierten und glänzend geschriebenen Fiktion.
Besprochen von Gabriele von Arnim
William Boyd: Einfache Gewitter
Aus dem Englischen von Chris Hirte
Berlin Verlag, Berlin 2009
445 Seiten, 25 Euro