100 Jahre politischer Mord in Deutschland

Das mörderische Treiben nationalistischer Studenten

05:22 Minuten
Marburger Universität, im Vordergrund ist eine Brücke über die Lahn zu sehen
Die Marburger Universität um 1900: Studenten waren hier schon öfter durch besondere Brutalität aufgefallen. © imago/United Archives International
Von Elke Kimmel |
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Insgesamt 15 Menschen ermordeten Studierende 1920 in Marburg - mehrheitlich durch Kopfschüsse aus nächster Nähe. Es waren Arbeiter, die sich zur Verteidigung der Republik gegen die Kappisten erhoben hatten. Gerichtlich bestraft werden die Täter nicht.
„Leipzig, 13. Febr. Vor dem ersten Strafsenat des Reichsgerichts begann heute der Prozeß gegen die Marburger Studenten, die beschuldigt sind, während der Kapptage Arbeiter mißhandelt und erschossen zu haben. Die Angeklagten sind seinerzeit von dem Kriegsgericht in Kassel freigesprochen worden, worauf der Rechtsanwalt Liebknecht den Antrag stellte, den Prozeß vor dem Reichsgericht weiterzuführen.
Leipzig, 14. Febr. In der Revisionsverhandlung über den Marburger Studentenprozeß wurde die Revision vom Reichsgericht verworfen.“

100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Eine Sendereihe über mörderische Demokratiefeindschaft und ihre Hintergründe
Eine Kooperation von Deutschlandfunk Kultur mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam)
Von Elke Kimmel

Der Prozess, von dem die „Bonner Zeitung“ am 14. Februar 1922 berichtet, befasst sich mit Ereignissen im März 1920. Am selben Tag fasst die Zeitung der Unabhängigen Sozialdemokratie, die „Freiheit“, zusammen, was damals in Thüringen geschah:
„Arbeiter, die sich zur Verteidigung der Republik gegen die Kappisten erhoben, werden als Rotarmisten von einer Marburger Studentengruppe, die sich der Reichswehr zum Kampfe – nicht gegen Kapp, sondern gegen die rote Flut – angeschlossen hatten, gefangen genommen. Unterwegs werden sie aufs grausamste mißhandelt, einige von ihnen erschossen.“

Aus nächster Nähe hingerichtet

Insgesamt 15 Menschen haben die Mitglieder des „Studentenkorps Marburg“ - angeblich „auf der Flucht“ - erschossen. Dabei sind die Opfer mehrheitlich durch Kopfschüsse aus nächster Nähe hingerichtet worden. Die „Karlsruher Zeitung“ hatte schon anlässlich des Freispruches in Kassel im Dezember 1920 festgestellt:
„Harmlose Menschen, Familienväter und halbe Kinder, die, selbst wenn sie entflohen wären, jederzeit wieder hätten verhaftet werden können, wurden in sinnlosem, mechanisiertem Gehorsam in den Straßengraben gestreckt. Frohe Soldatenlieder wurden angestimmt, neue Gefangene übernommen, um mißhandelt und mit Freiübungen geschunden zu werden. Ein selbstzufriedenes: ‚Die sind erledigt!‘ Das Gewissen war rein; man hatte nur seine Pflicht getan. […]

Besondere Brutalität unter Marburger Studenten

Als die Studenten nach Marburg zurückgekehrt waren, erklärten sie: ‚Wir hätten nicht fünfzehn, sondern fünfzig übern Haufen schießen sollen.‘ Man wollte gründliche Arbeit machen, und […] von nichts [ist man] so sehr durchdrungen wie von der überzeugenden Durchschlagskraft der Patrone.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Marburger Studenten durch besondere Brutalität auffallen. So berichtete die liberale „Frankfurter Zeitung“ am 22. Juli 1919:
„In Marburg und Gießen haben sich mehrfach Studenten Misshandlungen von Juden zuschulden kommen lassen. […] Es handelt sich hierbei nicht etwa um sporadische Ausbrüche einer Volksmenge, sondern um ganz planmäßige antisemitische Arbeit […].“

Ausschluss vom Studium von Juden gefordert

Nicht nur in Marburg organisiert sich die Mehrzahl der Studenten in völkisch-nationalistischen Vereinen und Verbänden. Viele der aus dem Krieg Zurückgekehrten verhalten sich wie „Landsknechte“. In einigen Fakultäten – etwa Medizin – fordern die Studenten den Ausschluss von Juden vom Studium, weil sie „fremdvölkisch“ seien. Die Bekämpfung von Demokratie und Republik ist unter den Studierenden Konsens, und viele Professoren bestärken sie darin.
Beim Kapp-Putsch, dem militärischen Staatsstreich gegen die Regierung im März 1920, schließen sich große Teile der organisierten Studenten den Putschisten an. Sie stehen Gewehr bei Fuß, als die Reichswehr gegen die angeblich marodierenden Arbeiter im benachbarten Thüringen ihre Unterstützung anfordert.

Keine gerichtliche Bestrafung

Einer der Studenten notiert wenig später:
„Das war ein Bataillon der akademischen Jugend Marburgs, gebildet aus den so verschiedenen Korporationen, alle dem Rufe des in höchster Gefahr schwebenden Vaterlandes gefolgt, alle das kleinliche Gezänk vergessend, stark und einig in dem großen Verlangen, […] die Gemeinheit, die Korruption und die Lüge, die Empörung, den Aufruhr und räuberisches Banditentum zu ersticken. Dazu hatte man gerufen, dazu kamen sie alle gern und freudig, dazu setzten sie gern mit Aufbietung aller Kräfte zum mächtigen Stoße an, dazu opferten sie gern Ferien und kostbare Zeit, für ihr Vaterland waren sie noch bis auf den letzten Tropfen Blut bereit, dafür opferten sie gern alles.“
Bei diesem Einsatz verschleppen die studentischen Freikorps 15 politische Gegner und erschießen sie wenig später. Gerichtlich bestraft werden sie nicht.

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