Marcel Duchamp starb vor 50 Jahren

Er zertrümmerte alle Vorstellungen von Kunst

Das Kunstwerk 'Fountain' (1917) von Marcel Duchamp ist in einer Ausstellung im Landesmuseum in Zürich in der Schweiz zu sehen.
"Fountain" von Marcel Duchamp: Quantensprung in der Kunst © picture alliance / dpa / Ennio Leanza
Von Anette Schneider |
Marcel Duchamp bewegte sich in den Kreisen der Dada-Künstler und der Surrealisten. Weltberühmt machten ihn seine sogenannten Readymades: modifizierte Fundstücke und Alltagsgegenstände wie die Kloschüssel "Fountain", mit denen er die Vorstellung von Kunst radikal veränderte.
Eigentlich begann alles ganz harmlos: Marcel Duchamp, 1887 in einer großbürgerlichen und kunstsinnigen Familie in der Normandie geboren, wollte Maler werden.
"Ich hatte stets einen Horror, ein 'Berufsmaler' zu sein."
Er studierte in Paris, arbeitete sich danach in rascher Folge vom Impressionismus bis zum Kubismus an den Moden seiner Zeit ab, wobei er darauf bedacht war, sich nicht zu wiederholen.
"Die Gefahr ist, sich dem gängigen Geschmack zu überlassen. Es ist eine Gewohnheit: Wenn man eine Sache lange genug wiederholt, wird sie zur Mode. Wenn man aber gleich wieder mit etwas aufhört, nachdem man es gemacht hat, dann kann es für sich stehen."
"Die Malerei ist erledigt"
Doch nach dem Besuch einer Technikausstellung im Jahre 1912 erkannte er für sich: "Die Malerei ist erledigt. Wer wird denn jemals etwas Besseres machen als so einen (Flugzeug-)Propeller?"
"Das war ein sehr wichtiger Moment in meinem Leben. Ich musste nun eine Entscheidung treffen. Und ich traf eine, indem ich mir sagte: 'Schluss mit der Malerei als Gelderwerb - du suchst dir einen Job'. Und ich suchte einen Job, der mir genug Zeit lassen würde, nur für mich zu malen."
Allerdings kam er mit dem Malen nicht recht weiter. Dafür montierte er 1913 eine Fahrradfelge auf einen Hocker:
"Sie amüsierte mich."
Dann kaufte er einen verzinkten Flaschentrockner und signierte ihn.
"Die Kunst ist nicht das, was man sieht; sie ist in den Lücken."

Ein Quantensprung der Kunst

Und 1915 ging er nach New York, wo er bereits berühmt war, und von Sammlern und Mäzenen gefördert wurde. Dort erklärte er im Jahr 1917 ein Urinal zu Kunst.
"Ja! Das ist einer der Quantensprünge, die in der Kunst stattfinden im 20. Jahrhundert. Dass er sich herausnimmt, die Dinge von außen neu zu sehen und damit auch den Kunstbegriff erweitert."
Dies sagt die Kunsthistorikerin Annabelle Görgen-Lammers.
Der 30-jährige Bilderstürmer legte das Pissoir mit der flachen Rückseite auf einen Sockel und nannte es "Fountain" - "Fontäne".
Dazu Annabelle Görgen-Lammers: "Das heißt: Er kombiniert dieses Alltagsobjekt mit einem Begriff, der ja eigentlich erst mal ganz und gar nicht dazu passt. Und dadurch fängt man an, dieses Alltagsobjekt eben komplett neu zu sehen. Und diese Hinterfragung der Automatismen, die wir haben: im Sehen, im Einordnen, in der Idee, dass Dinge nur eine Funktion haben und nicht mehr neu gesehen werden können, das hinterfragt er eben. Und fragt: 'Wo fängt es eigentlich an, dass ein Ding Kunst sein kann? Und wo hört es auf?'"
Mit seinen sogenannten Readymades zertrümmerte Duchamp alle gängigen Vorstellungen von Kunst, Künstlern und Kunstproduktion und wurde zum Wegbereiter der Konzeptkunst. So schrieb er auf einen Schneeschieber "In Advance of the Broken Arm". Oder er verpasste der Mona Lisa einen Schnauz- und Spitzbart.
"Ich glaube, die Kunst ist die einzige Form der Betätigung, durch die der Mensch sich als wahres Individuum zeigt und imstande ist, über den animalischen Zustand hinauszugehen."
Kunsthändler und Ausstellungsmacher
Duchamp war ein Meister der Selbstinszenierung: Mal gab er sich als großer Schweiger, dann wieder erläuterte er wortreich seine Kunst, um das Gesagte im nächsten Moment wieder in Frage zu stellen. Nichts ließ er gelten. Außer vielleicht seine größte Leidenschaft: das Schachspielen, dem er sich ab 1923 zehn Jahre lang intensiv widmete.
"Ich war stets von der Idee angetan, ein Heim für Faule aufzumachen."
Bis in die 60er-Jahre entstanden noch einige Kunstwerke. Darunter die "Schachtel im Koffer", eine Art Miniaturmuseum mit kleinen Reproduktionen eigener Arbeiten. Vor allem aber wirkte Duchamp als Kunsthändler und Ausstellungsmacher. Er inszenierte legendäre Dada- und Surrealismus-Ausstellungen, die in die Kunstgeschichte eingingen. Er beriet Peggy Guggenheim sowie andere Mäzene beim Aufbau ihrer Sammlungen.
"Ich genieße das Leben."
Bis zum Abend des 2. Oktober 1968. Duchamp hatte Freunde eingeladen. Man aß gemeinsam und unterhielt sich über ein sehr lustiges Buch von Alphonse Allais. Dazu Annabelle Görgen-Lammers:
"Ein Vorläufer von Marcel Duchamp, ein Humorist des späten 19. Jahrhunderts. Und dieses Buch hat er gelesen. Und er soll am Lachen nach diesem schönen Abend im Badezimmer verstorben sein."
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