Protest gegen Wissenschaftlichkeitsfeindlichkeit
In vielen deutschen Städten gehen am morgigen Samstag Menschen auf die Straße, die sich für die Bedeutung unabhängiger Forschung einsetzen. Der Wissenschaftsforscher Carsten Könneker hat die Motive und Ziele der Proteste untersucht.
Der "March for Science" brachte im vergangenen Jahr weltweit über eine Million Menschen auf die Straßen. Allein in Deutschland demonstrierten über 37.000 Menschen an 22 Orten für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung. In diesem Jahr werden Demos und Veranstaltungen in mindestens 15 deutschen Städten stattfinden.
Vertrauen erzeugen
Carsten Könneker ist Professor für Wissenschaftsforschung und Wissenschaftskommunikation an der Uni Karlsruhe. Er sei der Frage nach den persönlichen Motiven nachgangen, die die Leute dazu bewegten, für die Wissenschaft zu demonstrieren, sagte er im Deutschlandfunk Kultur.
"Und in einer – muss ich einschränkend sagen – nicht repräsentativen, aber immerhin der einzigen in Deutschland durchgeführten Umfrage, so einer Art Probebohrung der Motive, wo wir so ein Prozent der in Deutschland Marschierenden erfassen konnten, da kam dann raus, dass vor allen Dingen Motive wie: 'Ich möchte, dass evidenzbasiertes Denken in der Politik eine größere Rolle spielt' oder 'Ich möchte die Bedeutung von Wissenschaft in der Gesellschaft nach außen kehren' eine Rolle spielen." Das Ziel der Wissenschaftskommunikation sei es, Vertrauen in die Wissenschaft zu erzeugen.
(gem)
Das Interview im Wortlaut:
Stephan Karkowsky: Als Donald Trump sein Amt antrat, bekam das Wort Wahrheit eine völlig neue Bedeutung. Nicht nur, weil aufmerksame Beobachter ihn doch ziemlich häufig beim Lügen ertappen, sondern auch, weil Trump sich offen gegen die Erkenntnisse tausender Wissenschaftler aus aller Welt wandte in Sachen Klimawandel. Der war für ihn klar eine Erfindung der Chinesen, um die US-Wirtschaft zu schwächen. Die Wissenschaft reagierte entsetzt und ging dagegen auf die Straße, und so wurde der "March for Science" geboren.
Der "March for Science" wird weltweit unterstützt, auch in Deutschland. Morgen findet er zum zweiten Mal bei uns statt. Wozu diese Demonstration, das frage ich Carsten Könneker. Er ist Professor für Wissenschaftsforschung und Wissenschaftskommunikation an der Uni Karlsruhe. Herr Könneker, guten Morgen!
Carsten Könneker: Guten Morgen, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Denn wir haben doch mit einer Physikerin im Kanzleramt eine eher wissenschaftsfreundliche Regierung, oder?
Könneker: Das ist richtig, genau. In den letzten Jahren gab es immer einen stabilen Aufwuchs, sehr verlässlich für die deutsche Wissenschaft, was das Budget im Bundesforschungsministerium zum Beispiel angeht. Insofern bräuchte man sich da gar keine Sorgen machen – da spielen Sie, glaube ich, drauf an. Aber es ist natürlich so, mit Blick auf die USA oder bestimmte Stimmen auch in der deutschen Politik macht sich auch das wissenschaftliche Establishment in Deutschland, also die Spitzen der großen Organisationen, schon seine Gedanken, ob denn diese Tatsache, dass Wissenschaft gesetzt ist in der deutschen Politik, ob das auf Dauer so bleibt. Und da breiten sich massive Sorgen aus, ja.
Karkowsky: Können Sie denn diese Sorgen noch konkreter fassen?
Könneker: Sie haben es ja schon durch den Beitrag aus den USA gerade gebracht. Skepsis, teilweise vielleicht aus ideologischen Gründen – mit dem Klimawandel, das kann ja nicht so sein –, das wird natürlich auch in Deutschland artikuliert von bestimmten Kräften, auch von bestimmten Parteien, die mittlerweile auch im Bundestag sitzen, von prominenten Stimmen dort. Wenn man sich jetzt überlegt, wie könnten künftige Regierungskonstellationen aussehen, nach der großen Koalition, die wir jetzt haben, dann ist also da vieles möglich und denkbar.
Und irgendwann sind wir dann vielleicht auch in Situationen, wo dann eine Regierung sagt, och, das mit der Wissenschaft, die sind ja so gepampert worden in den letzten Jahren, jetzt setzen wir mal mehr auf Soziales oder auf Verteidigung. Und insofern sitzt man da sehr bequem im Moment, das würde ich schon so sehen, auch wenn es natürlich viele Engpässe finanzieller Art gerade in den Hochschulen gibt, in der Grundfinanzierung. Aber trotzdem, Sie haben schon recht, in Deutschland haben wir die Probleme wie in vielen anderen Ländern im Bereich der Wissenschaftsförderung, der Wissenschaftsfinanzierung so noch – Fragezeichen – nicht.
Die Motive der Demonstranten
Karkowsky: Sie haben ja die Menschen im vorigen Jahr gefragt, warum sie denn da mitlaufen beim "March for Science". Was haben die gesagt?
Könneker: Die Frage war für uns, was heißt das eigentlich, wenn Menschen jetzt auf die Straße gehen und für die Wissenschaft marschieren. Was sind eigentlich die persönlichen Motive? Und in einer – muss ich einschränkend sagen – nicht repräsentativen, aber immerhin der einzigen in Deutschland durchgeführten Umfrage, so einer Art Probebohrung der Motive, wo wir so ein Prozent der in Deutschland Marschierenden erfassen konnten, da kam dann raus, dass vor allen Dingen Motive wie: "Ich möchte, dass evidenzbasiertes Denken in der Politik eine größere Rolle spielt" oder "Ich möchte die Bedeutung von Wissenschaft in der Gesellschaft nach außen kehren."
Das waren so Motive, die sehr viel Zustimmung erreicht haben, während zum Beispiel eine konkrete – ein Auf-die-Straße-gehen gegen die Politik der US-Regierung in Deutschland bei den Motiven, die wir da abgefragt haben, allenfalls im Mittelfeld rangierte.
Karkowsky: Im Journalismus ist es so, dass wir gerade dafür sorgen müssen, dass unsere Glaubwürdigkeit gestärkt wird dadurch, dass wir unsere Methoden offenlegen und deutlicher zeigen, wie wir denn an unsere Nachrichten herankommen und wie diese Fakten entstanden sind, die wir präsentieren. Geht das vielleicht auch der Wissenschaft so, dass sie stärker noch zeigen muss, wie sie arbeitet und warum sie sagt, das ist jetzt eine wissenschaftlich bewiesene Erkenntnis, also damit quasi eine Wahrheit?
Könneker: Ja, das ist, glaube ich, ganz entscheidend, wenn man als Ziel von Wissenschaftskommunikation mal setzt, dass sie auch Vertrauen in die Wissenschaft erzeugen soll. Denn das entsteht nach einem sehr bewährten psychologischen Modell immer genau dann – also Vertrauen, gesellschaftliches Vertrauen in Wissenschaftler, wenn die Bürger einen Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin gleichzeitig in drei Hinsichten als vertrauenswürdig empfinden. Und das eine ist sozusagen das Können – also ich, wenn mir, was weiß ich, ein Quantenphysiker gegenübertritt, der mir was aus seiner Forschung erzählt, ich muss das Gefühl haben, der kann das, der hat das gelernt und so weiter. Und da hapert es auch nicht dran, da investieren wir Deutsche jedenfalls sehr viel Vertrauen, in dieser Hinsicht.
Die zweite Hinsicht ist aber schon das, worauf Sie anspielen – Integrität. Hält sich diese Person eigentlich an die Regeln des eigenen Fachs? Im Beispiel Quantenphysik wäre das, der erfindet keine Daten, der schreibt nicht irgendwo ab, der lässt Daten, die ihm nicht in seine Hypothese reinpassen, nicht unter den Tisch fallen und so weiter. Und da geht es eben schon genau darum, auch hervorzuheben, wie man überhaupt arbeitet – das ist genau der Punkt. Der dritte Punkt sind dann noch die Absichten. Die sollen möglichst gut sein natürlich. Das kann in der Grundlagenforschung eine lautere Neugierde sein. Da tritt mir jemand gegenüber in der Wissenschaftskommunikation, der sagt, ich war schon als Kindergartenkind neugierig, und jetzt mache ich Grundlagenforschung.
Ich weiß nicht, wofür es gut ist, aber mich elektrisiert das. Oder es kann natürlich auch was Angewandtes sein, dann wird es noch einfacher: Hier ist ein medizinisches Problem, oder ich möchte beim Klimawandel meinen Beitrag leisten und der Gesellschaft sozusagen da dienen. Aber diese drei Dimensionen müssen in der Wissenschaftskommunikation eine Rolle spielen, und dieses Methodische – was machen wir da überhaupt? – ist ganz oft unterbelichtet, übrigens auch im Wissenschaftsjournalismus.
Dilemma der Schlagzeilen
Karkowsky: Da wollte ich gerade nach fragen. Wie selbstkritisch sollten wir denn sein von den Massenmedien? Stimmt der Eindruck, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht selten für eine Schlagzeile unzulänglich verkürzt werden und damit nicht mehr der Komplexität des Themas gerecht werden können?
Könneker: Ja, das ist so. Das ist ein Dilemma. Das muss auch irgendwo so sein, weil eine Schlagzeile kann natürlich nicht … Wir brauchen Schlagzeilen, wir brauchen sozusagen irgendwie einen Ankerpunkt, um überhaupt öffentliche Aufmerksamkeit für Wissenschaft zu generieren. Da streitet natürlich die Wissenschaft mit allen möglichen Themen und Kräften. Das ist eine Notwendigkeit. Wenn man die Aufmerksamkeit vielleicht mal mit einer Schlagzeile, die jetzt nicht in unzulässiger Weise übertreibt, wenn jetzt irgendeiner da sagen würde …
Karkowsky: Mir fällt was ein: "Karlsruher Professor sieht Wissenschaft in einer Glaubwürdigkeitskrise"
Könneker: Ja, genau – das wäre falsch. Da gibt es auch, in dem Beispiel gibt es auch keine Daten dafür, die das hergeben würden. In der deutschen Bevölkerung grassiert keine Wissenschaftlichkeitsfeindlichkeit, das wissen wir aus bevölkerungsrepräsentativen Umfragen. Der Eindruck ist aber schon da. Und zwar deswegen, weil vor allen Dingen in sozialen Netzwerken, wo sich auch wissenschaftsfeindliche oder -skeptische Kräfte natürlich mobilisieren können, sehr lautstark getönt wird. Und wenn man da reinhorcht, hat man den Eindruck, Gott oh Gott, das werden ja immer mehr. Und daraus kommt natürlich auch vielleicht der Impetus, jetzt gehen wir auf die Straße, was ja eigentlich überhaupt nicht zum Verhaltensrepertoire der Wissenschaft gehört.
Karkowsky: Und das können morgen alle machen, auch Nichtwissenschaftler, beim "March for Science". Carsten Könneker, Professor für Wissenschaftsforschung und Wissenschaftskommunikation an der Universität Karlsruhe. Herzlichen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.