Marc-Uwe Kling/Astrid Henn: "Das NEINhorn"
Carlsen, Hamburg 2019
48 Seiten, 13 Euro
Nein! Doch! Was? Na und?
05:23 Minuten
Das NEINhorn flieht aus seiner scheinbar vollendeten Glückswelt, weil es das harte Leben kennenlernen will. Sein Schöpfer, der Kabarettist und Kultautor Marc-Uwe Kling, formiert ein Quartett toller Geschöpfe und zelebriert Sprachwitz pur. Was für ein Spaß!
Im Land der Träume ist alles wunderschön und lieblich: Da sprudeln die schäumenden Seifenblasenseen, riesige Lilien blühen im "hübschen Herzwald" und der "supersonnige Sonnenhügel" wie auch der "wild wallende Wasserfall" laden zum Verweilen ein.
Und so ist auch das Leben dort: wunderbar, sorgenfrei und fröhlich. Zum Essen gibt es Zuckerwatte oder rosa glasierte Äpfel. Wenn man Lust hat, kann man mit "güldenen Feen" tanzen oder durch den warmen Wasserfall rutschten. Geredet wird in Reimen! Perfekt also alles, sollte man meinen.
Genervt vom Zuckerwatteglück
Wäre da nicht das kleine NEINhorn. Sein Name ist Programm. Seitdem es auf der Welt ist, lehnt es alles mit einem schnöden Nein ab. Mehr noch: das Dauerlächeln seiner Einhornfamilie nervt ihn gehörig und so haut es ab. Weg von all den Reimen und dem Zuckerwatteglück. Endlich mal das harte Leben kennenlernen; im Matsch wühlen; Schmetterlinge jagen. So was eben.
Und war das NEINhorn im Land der Träume die große Ausnahme, trifft es jetzt andere Tiere, die auch nicht ohne sind: Den WASbären, der nur zuhört, wenn er will. Den NahUND, der zu allem und jedem "Na, und?" sagt. Und die KönigsDOCHter, die immer Widerworte gibt.
Zu viert sind sie ein tolles Team. Auch sprachlich: Nein! Doch! Was? Na und? Das füllt mitunter ganze Bilderbuchseiten – und ist ein großer Spaß. Denn Marc-Uwe Kling reizt die Kombination, die sich aus diesen vier Dauermotzern ergibt, genüsslich aus und schafft Sprachwitz pur – wie schon die Wortspiele mit den Tiernamen zeigen, versehen mit einer guten Prise ironischem Humor.
Freuen an der Dauer-Mecker-Berieselung
Dem Tausendsassa Kling, der seit seiner Känguru-Trilogie zu den besten Kabarettisten Deutschlands gehört, geht es natürlich nicht um ein pädagogisches Musterbuch zum Thema Trotz. Nein. Hier zählt allein der Spaß: Indem man sich Sätze auf der Zunge zergehen lässt, ihrem Klang nachspürt oder sich einfach erfreut an dieser Dauer-Mecker-Berieselung.
Passend ins Bild gesetzt hat das Ganze Astrid Henn in ihren typischen Buntstiftzeichnungen, die voller Details und lustiger Widersprüche stecken. Da glitzert einem das liebliche Land der Träume in satt Rosa entgegen und die güldenen Feen, die mehr an freche Jungs erinnern, tragen rot-weiß-geringelte Unterwäsche.
Das kleine NEINhorn mit seinen kullerrunden Augen und der regenbogenbunten Mähne ist einfach zu goldig. Der NahUND mit seinen Hängeohren und dem treudoofen Blick ist göttlich. Wie auch die KönigsDOCHter, mit ihrem schrecklich schönen Prinzessinnenkleid und ihren albernen Löckchen. Wunderbar. Herrlich widersprüchlich. Und frech.
Botschaft - nein, danke!
Ganz langsam, beim wiederholten Lesen und Anschauen, beschleicht einen dann aber doch das Gefühl, dass der geniale Marc-Uwe Kling da doch eine Botschaft in sein Buch reingeschmuggelt hat. Eine nicht ganz so liebe. Eine, die den unterlippe-bebenden Übereltern ganz leise, sagt: So süß, wie ihr denkt, ist der Nachwuchs dann doch nicht. Denn seien wir ehrlich: Nein! Doch! Was? Na und? – das haben unsere Süßen auch ziemlich locker drauf. Das aber ist nur ganz selten so lustig wie hier in diesem Bilderbuch.
Für alle, die wie Kling selbst jede Botschaft im Buch von sich weisen, denen werden die letzten zwei Doppelseiten gefallen: Da finden sich weitere Wortspiele mit Tiernamen. Die Schmatze, das Reichhörnchen, das Musspferd oder – mein persönlicher Liebling – das Willschwein.