Marcel Duchamp: 100 Fragen. 100 Antworten
Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart, vom 23. November 2018 bis 10. März 2019
Eine Schau für die Trüffelschweine
Der Schweizer Serge Stauffer hat sein Leben dem Werk des Konzeptkünstlers Marcel Duchamp gewidmet. Diese intensive Auseinandersetzung mit dem Künstler, der sich in keine Schublade stecken ließ, stellt die Staatsgalerie Stuttgart ins Zentrum einer großen Ausstellung.
Marcel Duchamps Werk ist nicht einfach zu knacken. Und die Versuche der Kunsthistoriker haben ihn immer amüsiert. 1952 stellte er fest: "Was übrig bleibt, ist eine getrocknete Nuss, die von den Historikern klassifiziert wird im Kapitel 'Kunstgeschichte'." Einer dieser Nussknacker war der Schweizer Serge Stauffer.
Susanne Kaufmann: "Der erste Raum, in dem wir uns gerade befinden, zeigt einen sehr breiten Einblick in das Archiv von Serge Stauffer, indem wir einen Karteikasten, den er in seiner Forschung über Marcel Duchamp angelegt hat, erstmals wandfüllend zeigen. Das heißt, wir öffnen so richtig unsere Archivschachteln und zeigen unseren vollen Bestand. Wir haben natürlich auch einen Raum zu den Readymades konzipiert, da sieht man das Fahrrad-Rad neben dem Flaschentrockner und einem der wichtigsten Werke unserer Sammlung, der 'Schlägerei von Austerlitz'".
Susanne Kaufmann: "Der erste Raum, in dem wir uns gerade befinden, zeigt einen sehr breiten Einblick in das Archiv von Serge Stauffer, indem wir einen Karteikasten, den er in seiner Forschung über Marcel Duchamp angelegt hat, erstmals wandfüllend zeigen. Das heißt, wir öffnen so richtig unsere Archivschachteln und zeigen unseren vollen Bestand. Wir haben natürlich auch einen Raum zu den Readymades konzipiert, da sieht man das Fahrrad-Rad neben dem Flaschentrockner und einem der wichtigsten Werke unserer Sammlung, der 'Schlägerei von Austerlitz'".
Die Kuratorin Susanne Kaufmann führt mich durch die Ausstellung, sie ist begeistert, endlich einmal den üppigen Sammlungsbestand der Staatsgalerie zeigen zu können. Die 100 Fragen von Serge Stauffer und die knappen Antworten von Duchamp gehören dazu, sie sind liebevoll in einer großen Vitrine ausgebreitet. Leider sind diese Fragen superspeziell, gelten den Umständen der Werkentstehung, den Beschriftungen, den Materialien, dem Verbleib von Werken.
Deshalb mein Vorschlag an die Kuratorin: Widmen wir uns den Exponaten, die etwas handgreiflicher sind. Dem berühmten "Großen Glas" zum Beispiel, an dem Duchamp von 1915 bis 1923 gearbeitet hat. Eine Leihgabe aus Stockholm, drei mal zwei Meter groß, Ölmalerei und Blei auf Glas in einem Holzrahmen. Der mysteriöse Titel dieses mysteriösen Werks: "Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar".
Schwer zu entschlüsseln
Susanne Kaufmann versucht sich an einer Deutung: "Was man dort sieht, ist das unerfüllte Begehren der Junggesellen im unteren Bereich des Großen Glases hin zur Braut im oberen Bereich. Das heißt, eigentlich ein ganz klassisches Thema der Kunstgeschichte, das er dort bearbeitet."
-"Was aber sehr stark in die Ebene der Projektion verlagert ist, oder?
- "Das ist für den Betrachter erst mal gar nicht zu entschlüsseln. Man muss sich mit seinen Schriften auseinander setzen, man muss tiefer ins Werk gehen, um dieses Werk zu entschlüsseln. Es ist eins der am meisten interpretierten Werke des 20. Jahrhunderts, aber genau das macht es so spannend. Es erschließt sich nicht auf den ersten Blick, man muss selbst forschen, graben."
-"Diese Forschertätigkeit trauen Sie den Besuchern dieser Ausstellung zu?
- "Ich glaube, das ist auch das, was ein Besucher in einer Ausstellung möchte: sich reingraben können. Es ist oft so, dass grade das Suchen soviel Spaß macht".
-"Was aber sehr stark in die Ebene der Projektion verlagert ist, oder?
- "Das ist für den Betrachter erst mal gar nicht zu entschlüsseln. Man muss sich mit seinen Schriften auseinander setzen, man muss tiefer ins Werk gehen, um dieses Werk zu entschlüsseln. Es ist eins der am meisten interpretierten Werke des 20. Jahrhunderts, aber genau das macht es so spannend. Es erschließt sich nicht auf den ersten Blick, man muss selbst forschen, graben."
-"Diese Forschertätigkeit trauen Sie den Besuchern dieser Ausstellung zu?
- "Ich glaube, das ist auch das, was ein Besucher in einer Ausstellung möchte: sich reingraben können. Es ist oft so, dass grade das Suchen soviel Spaß macht".
Duchamp war ein durchgeknallter Typ
Kein Zweifel, diese wunderbar eingerichtete, ausufernde Schau richtet sich an das kunsthistorische Trüffelschwein. Überraschende Funde überall, zum Beispiel Marcel Duchamps Musikkompositionen.
Oder, direkt neben den Readymades, dem Flaschentrockner oder dem auf einen Schemel montierten "Fahrrad-Rad", Duchamps Übungen zur Einführung des Zufalls in die Kunst.
Oder, direkt neben den Readymades, dem Flaschentrockner oder dem auf einen Schemel montierten "Fahrrad-Rad", Duchamps Übungen zur Einführung des Zufalls in die Kunst.
"Und was macht Marcel Duchamp hier? Er wirft aus einem Meter Höhe einen ein Meter langen Faden und fixiert das vorgefundene Objekt auf einer Leinwand und verwendet dies dann immer wieder in seinen Werken. Das heißt, ein Zufallkonstrukt wird für ihn zu einer Art Lineal für sein späteres Werk".
Viele Künstler haben sich an ihm abgearbeitet
Mir macht es Spaß, immer wieder zu begreifen, was für ein durchgeknallter Typ Marcel Duchamp war. Wie sehr er Zeitgenossen und nachfolgenden Künstlern den Wind aus den Segeln genommen hat.
"Viele Künstler haben sich stark an ihm abgearbeitet und auch als Provokation verstanden, denn was konnte man danach eigentlich noch tun? Ein Künstler, der die Kunstgeschichte komplett in Frage stellt, indem er sich der Kunstproduktion eigentlich entzieht und sagt: Es gibt einige Jahre, da mache ich gar keine Kunst mehr. Das war für viele Künstler provozierend und ist es bis heute".
"Viele Künstler haben sich stark an ihm abgearbeitet und auch als Provokation verstanden, denn was konnte man danach eigentlich noch tun? Ein Künstler, der die Kunstgeschichte komplett in Frage stellt, indem er sich der Kunstproduktion eigentlich entzieht und sagt: Es gibt einige Jahre, da mache ich gar keine Kunst mehr. Das war für viele Künstler provozierend und ist es bis heute".
Spott wird in seiner Musealisierung erstickt
Die Staatsgalerie Stuttgart kämpft mit dem Paradoxon, dass die Freigeistigkeit und der unkonventionelle Spott von Marcel Duchamp in seiner Musealisierung erstickt werden. Je mehr Material, desto weniger Leben. Zweifellos hat Marcel Duchamp das alles vorhergesehen und freut sich über den vergeblichen Eifer der Kunstgeschichtler, Kuratoren und Vitrinen studierenden Besucher.
Der Künstler, der wie ein Handelsreisender Miniaturen seiner Werke in einem Koffer versammelte, hat sich längst aus dem Staub gemacht. Und lässt uns erstaunt und reichlich hilflos zurück: "Marcel Duchamp hatte die Idee, eine Gesellschaft zu gründen, deren Mitglieder die Luft bezahlen müssen, die sie atmen. Es ist oft so, dass man in unserer Ausstellung schmunzeln muss. Marcel Duchamp ist ein sehr ironischer Künstler".