Marcelo Figueras: Das schwarze Herz des Verbrechens
Nagel & Kimche, Zürich 2018
461 Seiten, 24,70 Euro
Argentiniens dunkle Stunden
Der Schriftsteller Rodolfo Walsh gilt als Begründer des investigativen Journalismus in Argentinien. Er steht im Mittelpunkt des Romans von Marcelo Figueras, dem damit nicht nur ein differenziertes Porträt gelingt, sondern gleichzeitig ein fesselnder Polit-Thriller.
"Das schwarze Herz des Todes" ist ein spannender Roman. Nicht nur, weil er eine Art Polit-Thriller ist, sondern weil die intellektuellen Spannungsbögen, die der argentinische Autor Marcelo Figueras, inszeniert, so weitgreifend funktionieren.
Zunächst einmal beschreibt der Roman ziemlich präzise die Entstehung eines der Hauptwerke der argentinische Literatur: "Das Massaker von San Martín" von Rodolfo Walsh, dessen weltliterarische Bedeutung zudem noch darin liegt, dass dieses Buch der Gründungstext des Genres "True Crime" ist: Der Roman erschien 1957, acht Jahre vor Truman Capotes "Kaltblütig". Ausgangspunkt von Walshs und auch von Figueras' Text ist dabei ein Massaker, dass die argentinische Regierung während der sogenannten "Befreiungsrevolution" gegen angebliche Peronistische Kräfte 1956 an mehr oder weniger unbeteiligten Zivilisten angerichtet hatte.
Fesselnder Einblick in Argentiniens Geschichte
Figueras zeichnet den Weg von Walsh vom Verfasser marktgängiger Kriminalromane bis zum flamboyanten politischen Schriftsteller nach. Die Entstehung dieses Buchs, die Gefahren, denen sich der Autor aussetzt und damit alle seine ihm nahestehenden Menschen auch, die allmähliche Korrosion seiner sozialen und Liebesbeziehungen, seine Zweifel und Skrupel, die Veränderungen, die mit ihm während dieses kreativen Prozesses vorgehen, aber auch seine Sturheit und sein Dogmatismus – all das liefert eine spannende "Biographie" eines eminenten Buches.
Eine zweite Ebene, für die das deutsche Publikum möglicherweise ein paar Kontext-Kenntnisse benötigen dürfte, dreht sich um eine Art "Poetik" von Kriminalliteratur, die Figueras entlang einer nur anscheinend internen argentinischen Diskussion aufzieht: An dem Konflikt zwischen Jorge Luis Borges (und der sog. "Florida"-Gruppe) und Roberto Arlt ( und der "Boedo"-Gruppe), um die Realitätshaltigkeit von Literatur, um die reine Ästhetik von "Zeichenoperationen" und dem "Sitz im Leben" von Literatur, die sich auffällig an kriminalliterarischen Parametern entlang bewegte, wobei Walsh am Ende als der profilierteste Gegenpol zu Borges steht. Borges starb hochgeehrt, Walsh wurde 1977 von der Militärjunta unter Videla ermordet.
Rolle der Literatur
Diese immer noch virulente Diskussion verlängert Figueras implizit bis zu der zugespitzten Frage, welche Rolle der Literatur heute zukommt. Welche Optionen sie in einer Zeit, in der die Mächtigen nicht mehr mit brutaler Gewalt, sondern mit der Macht gesteuerter Narrative herrschen, überhaupt noch hat: "Medienbündelung" nennt Figueras dies in seinem aktualisierenden Nachwort. Deswegen ist der Roman auch als Kommentar zum heutigen Argentinien zu verstehen und gleichzeitig steht dieses heutige Argentinien für die allmähliche Aushöhlung der demokratischen Verfasstheit anscheinend (oder: gerade noch) stabiler Gesellschaften, die Figueras bedroht sieht.
So balanciert "Das schwarze Herz des Verbrechens" (damit sind die Machtzentren des Staates gemeint) auf einem dünnen Draht zwischen "Ideenroman" und politischem Kriminalroman, zwischen fein ziseliertem Autorenporträt und ästhetisch-politischem Diskurs. Und das ist spannend.