Marcel Reif über Pep Guardiola

"Er denkt in Drei-Jahres-Zyklen"

Trainer Pep Guardiola vom Fußball-Bundesligisten FC Bayern München spricht am 31.03.2014 auf der Abschlusspressekonferenz im Teamhotel in Manchester.
Trainer Pep Guardiola hütet Zukunftsgeheimnis weiter. © dpa / Andreas Gebert
Moderation: Ute Welty |
Die Bundesliga-Hinrunde neigt sich ihrem Ende entgegen. Der Herbstmeister ist gekürt. Jetzt warten alle auf Pep Guardiolas Entscheidung. Bleibt er beim FC Bayern? Gibt es eine neue Trainergeneration? Im Interview suchen wir mit Kommentator Marcel Reif nach Antworten.
Der Sportjournalist und Chefkommentator beim Pay-TV-Sender Sky, Marcel Reif, begrüßt den voraussichtlichen Abschied von Bayern Münchens Trainer Pep Guardiola.
"Drei Jahre, das hat er für sich selber mal entschieden, ist so ein Zyklus, den er und andere aushalten", sagte Reif am Samstag in Deutschlandradio Kultur angesichts der sich verdichtenden Anzeichen, dass der Abschied des spanischen Trainer-Stars vom Fußball-Rekordmeister Bayern München beschlossene Sache ist. Guardiola denke in "Drei-Jahreszyklen". Bereits sein früheres vierjähriges Trainer- Verhältnis mit dem FC Barcelona habe der spanische Star-Coach einst als Fehler bezeichnet. "Ich glaube, dass er am Ende einer Reise ist. Weil Menschen, die so extensiv arbeiten, sich selber verbrauchen und ihre Umwelt verbrauchen", so der Schweizer Fernsehjournalist und Chef-Kommentator beim Pay-TV-Sender Sky Deutschland.
Dass Guardiola die bis zum 30. Juni 2016 vereinbarte Zusammenarbeit mit dem FC Bayern München voraussichtlich nicht fortsetzen möchte, sei aber für den FC Bayern München zu verschmerzen: Für die Mannschaft biete der Trainerwechsel nach dem "manischen Autisten" Guardiola Luft zum Durchatmen: "Diese Mannschaft braucht jetzt mal ein bisschen Ruhe." Als Nachfolger werde mit Sicherheit der Italiener Carlo Ancelotti kommen, erklärte Reif. "Sie werden die Früchte ernten, sie werden es genießen. Ich glaube der Club selber wird aufatmen, durchatmen, weil natürlich eine spanische Konquistadoren-Armada da eingefallen war und hatte das Kommando übernommen."
Guardiolas Arbeit für den FC Bayern München würdigte Reif als großartige Leistung. Er habe Spieler, die bereits Weltklasse sind noch besser gemacht. Die Zukunft des Katalanen sieht Reif entweder bei Manchester United oder Manchester City.
Vier bis fünf Clubs und nur eben so viele Top-Trainer bestimmten das Trainer-Personal der europäischen Top-Clubs: "Ganz oben ist die Luft ganz dünn."
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Ute Welty: Wenn heute Nachmittag die Bayern in Hannover auflaufen, dann wird einer unter besonderer Beobachtung stehen, Trainer Pep Guardiola nämlich. Die Anzeichen verdichten sich, dass sein Abschied vom Fußballrekordmeister Bayern München beschlossene Sache ist, der Dreijahresvertrag des Spaniers endet im nächsten Sommer und als Nachfolger wird der Italiener Carlo Ancelotti gehandelt, und auch José Mourinho wäre verfügbar, weil gerade vom FC Chelsea entlassen. Es tut sich also was, und was genau, das können wir jetzt von einem der bekanntesten deutschen Sportjournalisten erfahren! Guten Morgen, Marcel Reif!Marcel Reif: Guten Morgen!
Welty: Wenn denn dem so ist, dass Guardiola aufhört, warum tut er das? Seine Bilanz fällt doch exzellent aus!
Reif: Ja, das sagen Sie! Abgerechnet wird, wenn das Silber verteilt wird, das ist eben Ei! Und wenn er ohne einen Champions-Sieg abtritt bei Bayern, ist seine Bilanz keineswegs so glücklich, dann hat er sein Hauptziel nicht erreicht und bleibt unvollendet. Er würde gerne warten bis Mai, dann das Ding gewinnen und sich dann mit einem Fackelzug verabschieden. Aber das geht halt nicht, das muss jetzt entschieden werden, weil, man muss ja sich um den Rest kümmern, ich denke, das verstehen wir alle. Also, deswegen, warum? Weil er am Ende einer Reise ist. Weil ich glaube, dass Menschen wie er, die so extensiv arbeiten, so – das ist ja fast schon manisch – sich selber verbrauchen und ihre Umwelt verbrauchen ... Das heißt, drei Jahre, das hat er für sich selber mal entschieden, glaube ich, ist so ein Zyklus, den er und den andere aushalten. Er hat ja gesagt, sein viertes Jahr in Barcelona war sein größter Fehler. Ich glaube, er denkt in Dreijahreszyklen, ich glaube, er liegt da nicht falsch.
Welty: Inwieweit hat Guardiola die Mannschaft in München verändert? Mir fallen da so Begriffe ein wie ernsthaft, erwachsen und auch geschäftsmäßig, wenn ich so von außen auf diese Truppe gucke!
Reif: Nein. Nein, nein, nein, nein, also, das ist unfair! Geschäftsmäßig gar nicht, ernsthaft, seriös, der hat sie auf ein anderes Level gehoben und er hat damit auch den Fußball weiterentwickelt. Ich dachte immer schon, ich hätte den besten Fußball gesehen vor drei, vier Jahren mit Barcelona, dann kam er nach München, das hat ein bisschen gedauert. Ich habe ihn in dieser Saison in Wolfsburg im Pokalspiel, die erste Halbzeit war, glaube ich, das beste Fußball, was ich je gesehen habe. Da hat jeder Spieler das ...
Welty: Warum war es der beste Fußball, den Sie je gesehen haben?
Reif: Weil er jeden Spieler, die so schon ran an Weltklasse sind, noch besser gemacht hat, und weil er daraus eine Mannschaft gemacht hat, die in einem Spiel so viele Optionen hat, die so viele taktische Systeme variieren kann auf Knopfdruck, das hat es so noch nie gegeben. Das ist schon ziemlich einzigartig. Also, rein sportlich hat er Großartiges geleistet.
Welty: Inwieweit hat München seinen Trainer gefordert und geformt?
Reif: Auch. Ich glaube, er ... Das ist ihm aber klar, er kam aus Barcelona, das war für ihn nicht neu. Es gibt drei, vier Clubs auf der Welt, die müssen Titel gewinnen, und zwar immer Titel gewinnen, und zwar immer alle Titel gewinnen. Und wenn sie nicht immer oder nicht alle Titel gewinnen, ist irgendwas schiefgelaufen. Und das ist natürlich ein Druck. Und er kannte die Sprache nicht, also, das ist immer ... Deutsch, er musste sich da zurechtfinden. Das hat er sehr gut gemacht. Und natürlich hat er sein Umfeld gewaltig gefordert, aber er wurde auch ... Noch mal, das braucht sich auf! Diese Art Trainer, mir fällt nur noch Thomas Tuchel ein in Deutschland, aber ich glaube, der muss noch viel lernen, der ist noch jung. Aber ich glaube, diese Art Trainer wird das Maß der Dinge sein. Also, diese Grandseigneurs, die so ein bisschen sagen, geht raus, spielt Fußball, das wird es nicht mehr geben.
Welty: Wenn ein solcher Spitzentrainer nach drei Jahren durch ist, was kommt dann, was kommt nach einer solchen Zeit des Drucks und der Konzentration?
Reif: Das lehrt uns das Leben. Das Leben ist ja immer so Pendelausschläge. Ich glaube, die Bayern brauchen diese Mannschaft und sie wird ja ... Sie ist jetzt auf Zukunft zusammengestellt bis auf Ausnahmen, diese Mannschaft braucht jetzt mal ein bisschen Ruhe, die braucht jetzt etwas zum Durchatmen. Carlo Ancelotti wird es werden, da halte ich jede Wette, er ist auch der einzig Ministrable im Moment für die Bayern, der auch da passt, der ist noch der Letzte, der so reinragt in die Ära der Hitzfelds und Heynckes und del Bosques, so diese großen Herren, die aber auch leben und leben lassen. Und da ist er der Letzte mit großen Erfolgen, ein großartiger Trainer, aber nicht ein solcher manischer Autist wie Guardiola. Und ich glaube, die Mannschaft hat genug gelernt, mehr kann man da nicht reinverkopfen. Weil, ich glaube, dass ... Sie werden das sehr genießen, sie werden die Früchte ernten, ich glaube, der Club selber wird aufatmen, durchatmen, weil natürlich eine spanische Armada da eingefallen war und hatte da Konquistador-mäßig das Kommando übernommen. Ich denke schon, dass auch die Bayern wieder ein bisschen zu ihrer eigenen DNA zurückfinden.
Welty: Marcel Reif legt sich fest auf Ancelotti. Warum nicht Mourinho?
Reif: Weil Mourinho in vielem ein ähnlicher Typ ist wie Guardiola, weil Mourinho noch mehr Kontrolle will oder genauso viel Kontrolle will, und weil Mourinho ein schwieriger Charakter ist, um es sehr vorsichtig auszudrücken. Das ist nicht Bayern-like.
Welty: Aber schwierige Charaktere, was Sie beschrieben haben, da hat man sich ja schon dran abgearbeitet. Also, das hat man ja gelernt in den letzten Jahren.
Reif: Ja, Guardiola war ein äußerst schwieriger Vertreter seiner Zunft. Mourinho ist ein Zyniker, Mourinho ist ... Bei dem geht Siegen über alles, egal wie, völlig egal wie, jedes Mittel ist da recht. Das ist bei uns hier nicht ... Das ist in der Kultur nicht zu vermitteln und den Bayern kann man vieles nachsagen, aber sie haben eine bestimmte Kultur und einen bestimmten Stil und eine Klasse auch. Und da passt Mourinho wirklich nicht hin. Also, ich weiß, dass er natürlich jetzt frei ist und dass natürlich jetzt das Gezerre unter den vier, fünf großen Weltclubs jetzt losgeht, in Real Madrid ist man nicht zufrieden mit dem eigenen Trainer, Paris sagt man auch immer wieder, die könnten auch wieder einen brauchen. Also, wir reden über vier, fünf Clubs, Manchester beide Vereine, City und United. Und das ist ein geschlossener Zirkel und Mourinho ist auf diesem Karussell, aber Mourinho passt nicht zu Bayern.
Welty: Wo können solche Spitzenclubs wie München überhaupt noch ihr Trainerpersonal rekrutieren?
Reif: In einer kleinen Bar an der Ecke. An der Theke sitzen vier Mann. Und das Schlimme ist ja, für die vier Männer an der Bar gibt es auch nur diese eine klei..., oder gibt es drei, vier kleine Bars, mehr auch nicht. Also, Guardiola kann nicht zu Real Madrid gehen, ist völlig undenkbar, weil er ja Katalane ist. Nach Barcelona kann er nicht zurückgehen. Dann bleibt noch Manchester United, da ist van Gaal, das könnte sein, dann ist Manchester City, die haben das Geld und ein paar Katalanen am Ruder, das könnte passen. Und bei den Bayern war er. Jetzt erzählen Sie mal, wo er noch hin soll! Mourinho kann ja nicht irgendwie Hannover 96 übernehmen, für den ... Verstehen Sie, sind Sie einmal oben in dieser Luftblase drin, ganz oben, da ist die Luft sehr dünn, wenig Clubs, wenig Trainer, und die zirkulieren.
Welty: Was bedeutet das für den Spitzenfußball, wenn die absolute Oberklasse nur noch von so wenigen Trainern geführt wird und wenn das Feld insgesamt so eng ist an der Stelle?
Reif: Wir haben vier, fünf Clubs, die bestimmen die Musik. Daran wird sich auf Jahre nichts ändern, weil, das sind die besten Trainer der Welt. Diese Trainer entwickeln diese Clubs noch weiter, die werden sich noch weiter vom Rest der normalen Welt verabschieden.
Welty: Ist aber auch ein bisschen langweilig, oder?
Reif: So ist das Leben. Aber Sie können ja immer sagen: Welcher von diesen vier Clubs wird Champions-League-Sieger? Das ist so die spannende Frage. Aber nur einer von den vieren.
Welty: Jetzt kann ich Sie aber noch nicht vom Platz lassen ohne einen Tipp für heute Nachmittag, Hannover gegen München?
Reif: Sie haben ja vorhin gesagt, er hat sie seriös gemacht, geschäftsmäßig. Dann glaube ich Ihnen jetzt mal! Die werden das seriös-geschäftsmäßig unter den Weihnachtsbaum bringen, 1:0, 2:0, relativ unspektakulär, aber ... Es geht um drei Punkte, das Leben geht danach noch sehr viel spannender weiter.
Welty: Und die Meisterschaft ist eh in trockenen Tüchern?
Reif: Das war sie vor dem ersten Anpfiff.
Welty: München steht vor einem Trainerwechsel, sagt Fußballexperte Marcel Reif, und er hat uns auch erklärt, warum das möglicherweise für Verein wie für Trainer ganz gut so ist. Dafür danke und einen spannenden Fußball-Samstag wünsche ich Ihnen und allen überhaupt!
Reif: Danke, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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